Jeden Schritt im Glauben
W/r müssen dafür sorgen, daß der Glaube, den wir als Vermächtnis von unseren Pioniervorfahren erhalten haben, niemals verloren geht. Ihr heldenhaftes Leben soll unser Herz … berühren.
In diesem Jahr, 1996, haben wir hier das hundertjährige Bestehen des Staates Utah gefeiert, und alle Einwohner hatten Gelegenheit, über die bedeutenden Leistungen der vergangenen 100 Jahre nachzudenken. 1997 wird die Kirche den 150. Jahrestag der Ankunft der Pioniere im Salzseetal feiern. In dem Jahr der 150-Jahrfeiern werden die Mitglieder der Kirche in aller Welt die Möglichkeit haben, ihre Aufmerksamkeit auf den Zug der Pioniere von Nauvoo ins Salzseetal zu richten. Das Motto der 150-Jahrfeier lautet: „Jeder Schritt im Glauben.”
Im August bin ich den Spuren unserer Pioniere entlang des Mormon Trau durch Wyoming und Utah gefolgt. Ich habe mich gefragt, warum unsere treuen Vorfahren so schreckliches Leid erduldet haben und warum sie bereitwillig solche gewaltigen Schwierigkeiten auf sich genommen haben. Vielleicht war ein Grund dafür, daß sie so opferbereit und ausdauernd waren, der, daß sie uns allen ein Vermächtnis des Glaubens hinterlassen sollten, damit wir unsere dringliche Verantwortung spüren, vorwärtszugehen und die Kirche in der ganzen Welt aufzurichten. Wir brauchen heute bei jedem unserer Schritte die gleicheHingabe wie die Pioniere bei jedem ihrer Schritte.
Präsident Joseph F. Smith, der als neunjähriger Junge mit den Pionieren nach Utah gezogen war, sagte auf der Generalkonferenz im April 1904: „Ich glaube fest daran, daß die Billigung, der Segen und die Gunst des Allmächtigen Gottes … das Schicksal seines Volkes von der Gründung der Kirche bis zur Gegenwart gelenkt haben und daß seine alles beherrschende Macht uns bewahrt … und uns bei jedem unserer Schritte und auf unseren Reisen hierher in die Gipfel der Berge geführt hat.”1 Unsere Pioniervorfahren haben praktisch alles geopfert, was sie hatten, in vielen Fällen sogar ihr Leben, um dem Propheten Gottes in dieses erwählte Tal zu folgen.
Mit den Feiern im nächsten Jahr werden die Pioniere auf der ganzen Welt geehrt, nicht nur Utahs Pioniere. Als Vorsitzender des Komitees der Kirche für diese Hundertfünfzigjahrfeiern bitte ich Sie, die Führer in den Pfählen und Gemeinden, setzen Sie die Feiern anläßlich des hundertfünfzigsten Jahrestags des Einzugs der Pioniere auf die Tagesordnung Ihrer nächsten Ratssitzung. Befassen Sie sich bitte mit den Richtlinien, die wir Ihnen im Januar 1995 geschickt haben, sowie mit den Informationen, die Sie in den darauffolgenden Monaten erhalten haben. Wählen Sie in Ihrer Ratssitzung passende und wichtige Aktivitäten aus, um zu gewährleisten, daß Ihre Mitglieder 1997 ein geistig erfüllendes Erlebnis haben.
Die allermeisten von Utahs Pionieren waren zu Fuß gekommen, als sie zum ersten Mal das große Salzseetal mit dem Beifuß, der Mormonentulpe und der salzverkrusteten öden Landschaft erblickten. Manche kamen sogar barfuß an, nachdem sie auf dem 2000 Kilometer langen Weg über die Prärie, durch die Wüste und über die Berge ungeheure Strapazen erduldet hatten. Ehe die Eisenbahn 1869 das Territorium Utah erreichte, hatten etwa 70000 Pioniere, 9600 Wagen und 650 Handkarren den Weg von Winter Quarters im heutigen lowa und Nebraska zum Salzseetal zurückgelegt.2 Jeder Pionier, der vom Mississippi bis ins große Salzseetal zu Fuß ging, brauchte für diese Strecke Millionen von Schritten. Unter günstigen Umständen dauerte die Reise etwas über drei Monate. Wenn an einem Tag über 20 Kilometer zurückgelegt wurden, galt das als ein guter Tag. Insgesamt legten unsere Pioniere Milliarden von Schritten im Glauben zurück.
Unterwegs entwickelte sich häufig eine liebevolle Beziehung zwischen dem Pionier und seinem Ochsengespann. Joseph F. Smith berichtet: „Die beiden Leitochsen hießen Thom und Joe - wir hatten sie selbst aufgezogen, und sie waren beide weiß. Thom war gut gewachsen, lebhaft, jung und intelligenter als mancher Mensch. Wenn es auf langen Durststrecken über sandige oder unebene Wege ging, brüllten meine Ochsen oft vor Hitze und Erschöpfung. Ich legte die Arme um Thoms Hals und weinte bittere Tränen! Mehr konnte ich nicht tun. Thom war mein liebster und bester, bereitwilligster und gehorsamster Diener und Freund.”3
Der Auszug der Pioniere aus Nauvoo begann am 4. Februar 1846. Fast vier Jahre zuvor, im August 1842, hatte der Prophet Joseph Smith bereits erklärt, daß er von dem bevorstehenden Zug nach Westen wußte: „Ich prophezeite, daß die Heiligen auch weiterhin viel Bedrängnis erleiden müßten und in die Rocky Mountains gejagt werden würden; viele würden abfallen, andere würden von unseren Verfolgern umgebracht werden oder infolge von Entbehrung und Krankheit ihr Leben verlieren; einige aber werden am Leben bleiben und hingehen und mithelfen, Niederlassungen zu gründen und Städte zu bauen, und sie werden es erleben, daß die Heiligen mitten in den Rocky Mountains ein mächtiges Volk werden.”4
Brigham Young hatte einmal eine Vision von Joseph Smith, in der dieser ihm einen Berg und auf dem Berggipfel ein Banner zeigte und zu ihm sagte: „Laßt euch auf dem Land unterhalb des Banners nieder, dann wird es euch wohl ergehen, und ihr werdet Frieden haben.”5 Präsident Young erkannte diesen Berggipfel wieder, als die Heiligen im Juli 1847 im Salzseetal ankamen, und das war für ihn die Bestätigung dessen, daß die Pioniere ihren Bestimmungsort, ihr Zion in den Bergen, erreicht hatten.
Wir kennen diesen kegelförmigen Berg mit dem kuppeiförmigen Gipfel heute als Ensign Peak. Er erhebt sich nördlich von hier über dem Tal.
Der Auszug aus Nauvoo und die Reise über Prärien, Flüsse und Berge ins Salzseetal war ein Treck gewaltigen Ausmaßes. Bei Mt. Pisgah, einer der provisorischen Siedlungen der Heiligen, die in lowa errichtet wurden, schrieb Wilford Woodruff: „Ich hielt meinen Wagen oben auf einem Hügel mitten in der hügeligen Prärie an, von wo ich einen weiten Blick über die ganze Umgebung hatte. Ich sah die Heiligen zu Tausenden mit ihren Wagen, ihren Schafen und Rindern aus allen Richtungen über Hügel und durch Täler, durch kleine Wälder und über die Prärie kommen. Es sah aus wie eine Völkerwanderung.”6
Auf dem Weg durch lowa galt die Sorge der Pioniere der Beschaffung von Nahrungsmitteln und Futter, Brennholz und sonstigem Feuer; außerdem machten ihnen Schnee, Regen und Schlamm unaufhörlich zu schaffen. „Eine gebrochene Achse oder ein fehlender Ochse waren eine Katastrophe.”7 Viele waren naß, erkältet, schwach und unterernährt und wurden deshalb schwer krank.
Die 400 Kilometer lange Reise von Nauvoo nach Winter Quarters dauerte 131 Tage. Im Vergleich dazu dauerte die Reise von Winter Quarters nach Salt Lake City, die fast viermal so lang war, nämlich etwa 1600 Kilometer, nur etwa 111 Tage.8
Die unvergeßlichsten und tapfersten Pioniere waren wohl die Heiligen, die die Reise in Handkarrenabteilungen machten. Diese Abteilungen brachten von 1856 bis 1860 fast 3000 Pioniere in den Westen.9 1856 machten sich zwei Handkarrenabteilungen, zu denen unter der Führung von James G. Willie und Edward Martin 1075 Pioniere gehörten, später als geplant auf den Weg und waren im heutigen Wyoming frühen Schneestürmen ausgesetzt.10 Peter Howard McBride, der damals erst sechs Jahre alt war, gehörte zur Martin-Handkarrenabteilung. Sein Vater hatte geholfen, die Handkarren durch den eisigen Fluß zu schieben; er starb noch am selben Abend in der eisigen Kälte im Schnee. Peters Mutter war krank; seine ältere Schwester Jenetta kümmerte sich um die jüngeren Kinder. Ihre Schuhe waren längst abgetragen, und ihre Füße hinterließen blutige Spuren im Schnee. Am Ufer des Sweetwater River blies der Wind in der Nacht ihr Zelt um. Alle eilten schnell hinaus, als der Schnee das Zelt bedeckte, alle außer dem kleinen Peter. Er berichtet: „Am Morgen hörte ich jemand sagen:, Wie viele sind in diesem Zelt tot?’ Meine Schwester sagte:, Mein kleiner Bruder muß in diesem Zelt erfroren sein/ Also machten sie das Zelt los und warfen es oben auf den Schnee. Mir waren die Haare am Zelt festgefroren. Ich stand auf und kam zu ihrer Überraschung recht lebendig heraus.”11
Die Erlebnisse von Jens Neilson gehören zu den bewegendsten Geschichten über Opferbereitschaft, Glauben und Nächstenliebe. Er gehörte zur Willie-Handkarrenabteilung. Jens Neilson, ein recht wohlhabender dänischer Landwirt, hatte in England eine Mission erfüllt. Dann war er dem Ruf gefolgt, seine Familie nach Zion zu bringen. In lowa schrieb er seinem Sohn, daß er all sein Geld der Kirche gegeben und nur soviel behalten hatte, daß er einen Handkarren kaufen konnte, den er pro Person mit 15 Pfund ihrer Habseligkeiten belud. Er schrieb: „Gehorsam ist besser als Opfer.” Jens war für sich selbst, seine Frau Elsie, ihren sechsjährigen Sohn Neils und ein neunjähriges Mädchen, Bodil Mortensen, dem er angeboten hatte, es nach Utah mitzunehmen, verantwortlich. Als in Wyoming der erste Schnee fiel, sank die Temperatur während der heftigen Schneestürme auf 23 Grad unter Null. Schon Tage zuvor hatten sie ihr letztes Pfund Mehl verzehrt, aber irgendwie schafften sie es über den heimtückischen Bergkamm Rocky Ridge, angetrieben von ihrem unbezwingbaren Mut und ihrem unbesiegbaren Glauben. Tragischerweise starben 13 von der Abteilung am Rock Creek und wurden im Schnee begraben, unter ihnen Neils, der Sohn von Jens und Elsie, und die kleine Bodil Mortensen.
Präsident Hinckley beschreibt diesen Teil des Weges als „einen Weg voller Tragödien, einen Weg des Glaubens, einen Weg der Weihung und der Hingabe, ja, der Hingabe des eigenen Lebens.”12
Jens kam mit erfrorenen Füßen am Rock Creek, knapp zwanzig Kilometer jenseits des Rocky Ridge, an. Er konnte keinen Schritt mehr gehen und flehte Elsie an: „Laß mich am Wegrand im Schnee sterben; geh du allein weiter und versuch, die Abteilung einzuholen und dein Leben zu retten.” Elsie antwortete mit dem entschlossenen Mut der Pioniere: „Setz dich hinein, ich kann dich nicht verlassen; ich kann den Handkarren ziehen.”13 Solche Kraft und solchen Glauben bewiesen viele Pionierfrauen auf dem Treck.
Eine Kuh trug dazu bei, daß die Familie meiner Urgroßmutter Margaret McNeil das Nötigste zu essen hatte, als sie aus Schottland nach Zion kamen.
Die zwölfjährige Margaret mußte jeden Morgen früh aufstehen und für ihre Familie das Frühstück zubereiten und die Kuh melken, damit sie mit der Kuh der Abteilung vorauseilen konnte. Dann ließ sie die Kuh grasen. Sie schrieb: „Die Kuh versorgte uns mit Milch, unserem Hauptnahrungsmittel. … Hätten wir die Milch nicht gehabt, wären wir verhungert.
Eines Abends lief die Kuh aus dem Lager fort, und ich wurde losgeschickt, um sie zurückzuholen. Ich achtete nicht darauf, wo ich hintrat; ich war barfuß. Plötzlich spürte ich, daß ich auf etwas Weichem ging. Ich blickte nach unten, um herauszufinden, was es sein mochte, und stellte zu meinem Entsetzen fest, daß ich in einem Nest großer und kleiner Schlangen stand. Bei ihrem Anblick wurde ich so schwach, daß ich mich kaum bewegen konnte; mir fiel nichts anderes ein, als zu beten, und irgendwie sprang ich dort heraus. Der Herr segnete mich und sorgte für mich.
Wir kamen am 4. Oktober [1859] nach einer Reise voller Mühsal und Hunger in Ogden in Utah an. … Ich war jeden Schritt des Weges über die Prärie zu Fuß gegangen.”14
Präsident Joseph F. Smith, der selbst den Zug nach Westen und die ersten siebzig mühseligen Jahre in diesem Tal miterlebt hat, hat einmal darüber gesprochen, wie der Herr schützend die Hand über die Heiligen der Letzten Tage gehalten hat:
„Unsere lieben Freunde aus dem Osten kamen in der Anfangszeit gern hierher und machten uns Vorwürfe. Sie sagten:, Hier erfüllt sich doch der Fluch Gottes über euch. Ihr seid aus den fruchtbaren Gebieten von Illinois und Missouri in eine Wüste, eine Salzwüste, vertrieben worden.’ Ich sagte: Ja, wir haben hier Gott sei Dank genug Salz, um die Welt zu retten, und wir werden irgendwann Verwendung dafür finden.’”15 Es gab eine Zeit, als es kein Futter für das Vieh gab und das Rindfleisch so mager war, daß das Fett nicht einmal ausreichte, um anständige Seife daraus zu machen. „Aber da sandte der Herr eine Handvoll Alfalfasamen ins Tal, und Christopher Layton säte ihn aus, bewässerte ihn, und er gedieh; und aus diesen kleinen Anfängen heraus bringt Utah heute eine reichere Heuernte ein als Illinois oder Missouri.”16
Der Herr ermutigt uns wahrhaftig, im Glauben bis zum Ende des Lichts und darüber hinaus - ins Unbekannte - zu gehen. Wenn unser Glaube geprüft worden ist, erleuchtet er wieder den Weg vor uns, und unsere Reise, bei der jeder Schritt im Glauben geschieht, geht weiter. Inzwischen ist sie weltweit auf Milliarden und Abermilliarden von Schritten angewachsen. In den 20 Jahren, die ich jetzt schon als Generalautorität diene, habe ich die weltweite Ausbreitung der Kirche gesehen, und ich staune über die Auswirkungen der Arbeit unserer Pioniere in jedem Land, in dem sie die Kirche durch ihren Glauben und ihre Opfer aufrichten. Ich empfinde wie Präsident Heber J. Grant, der gesagt hat: „Wenn ich an [die Pioniere] denke, bin ich immer voller Bewunderung und Dankbarkeit und bitte den Herrn im Gebet, mir als einem der Nachfahren dieser edlen Schar, zu helfen, so treu und gläubig zu sein wie sie!”17
Brüder und Schwestern, schließen Sie sich uns an, und beginnen Sie jetzt mit den Vorbereitungen für die geistige Reise im nächsten Jahr, bei der wir den Spuren unserer geliebten Pioniere folgen und das Vermächtnis feiern, das die Pioniere in jeder Einheit der Kirche in jedem Land hinterlassen haben. Wir müssen dafür sorgen, daß der Glaube, den wir als Vermächtnis von unseren Pioniervorfahren erhalten haben, niemals verlorengeht. Ihr heldenhaftes Leben soll unser Herz und vor allem das Herz unserer Jugendlichen berühren, damit das Feuer des wahren Zeugnisses und der unerschütterlichen Liebe zum Herrn und zu seiner Kirche in jedem von uns so hell lodert wie bei unseren treuen Pionieren. Was sie vollbracht haben, war möglich, weil sie wußten, wie ich es weiß, daß unser himmlischer Vater und sein geliebter Sohn Jesus Christus das Evangelium Jesu Christi durch den Propheten Joseph Smith wiederhergestellt haben und daß diese Kirche weiter dahinrollen wird, bis sie die ganze Erde erfüllt. Das bezeuge ich im Namen Jesu Christi, amen.