1990–1999
Durch die Gnade des Herrn göttlichen Beistand erha
April 1993


Durch die Gnade des Herrn göttlichen Beistand erha

So unwürdig wir uns auch fühlen und so schwach wir auch sein mögen, wenn wir alles tun, was wir können, steht er uns bei und gibt uns, was uns noch fehlt.

Liebe Brüder und Schwestern, ich gebe heute nachmittag Zeugnis vom göttlichen Wesen des Herrn Jesus Christus und vor allem von der Lehre von der Gnade, die er allen Menschen gewährt (siehe Jakob 4:6,7). Damit erkenne ich demütig das große Geschenk an, das Gott der Vater uns gemacht hat, „denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab” (Johannes 3:16).

Nach der Gabe trachten

Vielleicht hat manch einer von uns die große Gnadengabe, die der Vater uns durch das Sühnopfer seines Sohnes, Jesus Christus, verliehen hat, noch nicht empfangen, oder er weiß nicht, wie er daraus Nutzen /ichen soll. „Denn was nützt es dem Menschen, wenn ihm eine Gabe gewährt wird, und er empfängt sie nicht?” (LuB 88:33.) Der Prophet Zenoch hat sogar gesagt: „Du bist zornig, o Herr, auf dieses Volk, weil es deine Barmherzigkeit nicht verstehen will, die du ihm um deines Sohnes willen erwiesen hast.” (Alma 33:16.)

Wer von uns versucht nicht manchmal, die Schwierigkeiten des Lebens selbst zu be-

zwingen, ohne sich darum zu bemühen, daß der Herr in sein Leben eingreift? Wir versuchen die Last allein zu tragen.

Manch einer sagt angesichts von Prüfungen und Bedrängnissen: „Warum hilft Gott mir nicht?” Manch einer ringt mit Zweifeln in bezug auf seine Gebete und seine Würdigkeit und sagt: „Vielleicht klappt das mit dem Beten einfach nicht.”

Andere, die unter Krankheit, Entmutigung, finanziellen Krisen, Ablehnung, Enttäuschung oder gar dem Verlust eines geliebten Menschen leiden, sagen vielleicht: „Warum heilt der Herr mich nicht? Warum hilft er mir nicht im Umgang mit meinem Sohn? Warum hat er ihren Tod nicht verhindert? Muß das Leben so unglücklich sein?”

Ja, vielleicht ruft man dann: „O Gott, wo bist du? … Wie lange noch wird deine Hand sich zurückhalten?” (LuB 121:1,2.)

Jesus hat gesagt, daß wir alle diese Prüfungen durchmachen, um „im Feuerofen der Bedrängnis” geläutert zu werden (siehe l Nephi 20:10) und daß wir dabei nicht ohne Beistand bleiben, sondern die Bedrängnis um des „Erlösers Namens willen” erleiden sollen (siehe LuB 138:13). Wir haben vielleicht manchmal das Gefühl, er habe uns vergessen, aber er bezeugt: „Ja, sie mögen vergessen - doch ich werde dich nicht vergessen. …

Siehe, auf die Flächen meiner Hände habe ich dich gezeichnet.” (l Nephi 21:15,16.)

Ich bezeuge, daß uns der Herr, durch seine Gnade, im täglichen Leben und in körperlicher und geistiger Krankheit, in Schmerz und Übertretung, ja, in allen unseren Schwächen beistehen kann (siehe Mosia 14:5; Alma 7:11-13; 34:31).

Christus in den Mittelpunkt stellen

Um aber die Prüfungen, die wir durchmachen, erfolgreich zu bestehen, müssen wir den Blick und das Herz immer auf Jesus Christus richten. Denn „da der Mensch gefallen war, konnte er von sich aus kein Ver-

dienst zuwege bringen” (Alma 22:14); deshalb brauchen wir einen Fürsprecher, einen Mittler, der uns beisteht. „Und um deines Sohnes willen bist du barmherzig zu [mir] gewesen.” (Alma 33:11; Hervorhebung hinzugefügt.)

Wir müssen große Hoffnung haben und wissen: So unwürdig wir uns auch fühlen und so schwach wir auch sein mögen - wenn wir alles tun, was wir können, steht er uns bei und gibt uns, was uns noch fehlt. (Siehe 2 Korinther 12:9.) Damit ist in gewisser Hinsicht definiert, was Gnade bedeutet.

Verstehen, was Gnade bedeutet

Gnade ist göttliche Hilfe, göttliche Kraft, die uns durch die reiche Barmherzigkeit und Liebe Jesu Christi zuteil wird. Sie ist eine Kraft, die uns befähigt. Die Lehre von der Gnade Gottes des Vaters und des Sohnes und davon, was sie für uns bewirkt, ist so bedeutsam, daß sie in den heiligen Schriften mehr als zweihundertmal erwähnt wird.

Wenn wir die Gnade des Herrn Jesus Christus erlangen können, diese göttliche, befähigende Kraft, die uns beisteht, dann sind wir in diesem Leben erfolgreich und werden im zukünftigen Leben erhöht.

Ich möchte Ihnen fünf Grundsätze vortragen, die uns helfen können, dieses göttliche Eingreifen in unser Leben zu erwirken oder vielleicht stellvertretend einem anderen zu helfen. Diese Grundsätze sind leicht zu verstehen, aber sehr schwer anzuwenden. Sie kennen sie bereits alle. Allerdings haben Sie vielleicht noch nicht darüber nachgedacht, wie direkt sie sich auf das Erlangen der Gnade beziehen lassen.

Der erste Grundsatz ist der Glaube. „Gerecht gemacht aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn.

Durch ihn haben wir auch den Zugang zu der Gnade erhalten, in der wir stehen.” (Römer 5:1,2.)

Es ist offensichtlich, daß diese Gnade oder befähigende Kraft durch Glauben erlangt wird. Kein Wunder, daß der Glaube an den Herrn Jesus Christus der erste Grundsatz des Evangeliums ist.

Wie deutlich war doch die Frage Christi an den sinkenden Petrus, der gerade erst auf dem Wasser gegangen war: „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?” (Matthäus 14:31.) In dem Augenblick, als Petrus gezweifelt und den Blick von Christus abgewandt hatte, hatte er sich von der Macht Jesu Christi abgetrennt, die ihn auf dem Wasser getragen hatte.

Wie oft haben wir schon genauso um Beistand oder Hilfe bei unseren Problemen gebetet und uns dabei durch Zweifel oder Angst von der Macht Gottes abgetrennt und konnten diese befähigende Kraft von Gott

deshalb nicht erlangen? (Siehe LuB 6:36; 67:3.)

Der zweite Grundsatz ist die Umkehr. Durch das Sühnopfer kann die Gnade Gottes uns sowohl von Sünde reinigen als auch uns helfen, durch unsere Prüfungen, Krankheiten und sogar durch „charakterliche Mängel” vollkommen zu werden. Durch die Gnade des Herrn werden wir geheiligt und gerechtfertigt (siehe LuB 20:30,31). Wahrhaftig, „wenn jemand seine Sünden bekennt, tut Christus sich in Barmherzigkeit kund” (in einem unveröffentlichten Lied von Gene R. Cook und Holly Cook; siehe auch Alma 24:10). Vergessen Sie nicht, Christus kann unsere Fehler und Schwächen beheben, die sonst nicht zu beheben wären (siehe Genesis 18:14; Markus 9:23,24).

Diese erhabene Wahrheit muß uns alle mit Hoffnung erfüllen, solange wir bereitwillig daran denken, daß die Wirkung der Gnade in unserem Leben davon abhängt, ob wir von unseren Sünden umkehren.

„Darum sind die gesegnet, die umkehren …

Und möge Gott … gewähren, daß die Menschen zur Umkehr und zu guten Werken gebracht werden, daß sie der Gnade um Gnade wiedergewonnen werden, gemäß ihren Werken!” (Helaman 12:23,24.)

Ein umkehrwilliges Herz und gute Werke sind die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit uns die Gnade zuteil wird. Wenn jemand inbrünstig darum fleht, daß sein Beten erhört werde, dann hängt die Erhörung vielleicht mehr davon ab, ob wir von unseren Sünden umgekehrt sind, als von irgend etwas anderem. (Siehe LuB 101:7,8; Mosia 11:23,24.)

Der dritte Grundsatz ist die Demut. „Doch er gibt noch größere Gnade; darum heißt es auch: Gott tritt den Stolzen entgegen, den Demütigen aber schenkt er seine Gnade.” (Jakobus 4:6.)

„Und wenn Menschen zu mir kommen, so zeige ich ihnen ihre Schwäche. Ich gebe den Menschen Schwäche, damit sie demütig seien; und meine Gnade ist ausreichend für alle Menschen, die sich vor mir demütigen; denn wenn sie sich vor mir demütigen und Glauben an mich haben, dann werde ich Schwaches für sie stark werden lassen.” (Ether 12:27.)

Die Demut ist eine ganz wesentliche Bedingung dafür, daß uns der göttliche Beistand zuteil wird.

Alles tun, was in unserer Macht steht, ist die vierte Bedingung. Zu Recht hat Paulus gelehrt: „Aus Gnade seid ihr durch den Glauben gerettet, nicht aus eigener Kraft - Gott hat es geschenkt -, nicht aufgrund eurer Werke, damit keiner sich rühmen kann.” (Epheser 2:8,9.)

Ja, Werke allein bringen die göttliche Gabe nicht zustande, aber sie sind eine wesentliche Bedingung dafür, daß uns die Gabe überhaupt zuteil wird (siehe 2 Nephi 10:23-25). „Denn wir wissen, daß wir durch Gnade errettet werden - nach allem, was wir tun können.” (2 Nephi 25:23.)

Man kann also nicht erwarten, daß sich die Gnade Gottes kundtut, solange man selbst noch nicht alles getan hat, was in seiner Macht steht. Welch herrlicher Grundsatz: der Beistand des Herrn - ob wir stark sind im Glauben oder schwach, ob Mann, Frau oder Kind - beruht nicht bloß auf dem, was wir wissen, darauf, wie stark wir sind oder wer wir sind, sondern vielmehr darauf, daß wir alles geben, was wir geben können, und alles tun, was wir tun können - in unserer gegenwärtigen Lage. Wenn man alles gegeben hat, was man zu geben vermag, kann einem der Herr, durch seine Gnade, helfen (siehe LuB 123:17).

Ganz deutlich kommen die Rolle des Herrn und unsere Rolle, wenn es darum geht, göttlichen Beistand zu erhalten, in diesen inspirierten Worten zum Ausdruck: „Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt.” (Philipper 4:13.)

Der fünfte Grundsatz, nämlich die Gebote halten, ist gewiß eine Bedingung dafür, daß einem die Gnade des Herrn zuteil wird. „Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr von seiner Fülle empfangen. … Ihr werdet Gnade um Gnade empfangen.” (LuB 93:20; siehe auch Vers 28.)

Um Gnade zu erlangen, muß man nicht vollkommen sein, sondern man muß sich bemühen, die Gebote nach besten Kräften zu halten. Dann kann einem der Herr diese Kraft zuteil werden lassen.

Moroni faßt die Lehre von der Gnade sehr prägnant zusammen: „Verzichtet auf alles, was ungöttlich ist, und liebt Gott mit aller Macht, ganzem Sinn und aller Kraft, dann ist seine Gnade ausreichend für euch, damit ihr durch seine Gnade in Christus vollkommen seiet; …

Dann seid ihr durch die Gnade Gottes in Christus geheiligt, nämlich dadurch, daß das Blut Christi vergossen wurde.” (Moroni 10:32,33.)

Hoffnung durch Jesus Christus

Welch herrliche Evangeliumsbotschaft tut sich einem auf, wenn man diese Lehre von der Gnade versteht, die uns dazu bewegt, unseren Glauben und unsere Hoffnung noch mehr auf Jesus Christus auszurichten. Durch die Gnade Gottes des Vaters werden wir besser erkennen, wie wir zum Sohn kommen (siehe l Nephi 15:14,15).

Unterwerfen wir uns dem Willen des Vaters, erkennen wir an, daß sein Wille über allem steht. Wie dankbar wir doch sein müssen, daß wir uns seinem Willen unterwerfen dürfen, denn er und sein Sohn tun nichts, „was nicht der Welt zum Nutzen ist” (2 Nephi 26:24).

Indem wir uns bemühen, daß der Herr noch völliger in unser Leben eingreift,

• wachsen wir „an Gnade und an Erkenntnis der Wahrheit” (LuB 50:40),

• lehren wir eifrig und ist seine Gnade mit uns (siehe LuB 88:78),

• empfangen wir für unser Mühen „die Gnade Gottes, … damit [wir] an Geist zunähmen, … so daß [wir] mit Kraft und Vollmacht von Gott predigen könnten” (Mosia 18:26),

• verwirken wir die Gnade nicht (siehe LuB 20:32),

• empfangen wir „Gnade um Gnade” (siehe LuB 93:20).

„Laßt uns also voll Zuversicht hingehen zum Thron der Gnade, damit wir Erbarmen und Gnade finden und so Hilfe erlangen zur rechten Zeit.” (Hebräer 4:16.)

Ich bezeuge: wenn wir nach der Gnade Gottes trachten, dann steht er uns und unseren Lieben zur rechten Zeit bei. Gehorchen wir dem Herrn in allem, und bringen wir ihm das höchste Opfer, nämlich „ein reuiges Herz und einen zerknirschten Geist”, dar (siehe 3 Nephi 9:20; siehe auch 3 Nephi 12:19).

Und nun gebe ich als Siebziger des Herrn und als besonderer Zeuge für Christus, der in aller Welt von seinem Namen Zeugnis geben und „vor [seinem] Angesicht einen Weg … bereiten” soll (LuB 124:139), Zeugnis von der Erhabenheit Gottes des Vaters und des Sohnes.

Ich bezeuge, daß Jesus Christus lebt, daß er heute genauso in das Leben eines Menschen eingreifen kann wie damals, als er unter den Menschen gelebt hat.

Ich bezeuge vor der Kirche, daß der Herr in mein Leben eingegriffen und mich von einer unheilbaren Krankheit geheilt hat. Ich bezeuge auch, daß er meinem Leben die Richtung weist, durch seine liebende und doch züchtigende Hand, daß er meine Seele läutert, meine Gefühle tiefer macht, mir

Sündenvergebung gewährt und mir die Seele mit Gottesliebe erfüllt.

Brüder und Schwestern, wir dürfen niemals zulassen, daß Prüfung oder Bedrängnis uns von der Liebe Gottes und von der wahren Liebe Christi scheiden (siehe Römer 8:31,35-39).

Mögen wir „diesen Jesus … suchen, von dem die Propheten und Apostel geschrieben haben, damit die Gnade Gottes des Vaters und auch der Herr Jesus Christus und der Heilige Geist, der von ihnen Zeugnis gibt, in [uns] seien und verbleiben immerdar” (Ether 12:41). Möge die Gnade Gottes immer mit Ihnen sein (siehe Römer 16:20). Darum bete ich im Namen Jesu Christi. Amen.