1990–1999
Vater, komm nach Hause
April 1993


Vater, komm nach Hause

Die Segnungen des Priestertums, von Vätern und Ehemännern in Ehren gehalten und von Frauen und Kindern hochgeachtet, können das Krebsgeschwür, an dem unsere Gesellschaft leidet, tatsächlich heilen.

Es ist Osterzeit, und ich übermittle allen, die an diesen Versammlungen teilnehmen, meine herzlichsten Grüße und Wünsche für Ihr Glücklichsein und Wohlergehen. Wir denken heute daran, daß der auferstandene Herr uns den Auftrag gegeben hat, das Gottesreich auf Erden aufzurichten. Mit diesem Auftrag im Sinn hoffe ich ein paar Gedanken beizutragen, die die wichtigste aller Institutionen, die Familie, stärken mögen.

In jüngster Zeit wird die Gesellschaft von einem Krebsgeschwür geplagt, von dem nur wenige Familien verschont bleiben. Ich meine den Zerfall unserer Familien. Es ist dringend notwendig, daß wir etwas dagegen unternehmen. Mit dem, was ich zu sagen habe, möchte ich niemanden beleidigen. Ich bekräftige, daß ich fest daran glaube, daß die Frau das erhabenste Geschöpf Gottes ist. Ich glaube auch daran, daß es auf der ganzen Welt kein größeres Gut gibt als die Mutterschaft. Der Einfluß einer Mutter auf ihre Kinder läßt sich nicht ermessen. Alleinstehende Eltern, von denen die meisten ja Mütter sind, leisten einen besonders heroischen Dienst.

Ich gestehe auch bereitwillig ein, daß es allzu viele Väter und Ehemänner gibt, die ihre Frau und ihre Kinder mißbrauchen und vor denen es Frau und Kinder zu schützen gilt. Aber die neueren soziologischen Studien bekräftigen mit dem größten Nachdruck, wie wesentlich der Einfluß eines liebevollen Vaters auf das Leben des Kindes -Junge und Mädchen - ist. In den letzten zwanzig Jahren, in denen die Familien ja darum gerungen haben, intakt zu bleiben, haben soziologische Studien diese alarmierende Tatsache erbracht: viele Verbrechen und viele Verhaltensstörungen in den Vereinigten Staaten lassen sich auf eine Familie zurückführen, wo der Vater die Kinder verlassen hat. In vielen Gesellschaften überall in der Welt lassen sich Kindesarmut, Verbrechen, Drogenmißbrauch und Zerfall der Familie darauf zurückführen, daß der Vater seinen Beitrag als Mann nicht geleistet hat. Den Soziologen ist inzwischen schmerzlich klar, daß der Vater kein schmückendes Beiwerk ist. Wir müssen die Stellung des Vaters als des hauptsächlichen Versorgers in materiellen und geistigen Belangen ehren. Ich sage dies ohne Zögern, weil der Herr ja offenbart hat, daß der Ehemann diese Verpflichtung hat. „Frauen haben gegen ihren Mann Anspruch auf Unterhalt, bis er durch den Tod dahingerafft wird.” (LuB 83:2.) Ferner: „Alle Kinder haben gegen ihre Eltern Anspruch auf Unterhalt, bis sie mündig sind.” (LuB 83:4.) Außerdem muß ihr geistiges Wohlergehen „zustande gebracht [werden] durch den Glauben und den Bund ihrer Väter” (LuB 84:99). Was die kleinen Kinder betrifft, so hat der Herr verheißen, daß „von ihren Vätern Großes gefordert werden kann” (LuB 29:48).

Es ist nutzlos, darüber zu debattieren, welcher Elternteil der wichtigere ist. Niemand würde bezweifeln, daß für das Neugeborene und für das Kind in den ersten Lebensjahren die Mutter von überragender Bedeutung ist. Der Einfluß des Vaters nimmt zu, wenn das Kind älter wird. Allerdings sind beide Eltern zu verschiedenen Zeiten in der Entwicklung eines Kindes notwendig. Sowohl der Vater als auch die Mutter tun sehr viel Verschiedenes für ihr Kind, wie es ihrer Eigenart entspricht. Sowohl die Mutter als auch der Vater können ein Kind hegen und pflegen, aber ihre Methoden unterscheiden sich doch. Die Mutter spielt wohl die wesentliche Rolle, wenn es darum geht, das Kind auf das Leben in der Familie vorzubereiten (in Gegenwart und Zukunft). Der Vater kann die Kinder wohl am besten darauf vorbereiten, mit der Umgebung außerhalb der Familie zurechtzukommen. Eine Autorität auf dem Gebiet meint: „Aus den Studien geht hervor, daß der Vater eine besondere Rolle spielt, wenn es darum geht, die Selbstachtung des Kindes zu fördern. Er ist auch wichtig dafür, wie ein Kind innere Grenzen und Selbstbeherrschung entwickelt, und zwar auf eine Weise, die uns noch gar nicht ganz klar ist.” Er sagt weiter: „Die Forschung hat außerdem ergeben, daß der Vater für das Geschlechtsbewußtsein eines Kindes ganz wesentlich ist. Interessanterweise führt die väterliche Anteilnahme dazu, daß sowohl Jungen als auch Mädchen eine stärkere sexuelle Identität und Wesenheit entwickeln. Es ist erwiesen, daß ein Sohn seine Männlichkeit und eine Tochter ihre Weiblichkeit mehr verinnerlicht, wenn der Vater aktiv am Familienleben beteiligt ist.” (Karl Zinsmeister, „Do Children Need Fathers?” Crisis, Oktober 1992.)

Wie es auch um ihre Ehe bestellt sein mag, Eltern sind verpflichtet, ihre Meinungsverschiedenheiten beiseite zu setzen und einander dazu anzuhalten, ihre Kinder rechtschaffen zu beeinflussen.

Ist es nicht möglich, den Frauen alle Rechte und Segnungen zuzugestehen, die von Gott kommen, sowie gesetzliche Autorität, ohne die Würde des anderen Geschöpfes Gottes, nämlich des Mannes, zu schmälern? Eliza R. Snow schrieb 1872: „Die Stellung der Frau ist eine der Fragen der heutigen Zeit, die sich in gesellschaftlicher und politischer Hinsicht der Aufmerksamkeit der Welt aufdrängt. Manche … wollen nicht zugeben, daß die Frau ein Anrecht auch auf andere Rechte hat als nur auf diejenigen, die die Laune oder Gerechtigkeit des Mannes ihr zugestehen mag. … Die Gründe, gegen die sie nicht mit irgendwelchen Argumenten aufwarten können, bejammern und verspotten sie; eine alte Zuflucht für diejenigen, die den richtigen Grundsätzen, denen sie sich nicht widersetzen können, entgegentreten. Andere … erkennen nicht nur, daß die Stellung der Frau zu verbessern wäre, sondern sie sind in ihren extremen Theorien so radikal, daß sie sie zur Feindin des Mannes machen und für sie eine losgelöste und ihm entgegengesetzte Existenz annehmen; sie zeigen auf, … wie völlig unabhängig sie sein soll.” Tatsächlich, so fuhr sie fort, „wollen sie, daß die Frau die eher abstoßenden Charakterzüge des Mannes übernimmt, vor denen sie sich eigentlich hüten oder die sie bessern müßte, statt sie zu kopieren. Das sind die beiden Extreme, und dazwischen liegt der, goldene Mittelweg’.” (The Woman’s Exponent, 15. Juli 1872, Seite 29.)

Viele Menschen wissen nicht, daß wir daran glauben, daß Gott in seiner Weisheit für die wichtigsten Institutionen in der Welt eine maßgebliche Autorität vorgesehen hat. Diese maßgebliche Autorität ist das Priestertum. Mit dem Priestertum geht eine Vertrauensstellung einher, die man zum Segen aller Kinder Gottes gebrauchen muß. Das Priestertum ist nicht geschlechtsbezogen; es ist ein Segen, der von Gott kommt und der allen zuteil wird, und zwar durch seine Knechte, die er dafür bestimmt hat. Innerhalb der Kirche kann die Vollmacht des Priestertums allen Mitgliedern zum Segen gereichen - durch das Wirken der Heimlehrer, der Kollegiumspräsidenten, der

Bischöfe und Väter und aller übrigen rechtschaffenen Brüder, die damit beauftragt sind, die Angelegenheiten des Gottesreiches zu verwalten. Das Priestertum ist die rechtschaffene Kraft und der rechtschaffene Einfluß, kraft dessen ein Junge in seiner Jugend und sein Leben lang gelehrt wird, die Keuschheit zu ehren, ehrlich und fleißig zu sein und das Frauentum zu achten und zu verteidigen. Das Priestertum ist ein Einfluß, der mäßigend wirkt. Ein Mädchen lernt, daß durch den segnenden Einfluß und die Kraft des Priestertums viele seiner Wünsche in Erfüllung gehen können.

Das Priestertum zu tragen bedeutet, daß man dem Beispiel Christi nachfolgt und danach trachtet, seinem Beispiel als Vater nachzueifern. Es bedeutet unablässige Fürsorge für das eigene Fleisch und Blut. Ein Mann, der das Priestertum trägt, muß es ehren, indem er seiner Frau, der Mutter seiner Kinder, in Ewigkeit und in absoluter Treue zugetan ist. Er muß sein Leben lang für seine Kinder und deren Kinder sorgen und sich um ihre Anliegen kümmern. Die flehentliche Bitte Davids an seinen rebellischen Sohn ist eine der bewegendsten in allen heiligen Schriften: „Mein Sohn Abschalom, mein Sohn, mein Sohn Abschalom! Wäre ich doch an deiner Stelle gestorben, Abschalom, mein Sohn, mein Sohn!” (2 Samuel 19:1.)

Ich bitte die Ehemänner und Väter in dieser Kirche eindringlich: Seien Sie ein solcher Mann, ohne den Ihre Frau gar nicht sein möchte. Die Schwestern in der Kirche fordere ich eindringlich auf: seien Sie Ihrem Mann gegenüber geduldig, liebevoll und verständnisvoll. Wer eine Ehe eingeht, muß völlig bereit sein, sie zur allerersten Priorität in seinem Leben zu machen.

Es zerstört das Gefühl, das für eine glückliche Ehe so wesentlich ist, wenn einer der beiden Ehepartner zum anderen sagt: „Ich brauche dich nicht.” Das ist vor allem deshalb so, weil der Herr gesagt hat, daß die beiden ein Fleisch werden sollen: „Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden, und die zwei werden ein Fleisch sein.]

Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins.” (Matthäus 19:5,6.) Es ist weitaus schwieriger, eines Herzens und Sinnes als physisch eins zu sein. Diese Einigkeit in Herz und Sinn kommt im aufrichtigen „ich bin dankbar für dich” und „ich bin stolz auf dich” zum Ausdruck. Solche häusliche Harmonie entspringt dem Vergeben und Vergessen, welches die wesentlichen Elemente einer sich weiterentwickelnden ehelichen Beziehung sind. Es hat einmal jemand gesagt, vor der Ehe müsse man die Augen weit offen halten und in der Ehe halb geschlossen. (Magdeleine de Scudery, zitiert in The International Dictionan/ of Thoughts, Chicago, 1969, Seite 472.) Wahre Nächstenliebe muß in der Ehe beginnen, denn sie ist eine Beziehung, die es jeden Tag neu aufzubauen gilt.

Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich ein Ehepartner des anderen entledigen und dabei doch völlig unversehrt bleiben kann. Jeder Partner, der die gottgegebene Rolle des anderen in Gegenwart der Kinder herabsetzt, erniedrigt die aufblühende Weiblichkeit in seinen Töchtern und die aufstrebende Männlichkeit in seinen Söhnen. Ich nehme an, daß es immer irgendwelche ehrlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen Mann und Frau gibt, aber sie sollte man im stillen beilegen.

Weil dieses Thema so wichtig ist, habe ich auch den Mut, etwas über das Brechen von Bündnissen zu sagen. Man muß zugeben, daß manche Ehen einfach scheitern. Denen, die sich in solchen Umständen befinden, bekunde ich mein Verständnis, denn jede Scheidung bringt Herzeleid mit sich. Ich hoffe, daß das, was ich sage, Sie nicht verstört. Meiner Meinung nach kommt jedes Versprechen, das ein Mann und eine Frau einander bei der Eheschließung geben, einem Bund gleich. Die Familienbeziehung von Vater, Mutter und Kind ist die älteste und dauerhafteste Institution in der Welt. Sie hat gewaltige Unterschiede in Geographie und Kultur überlebt, und zwar deshalb, weil die Ehe zwischen Mann und Frau ein natürlicher Zustand und von Gott verordnet ist. Sie ist ein sittliches Gebot. Und die Eheschließung, die in einem unserer Tempel vollzogen wird und in Ewigkeit Bestand haben soll, wird dann zum heiligsten Bund, den wir überhaupt eingehen können. Die Siegelungsvollmacht, die Gott durch Elija erteilt hat, wird dabei beschworen, und Gott hat an den Versprechen und Verheißungen teil.

Was könnte dann ein „gerechtfertigter Grund” sein, den Ehebund aufzulösen? Ich beschäftige mich schon mein Leben lang mit menschlichen Problemen und ringe seit jeher um die Erkenntnis, was denn nun als „gerechtfertigter Grund” für das Auflösen eines Bundes zu betrachten ist. Ich gestehe, daß ich nicht die Weisheit und auch nicht die Vollmacht beanspruchen kann, definitiv zu sagen, was ein „gerechtfertigter Grund” ist. Nur die beiden Ehepartner können das entscheiden. Sie müssen die Verantwortung für die Kette von Folgen tragen, die unausweichlich eintreten, wenn dieser Bund nicht eingehalten wird. Meiner Meinung nach darf ein „gerechtfertigter Grund” nicht weniger als eine dauerhaft zerrüttete Beziehung sein, die die Menschenwürde zerstört.

Gleichzeitig habe ich eine feste Meinung dazu, was kein Grund dafür ist, den heiligen Ehebund aufzulösen. Ganz gewiß fallen „seelischer Kummer”, „Unterschiede in den persönlichen Eigenarten”, „sich auseinandergelebt haben” und „nicht mehr verliebt sein” nicht darunter. Ganz besonders gilt das, wenn Kinder vorhanden sind. Immer noch gültiger, gottgegebener Rat kommt hier von Paulus, nämlich: „Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat.” (Epheser 5:25.)

„Damit sie die jungen Frauen dazu anhalten können, ihre Männer und Kinder zu lieben.” (Titus 2:4.)

Meiner Meinung nach haben die Mitglieder der Kirche das beste Heilmittel gegen den Zerfall des Familienlebens. Es besteht darin, daß Männer, Frauen und Kinder die gottgegebenen Rollen von Vater und Mutter in der Familie ehren. Dadurch werden die gegenseitige Achtung und Wertschätzung unter den Mitgliedern der Kirche durch die darin bestehende Rechtschaffenheit gefördert. Und auf diese Weise kann die erhabene Siegelungsgewalt, die durch Elija wiederhergestellt worden ist und von der Maleachi gesprochen hat, wirksam werden, „um das Herz der Väter den Kindern und die Kinder den Vätern zuzuwenden, damit nicht die ganze Erde mit einem Fluch geschlagen werde” (LuB 110:15; siehe auch Maleachi 3:24).

Über die Schlüsselgewalt Elijas hat Präsident Joseph Fielding Smith folgendes gesagt: „Diese Siegelungsgewalt, die Elija übertragen ist, ist die Gewalt, die Mann und Frau und Kinder und Eltern für Zeit und Ewigkeit aneinander bindet. Es ist die bindende Gewalt, die in jeder heiligen Handlung des Evangeliums wirksam wird. … Elijas Mission bestand darin, zu kommen und sie wiederherzustellen, damit der Fluch der Verwirrung und Unordnung im Gottesreich nicht bestehen kann.” (Elijah the Prophet and His Mission, Salt Lake City, 1957, Seite 5.) Verwirrung und Unordnung kommen in der Gesellschaft allzu häufig vor, aber wir dürfen nicht zulassen, daß sie unsere Familie zerstören.

Vielleicht betrachten wir die Siegelungsgewalt, die durch Elija übertragen worden ist, als etwas, das nur mit formellen heiligen Handlungen an einem heiligen Ort zu tun hat. Aber diese heiligen Handlungen werden nur dann dynamisch und bringen Gutes hervor, wenn sie sich in unserem täglichen Leben offenbaren. Maleachi hat gesagt, die Macht Elijas werde das Herz der Väter den Kindern und die Kinder den Vätern zuwenden. Das Herz ist der Platz der Gefühle und ein Weg für Offenbarung (siehe Maleachi 3:23,24). Diese Siegelungsgewalt offenbart sich also in den Beziehungen in der Familie, in den Eigenschaften und Tugenden, die man unter gedeihlichen Umständen und im liebevollen Dienen entwickelt. Das sind die Bande, die die Familie zusammenhalten, und das Priestertum fördert ihre Entwicklung. Auf unmerkliche aber reale Weise „träufelt einem dann die Lehre des Priestertums auf die Seele wie Tau vom Himmel” (siehe LuB 121:45).

Ich bezeuge: Die Segnungen des Priestertums, von Vätern und Ehemännern in Ehren gehalten und von Frauen und Kindern hochgeachtet, können das Krebsgeschwür, an dem unsere Gesellschaft leidet, tatsächlich heilen. Ich bitte Sie inständig, Väter, kommen Sie nach Hause. Machen Sie Ihre Berufung im Priestertum groß; seien Sie Ihrer Familie durch diesen heiligen Einfluß ein Segen, und erfahren Sie den Lohn, den unser Vater und Gott verheißen hat. Das sage ich im Namen Jesu Christi. Amen.