1990–1999
Siehe, der Feind hat sich zusammengeschlossen
April 1993


Siehe, der Feind hat sich zusammengeschlossen

Das Befolgen wahrer Lehren in Gedanken und im Tun bringt Sicherheit und Glück wenn die Stürme und die verschiedenen „Winde der Lehre” kommen.

Vor Jahren habe ich mich gefragt, was die heilige Schrift wohl meint, wenn sie beschreibt, daß die Engel „Tag und Nacht” auf den „großen Befehl” warten, herabzukommen in eine verderbte und leidende Welt und hier das Unkraut einzusammeln; ich dachte, sie seien beinahe übereifrig. (Siehe LuB 38:12; 86:5.) Angesichts des schweren und unnötigen Leidens der Menschen frage ich mich das nicht mehr!

Allerdings findet die letzte Ernte erst dann statt, wenn Gott der Vater feststellt, daß die Welt „ganz reif” ist (LuB 86:7). In der Zwischenzeit heißt es, in einer verfallenden Welt von „Weizen und Unkraut” geistig zu überleben.

Zugegeben, gelegentlich können uns ein paar Abtrünnige und Abweichler verwirren, indem sie sich in ihre jeweiligen Belange hineinsteigern, doch die „deutliche und gegenwärtige Gefahr” für die Mitglieder der Kirche besteht in den überwältigenden Auswirkungen dieser verfallenden Welt. „Frevel und böse Absichten” wirken tatsächlich durch „böswillige Menschen” in den letzten Tagen (siehe LuB 89:4). Der Herr hat sogar gesagt: „Siehe, der Feind hat sich zusammengeschlossen” (LuB 38:12).

Wir dürfen uns dennoch nicht einschüchtern lassen und nicht dadurch die Fassung verlieren, daß das, was einst moralisch unannehmbar war, nun annehmbar wird, so als ob etwas durch ständiges Wiederholen irgendwie respektabel würde.

Eine der unterschwelligsten Formen der Einschüchterung besteht darin, daß die Abweichung nach und nach zur Norm wird. Alexander Pope warnt davor wie folgt:

Gar schrecklich ist der Anblick bösen Lasters:

Kaum daß es einer sieht, so haßt er’s.

Doch oft geschaut, wird es vertraut, erbarmt es;

Und wer mit ihm dann ganz intim,

umarmt es.

(An Essay on Man, Epistle I, Zeile 217.)

Lust kommt öffentlich als Liebe daher, Zugeständnisse an die Unmoral stellen sich schlau als Freiheit dar, krachende Geräusche geben sich spottend als Musik aus. Böses nennt sich selbst gut und kommt oft damit durch.

Ich will den Geltungsbereich der Freiheit nicht einschränken, doch ist der Radius dieses Kreises nicht der einzige Maßstab für das Wohlergehen der Gesellschaft.

Wenn man sich, wie einige es tun, nur darüber freut, wieviel Dekadenz in den Randbereichen erlaubbar ist, der übersieht die zersetzenden Auswirkungen solcher Anstößigkeiten auf alle Menschen innerhalb des Kreises. Hier paßt ein Wort von Yeats:

Herum, herum in immer weiteren Kreisen, der Falke hört den Falkner nicht; Alles zerfällt, die Mitte zerbricht, Schiere Anarchie befällt die Welt. (W. B. Yeats, „The Second Corning”.)

Dem Historiker Will Durant wird das folgende Wort zugeschrieben: „Wenn der Hunger nach Freiheit die Ordnung vernichtet, dann wird der Hunger nach Ordnung die Freiheit vernichten.” In diesem Zusammenhang gesehen: Wie könnte es möglich sein, daß die Herrschaft des Einzelnen über seine Triebe in besorgniserregendem Maße abnimmt, ohne daß damit die Allgemeinheit an Freiheit verliert?

Gewalt greift um sich, und oftmals steht dahinter die Absicht, Drogen zu kaufen und damit die Welt „abzuschalten” statt sie zu überwinden. Wie es vorhergesagt ist, gleicht unsere Zeit immer mehr der Zeit Noachs, die besonders für Verderbtheit und Gewalt bekannt ist (siehe Matthäus 24:37; Genesis 6:11). Kein Wunder, daß der Widersacher all die alten Sünden fördert - nicht, weil ihm nichts neues einfiele, sondern weil seine Ernte so beständig ist.

Die Abtreibung (und die Zahl der Abtreibungen hat enorm zugenommen) wirft die Frage auf: „Sind wir so weit von Gottes zweitem großen Gebot -, Liebe deinen Nächsten!’ - abgeirrt, daß ein Kind im Mutterleib der Liebe nicht mehr wert ist, und sei es nur als Nächster der Mutter?” Und doch: Gewalt, die einem ungeborenen Kind angetan wird, rechtfertigt keine Gewalt anderswo!

Wie ist das nun mit dem Nächsten? Tocqueville hat vorausgesehen, wie Individualismus, der nicht durch die Familie und das Gemeinwesen bereichert wird, eine sogenannte „einsame Menge” schaffen kann. Er schreibt:

„So läßt die Demokratie nicht nur einen jeden seine Vorfahren vergessen, sondern sie verbirgt seine Nachkommen vor ihm und trennt ihn von seinen Zeitgenossen; auf immer ist er nur noch auf sich selbst angewiesen, und schließlich droht sie, ihn völlig der Einsamkeit seines Herzens zu überlassen.” (Alexis de Tocqueville, „Democracy in America”, zitiert in Political Thought in America von Andrew M. Scott, Verlag Rinehart & Co., Inc., New York, 1959, Seite 225.)

Auf der Suche nach Identität und Zugehörigkeit sind zu viele vorgeblich gewitzte Teenager nun dem Alleinsein in einer Straßenbande überlassen. Welch dauerhaften Nutzen bringt es, sich im Leben auf der Straße auszukennen, wenn man auf einer Straße ohne Ziel ist? Straßenbanden sind ein Zeichen dafür, daß die Familie und das Gemeinwesen versagt haben. Sie sind ein Symbol der überall vorhandenen Auflehnung gegen Autorität.

Statt als Nächste miteinander zu reden werden wir von Talkshows überflutet, von denen viele anstelle wirklicher Gespräche lediglich Exhibitionismus und verbalen Voyeurismus unter Menschen zeigen, die einander völlig fremd sind.

Wir werden von Seifenopern (primitiven Fernsehserien) eingeschäumt, die nichts nötiger brauchen als Seife - um sich nämlich selbst abzuschrubben. Einige Leute behaupten ernstlich, daß Gewalt und Obszönität in den Medien keinen Einfluß auf das Publikum haben. Nun liegt der Sinn der Werbung aber gerade in ihrer Wirkung. Entweder haben wir Anspruch auf Änderung des Programms, oder die werbenden Firmen sollten ihr Geld zurückbekommen!

Wer sich über die traditionellen moralischen Werte lustig macht, sollte die folgende Lehre beherzigen, die Will und Ariel Durant aus der Geschichte ziehen:

„Ein Jugendlicher unter dem Druck der Hormone fragt sich, warum er seinen sexuellen Wünschen nicht freien Lauf lassen sollte; und wenn Sitte, Moral und Gesetz ihn nicht zügeln, kann er sich zugrunde richten, ehe er erwachsen genug ist um zu erkennen: Sexualität ist ein feuriger Strom, der von hundert Hindernissen in Bahnen gelenkt und gekühlt werden muß, soll er nicht den Einzelnen und die Gruppe verzehren.” (Will und Ariel Durant, The Lessons

of History, Verlag Simon und Schuster, New York, 1968, S. 35f.)

Laszivität beruft sich fälschlicherweise auf die Fähigkeit, etwas zu empfinden, und so verliert man die Fähigkeit, etwas zu empfinden! Drei Propheten in drei Evangeliumszeiten haben wegen derjenigen getrauert, die „kein Gefühl mehr” hatten (siehe l Nephi 17:45; Epheser 4:19; Moroni 9:20). Können wir von Leuten, die gegenwärtig „kein Gefühl mehr” haben, erwarten, daß sie eine annehmbare Zukunft gestalten? Schwere Sünden machen nicht nur das Gefühl dumpf, sie vernebeln auch den Verstand. Nachdem Kain seinen Bruder Abel ermordet hatte, prahlte er: „Ich bin frei!” (Mose 5:33.) Haben sich die Schweine von Gerasa etwa in gleicher Weise damit trösten können, daß sie doch in Wirklichkeit eingefleischte Individualisten seien, als sie den Hügel hinunter ihrem Verderben entgegenrannten?

Alexander Solschenizyn hat kürzlich geklagt, daß diejenigen, die meinen: „Es gibt keinen Gott, es gibt keine Wahrheit, das Universum ist chaotisch, alles ist relativ”, einen „unbarmherzigen Kult der Neuheit” schaffen, der „einen unaufhörlichen und lang andauernden Versuch kaschiert, alle Vorschriften der Moral zu unterminieren, lächerlich zu machen und auszumerzen.” (Alexander Solschenizyn, „The Relentless Cult of Novelty And How It Wrecked the Century” in The New York Times Book Review vom 7.2.1993, Seite 17.)

Das heutige qualvolle Szenarium des irdischen Lebens wirft noch mehr Fragen auf.

Die Pornografie macht besonders Frauen und Kinder zu Opfern. Warum also die unangebrachten Vorbehalte, wenn es um deren Schutz geht? Die Pornografie ist besser geschützt als der Bürger auf der Straße!

Bei all ihren Fehlern ist doch die Familie die Grundlage, und da keine andere Institution ein Versagen in der Familie völlig wettmachen kann, - warum nur wird so verzweifelt nach einem Ersatz gesucht, statt die Familie aufzuwerten? Warum werden nicht Untersuchungen über die Auswirkungen eines Programms oder eines Heilmittels auf die Familie gefordert, wo doch von allen Bemühungen hinsichtlich der Umwelt die Familie an erster Stelle stehen muß? Hunderte von Regierungsstellen und Programmen schützen die verschiedensten Interessen, aber wer schützt die Familie?

Da die Demokratie auf die Bereitschaft der Bürger angewiesen ist, „dem Undurchsetzbaren zu gehorchen”, warum also der hartnäckige Widerstand gegen eine Erziehung zur Moral, durch die weitverbreitete und bewährte Grundsätze hervorgehoben würden?

Nur Verbesserung und Selbstbeherrschung der Institutionen und des Einzelnen kann letztendlich die Gesellschaft retten! Nur eine ausreichende Anzahl von Seelen, die gegen Sünde resistent sind, kann den Markt verändern. Wir als Mitglieder der Kirche sollten Teil dieser sündenresistenten Gegenkultur sein. Stattdessen rutschen all zu viele Mitglieder den Hügel hinunter, wenn auch vielleicht nicht ganz so schnell.

Wie außergewöhnlich gesegnet sind doch die treuen Mitglieder der Kirche in einer Welt, in der es „Weizen und Unkraut” gibt, daß sie die kostbare und beständige Gabe des Heiligen Geistes haben und daran erinnert werden, was recht ist und welche Bündnisse sie eingegangen sind. „Denn siehe … Wenn ihr … den Heiligen Geist empfangt, wird er euch alles zeigen, was ihr tun sollt.” (2 Nephi 32:5.) Wie hoch der Grad der Dekadenz auch sei, so ist es doch nicht nötig, daß die leise, sanfte Stimme davon übertönt wird. Einige der besten Predigten, die wir jemals zu hören bekommen, werden somit vom Gedächtnis gehalten - und zwar einem einzigen Zuhörer!

Inmitten der vorhergesagten „Kriege und Verwirrungen der Nationen” haben die Mitglieder der Kirche prophetische Führung, die Weisung bietet (siehe Lukas 21:55; LuB 88:79). Mehrmals im Jahr bestätigen wir fünfzehn Apostel als Propheten, Seher und Offenbarer. Wir wissen also, an wen wir uns zu halten haben, auch wenn einige wenige „nicht nach dem Wohlergehen Zions” trachten, sondern „sich selbst … als Licht hinstellen” (siehe 2 Nephi 26:29).

Der Prophet Joseph Smith hat überdies gelehrt, daß diejenigen, die dieses Apostelamt empfangen, „alle Schlüssel [besitzen], die es jemals gab, und die auf sterbliche Menschen übertragen werden können.” (Zitiert von Brigham Young in Journal of Discourses, 1:137.)

Wiederholte Erfahrung zeigt, daß die Mitglieder nicht zur Beute von Heuchlern werden müssen. Außerdem: „Der Tag kommt, da diejenigen, die die Stimme des Herrn nicht vernehmen wollen, … und die auch den Worten der Propheten und Apostel keine Beachtung schenken, aus dem Volk ausgetilgt werden sollen.” (LuB 1:14.)

Überdies gewährleistet die Art und Weise, wie die Kirche geführt wird, daß es keine geheimen Führer gibt.

„Keinem soll es gegeben sein, hinzugehen und mein Evangelium zu predigen oder meine Kirche aufzurichten, außer er sei von jemandem dazu ordiniert worden, der Vollmacht hat und von dem es der Kirche bekannt ist, daß er Vollmacht hat und von den Führern der Kirche ordnungsgemäß ordiniert worden ist.” (LuB 42:11.)

Präsident Woodruff hat die Herde der Kirche ermahnt, den führenden Brüdern zu folgen, denn …

„… im selben Moment, wo ein Mensch im Reich Gottes versucht, den Führern vorauszueilen oder ihren Weg zu kreuzen, … läuft er Gefahr, von den Wölfen verletzt zu werden. … Ich habe noch nie erlebt, daß es anders gekommen wäre.” (Journal of Discourses, 5:83.)

Weitere Hilfe wird uns zuteil durch Predigten, das Abendmahl, den Tempel, das Beten, die heilige Schrift, die Zehntenerklärung und durch die Ermahnung derer, die wir liebhaben. Wenn ein Mitglied sich aber von all dem abschneidet, dann gibt es Schwierigkeiten. Zum Beispiel: Von den Lippen eines Abgeirrten und Selbstgerechten hört ein tief verletzter Ehepartner die schrecklichen Worte: „Ich habe dich nie geliebt!”

Vor einem Feind, der sich „zusammengeschlossen” hat, ist es überaus wichtig, „auf dem rechten Weg” zu bleiben (siehe Moroni

6:4). Das Befolgen wahrer Lehren in Gedanken und im Tun bringt Sicherheit und Glück wenn die Stürme und die verschiedenen „Winde der Lehre” kommen. Der Heilige Geist hilft uns, die Wahrheit aber auch den Unfug zu erkennen.

Das Befolgen wahrer Lehren sorgt für ein Gleichgewicht zwischen den machtvollen und wahren Grundsätzen des Evangeliums. Im Körper der Evangeliumslehre sind nicht nur Gerechtigkeit und Gnade funktionell

„zusammengefügt und gefestigt”, sondern auch alles andere! (Siehe Epheser 4:16.) Die Grundsätze des Evangeliums müssen synchronisiert werden. Werden sie auseinandergerissen oder isoliert, dann kann das zu wilden Interpretationen dieser Lehren durch die Menschen führen.

Liebe, die nicht durch das siebente Gebot gezügelt wird, kann fleischlich werden. Die lobenswerte Betonung, die das fünfte Gebot darauf legt, die Eltern zu ehren, kann - sofern sie nicht durch das erste Gebot gezügelt wird - dazu führen, daß man nicht Gott sondern den fehlbaren Eltern bedingungslos ergeben ist.

Selbst bei den Abgaben für Gott und den Kaiser ist Sorgfalt erforderlich (siehe Matthäus 22:21). Selbst Geduld muß ausgeglichen sein: „Alsbald mit aller Deutlichkeit zurechtweisend, wenn dich der Heilige Geist dazu bewegt” (LuB 121:43). Zur geistigen Reife gehört, daß man den Duft der Blumen riecht und auf die Blätter des Feigenbaums achtet um zu sehen, ob „der Sommer nahe ist” (siehe Matthäus 24:32).

So ist also die Fülle des Evangeliums Jesu Christi größer als irgendein Teil davon, größer als irgendeins der Programme oder Prinzipien.

Auch in dieser schwierigen Zeit können mit Rechtschaffenheit ausgerüstete Mitglieder viel tun. Zu Hause kann Liebe herrschen, obwohl in der Welt die Liebe bei vielen erkaltet (siehe Matthäus 24:12). Wir können inneren Frieden haben, obwohl der Friede von der Erde genommen ist (siehe LuB 1:35).

Wir können das siebente Gebot befolgen, obwohl andere es brechen und sich darüber lustig machen. Wir können individuell humanitären Dienst leisten, obwohl das Leid der Menschen insgesamt so überwältigend ist.

Wir können unsere Zunge die Wahrheit in Liebe sagen lassen und es ablehnen, falsch gegen den Nächsten auszusagen (siehe Epheser 4:15; Exodus 20:16). Wir können fest an heiligen Stätten stehen, obwohl in der Welt „alles in Aufruhr” ist (siehe LuB 88:91; 45:32).

Wir können nach herabgesunkenen Händen greifen, obwohl einige Menschen unsere in Freundschaft ausgestreckte Hand zurückweisen (siehe LuB 81:5). Wir können an der eisernen Stange festhalten, obwohl andere Menschen abirren und ein paar von ihnen uns schließlich von dem „großen und geräumigen Gebäude” aus verspotten (siehe l Nephi 27:28).

Wie Nephi verstehen auch wir vielleicht nicht alles, was mit uns oder um uns herum geschieht. Dennoch können wir, wie Nephi, wissen, daß Gott uns liebt! (Siehe l Nephi 11:17.)

Ja, „der Feind hat sich zusammengeschlossen”, doch wenn wir uns mit des Herrn feurigen Pferden und Wagen zusammenschließen, können wir sagen, „bei uns sind mehr als bei ihnen!” (Siehe 2 Könige 6:16,17.) Außerdem hat Gott verheißen, daß keine Waffe, die gegen das Werk des Herrn geschmiedet wurde, letztendlich etwas ausrichten kann, denn „das ist das Erbteil der Knechte des Herrn” (siehe Jesaja 54:17; LuB 71:9). Das versichere und bezeuge ich in Jesu Namen. Amen.