Laufen und nicht müde sein
Ich fordere euch auf, steht vor euren Altersgenossen als Beispiel für ein rechtschaffenes Leben da.
Äs der Anfangszeit der Kirche wird berichtet, daß der Herr im Winter 1833 die Anweisung gab, daß eine Schule der Propheten eingerichtet werden sollte, damit sie in allem unterwiesen werden konnten, was für sie ratsam war (siehe LuB 88:127). Sie sollte im Obergeschoß des Ladens von Newell K. Whitney stattfinden. Die Brüder kamen zur Schule, um sich von dem Propheten Joseph Smith unterweisen zu lassen. Manche hatten es sich angewöhnt, Tabak zu kauen und zu rauchen, und es fiel dem Propheten schwer, in dem rauchgeschwängerten Zimmer Geistiges zu vermitteln. Weil diese Umstände Joseph Smith beunruhigten, fragte er den Herrn, ob das für die Brüder angemessen sei. Als Antwort auf sein Gebet erhielt er die Offenbarung, die heute als das Wort der Weisheit bekannt ist.
Das Wort der Weisheit enthält einige sehr positive Aspekte. Es spricht sich dafür aus, daß wir Getreide gebrauchen, vor allem Weizen, und daß wir Obst und Gemüse gebrauchen und Fleisch nur sparsam gebrauchen. Bekannt ist es auch deswegen, weil es den Gebrauch von Alkohol, Tabak, Tee und Kaffee völlig untersagt. Dem haben die Führer der Kirche hinzugefügt, daß wir uns solcher Drogen wie Marihuana, Kokain usw. enthalten und auch verschreibungspflichtige Medikamente nicht mißbrauchen sollen.
In dieser Offenbarung werden die folgenden besonderen Verheißungen ausgesprochen, wie sie in Abschnitt 89 von Lehre und Bündnisse enthalten sind:
„Und alle Heiligen, die darauf bedacht sind, diese Worte zu befolgen und zu tun und die in ihrem Wandel den Geboten gehorchen - Gesundheit werden sie empfangen in ihrem Nabel und Mark für ihr Gebein, Weisheit und große Schätze der Erkenntnis werden sie finden, ja, verborgene Schätze, laufen werden sie und nicht müde sein, gehen werden sie und nicht ermatten.
Und ich, der Herr, gebe ihnen die Verheißung, daß der zerstörende Engel an ihnen vorübergehen wird wie an den Kindern Israel und sie nicht töten wird.” (LuB 89:18-21.)
Ich werde immer dankbar sein, daß unsere rechtschaffenen Eltern uns beigebracht haben, was im Wort der Weisheit steht. Und über das hinaus, was sie uns vermittelt haben, sind wir in der PV, in der Sonntagsschule und von unseren Lehrern im Priestertum gründlich unterwiesen worden.
Ganz besonders erinnere ich mich noch daran, wie eine PV-Lehrerin einen Artikel aus der Improvement Era vorgelesen hat. Ich habe die Geschichtsabteilung der Kirche gebeten, ihn für mich herauszusuchen, und habe festgestellt, daß er es wert ist, hier wiederholt zu werden. Die Geschichte ist der Improvement Era vom Oktober 1928 entnommen und handelt von Creed Haymond, einem jungen Mormonen, der an der University of Pennsylvania studieren wollte und dort auch aufgenommen wurde. Er war ein Athlet, der für seine Geschwindigkeit bekannt war, und aufgrund der Art und Weise, wie er sich verhielt und wie er sich engagierte, wurde er zum Kapitän der Leichtathletikmannschaft gewählt.
Dann fand Ende Mai 1919 im Harvard-Stadion das jährliche College - Sportfest der Leichtathleten von Amerika statt. Die besten College - Athleten kamen nach Cambridge - insgesamt siebzehnhundert. Bei den Vorentscheidungen hatten sich für Penn (der University of Pennsylvania) siebzehn Mann qualifiziert. Bei Cornell (der Cornell University), dem am meisten gefürchteten Rivalen, hatten sich nur zehn qualifiziert. Die Perm - Mannschaft hatte gute Aussichten, den Meistertitel zu holen. Die Punktzahl wurde anhand der ersten fünf Plätze ermittelt - fünf für den ersten Platz, vier für den zweiten, drei für den dritten, zwei für den vierten, einer für den fünften. Natürlich hatte die Mannschaft mit den meisten qualifizierten Teilnehmern die größten Chancen auf den Meistertitel.
Der Trainer von Penn war am Abend vor dem Wettkampf in guter Stimmung. Er machte noch bei seiner Mannschaft die Runde, ehe sie schlafen gingen. Er kam auch in Creeds Zimmer und sagte: „Creed, wenn wir morgen unser Bestes geben, schaffen wir es.”
Dann zögerte der Trainer. „Creed, ich gebe den Jungs heute abend ein bißchen Sherry. Ich möchte, daß du auch ein bißchen trinkst - nur ein bißchen natürlich.”.
„Ich möchte nicht, Trainer.” „Aber Creed, ich will dich doch nicht betrunken machen. Ich weiß, was ihr Mormonen glaubt. Ich gebe euch den Sherry als Stärkungsmittel, nur damit ihr alle euer Bestes geben könnt.”
„Er wird mir aber nicht guttun, Trainer; ich trinke nichts.”
Der Trainer erwiderte: „Denk daran, Creed, du bist der Mannschaftskapitän und unser beste Punkteholer. Vierzehntausend Studenten erwarten von dir, daß du diesen Wettbewerb gewinnst. Wenn du uns hängen läßt, verlieren wir. Ich muß doch wissen, was für dich gut ist.”
Creed wußte, daß andere Trainer der Meinung waren, ein bißchen Wein sei ganz nützlich, wenn ihre Leute fest trainiert hatten und die Muskeln und Nerven zum Zerreißen gespannt waren. Er wußte aber auch, daß das, worum der Trainer ihn da bat, gegen alles verstieß, was er seit seiner frühesten Kindheit gelernt hatte. Er sah dem Trainer in die Augen und sagte: „Ich trinke nichts.”
Der Trainer erwiderte: „Du bist ein merkwürdiger Bursche, Creed. Du trinkst beim Training keinen Tee. Du hast so deine eigenen Ansichten. Na ja, mach, was du für richtig hältst.”
Dann ging der Trainer und ließ seinen Mannschaftskapitän in äußerst beunruhigter Stimmung zurück. Was war, wenn er am nächsten Tag nicht gut war? Was konnte er seinem Trainer dann sagen? Er mußte gegen die schnellsten Männer der Welt antreten. Und er mußte sein Bestes geben. Wegen seinem Eigensinn entging Penn vielleicht der Meistertitel. Seinen Mannschaftskameraden wurde gesagt, was sie zu tun hatten, und sie hielten sich daran. Sie glaubten an ihren Trainer. Welches Recht hatte er, ungehorsam zu sein? Es gab nur einen Grund. Sein Leben lang war ihm beigebracht worden, das Wort der Weisheit zu befolgen.
Es war eine entscheidende Stunde im Leben dieses jungen Mannes. Mit aller geistigen Kraft seines Wesens kniete er nieder und bat den Herrn inständig, ihm ein Zeugnis davon zu geben, aus welcher Quelle die Offenbarung stammte, an die er seit jeher glaubte und die er befolgte. Dann ging er zu Bett und schlief fest.
Am nächsten Morgen kam der Trainer in sein Zimmer und fragte: „Wie fühlst du dich, Creed?”„Gut”, erwiderte der Kapitän fröhlich. „Alle anderen sind krank. Ich weiß nicht, was mit ihnen los ist”, sagte der Trainer ernst.
„Vielleicht liegt es an dem Stärkungsmittel, das Sie ihnen gegeben haben, Trainer.”
„Vielleicht”, erwiderte der Trainer.
Um zwei Uhr saßen 20000 Zuschauer an ihrem Platz und warteten darauf, daß der Wettkampf begann. Als die Ereignisse ihren Lauf nahmen, wurde es offensichtlich, daß mit der wundervollen Perm - Mannschaft etwas nicht in Ordnung war.
In einem Wettbewerb nach dem anderen leisteten ihre Mitglieder weniger, als von ihnen erwartet wurde. Manche waren sogar zu krank, um überhaupt mitzumachen.
Der Hundertmeterlauf und der Zweihundertmeterlauf waren Creeds Rennen. Die Perm - Mannschaft war dringend darauf angewiesen, daß er gewann. Er mußte gegen die fünf schnellsten Männer der amerikanischen Universitäten antreten. Als die Männer für den Hundertmeterlauf an den Start gingen und die Pistole abgefeuert wurde, sprang jeder von ihnen in die Luft und rannte los, das heißt, jeder bis auf einen - Creed Haymond. Derjenige, der im Training in der zweiten Bahn gelaufen war, hatte ein paar Zentimeter hinter der Stelle, wo Haymond sich gerade hingekniet hatte, ein Loch für seine Fußspitze gegraben. Damals gab es noch keine Startblöcke wie heute. Als Creed jetzt mit großer Wucht gestartet war, hatte die Erde nachgegeben, und er war hinter der Startlinie auf dem Knie gelandet.
Er erhob sich und versuchte, den schlechten Start wieder wettzumachen. Bei sechzig Metern lag er an letzter Stelle. Dann schien er am fünften Mann vorbeizufliegen, dann am vierten, dann am dritten, dann am zweiten. Kurz vor der Ziellinie, das Herz klopfte ihm bis zum Hals, lief er wie ein Wirbelwind am letzten Mann vorbei zum Sieg.
Aufgrund eines Fehlers in der Terminplanung war das Halbfinale für den Zweihundertmeterlauf erst kurz vor dem Ende des Wettkampfs abgeschlossen. Die Penn-Mannschaft war den ganzen Tag
vom Pech verfolgt gewesen, und ausgerechnet jetzt hatte Creed Haymond gerade erst seinen Hundertmeterlauf absolviert. Fünf Minuten nach dem Sieg wurde er aufgerufen, im Zweihundertmeter-Endlauf anzutreten, dem letzten Wettbewerb des Tages. Einer der anderen Männer, der kurz vorher noch gelaufen war, kam zu ihm. „Erkläre dem Starter, daß du eine Pause brauchst, bevor du wieder läufst. Nach den Regeln hast du ein Anrecht darauf. Ich bin noch völlig außer Atem, und ich bin das Rennen vor deinem gelaufen.”
Creed ging keuchend zum Starter und flehte ihn an, ihm mehr Zeit zu geben. Der Funktionär gestand ihm zehn Minuten zu. Die Menge verlangte allerdings lautstark, daß das letzte Rennen begann. Widerstrebend rief er die Läufer an den Start. Unter normalen Bedingungen hätte Creed das Rennen nicht gefürchtet. Er war wahrscheinlich der schnellste Mann der Welt über diese Distanz, aber er war an dem Nachmittag bereits drei Rennen gelaufen - und eins von ihnen war sein nervenzerreißender Hundertmeterlauf gewesen.
Der Starter rief die atemlosen Männer an den Start, erhob die Pistole, und mit einer kleinen Rauchwolke begann das Rennen. Diemal schoß der Kapitän der Penn-Mannschaft buchstäblich aus dem Startloch heraus. Bald lag er deutlich vor dem Feld und übernahm die Führung. Er sprintete vom Feld weg, und als er über die Ziellinie gerast kam, lag er acht Meter vor dem nächsten Läufer. Damit gewann er seinen zweiten Lauf, diesmal über die Distanz von zweihundert Metern.
Penn hatte den Wettkampf verloren, aber der Mannschaftskapitän hatte die Fans mit seinen hervorragenden Rennen in Begeisterung versetzt.
Am Ende jenes merkwürdigen Tages fiel Creed Haymond, als er schlafen ging, plötzlich seine Frage vom Abend zuvor ein, nämlich ob das Wort der Weisheit wirklich von Gott war. Vor seinem geistigen Auge liefen noch einmal die Ereignisse des Tages ab - seine Mannschaftskameraden, die den Wein getrunken hatten, waren alle krank gewesen; er hatte nichts getrunken und Siege errungen, die selbst ihn in Erstaunen versetzten. Da wurde ihm durch den Geist die feste Gewißheit zuteil, daß das Wort der Weisheit wirklich von Gott ist. (Siehe „Speed and the Spirit”, Joseph J. Cannon, The Improvement Era, Oktober 1928, Seite 1001-1007.)
Ich frage mich, ob es in unserer Zeit ausreicht, wenn man nur den Mut hat, „nein” zu sagen, oder ob wir nicht darüber hinaus auch unseren Mitmenschen dienen müssen, indem wir ihnen helfen,
den schweren Fluch zu überwinden, der unserer Gesellschaft so sehr zu schaffen macht. Ich wünsche mir, ich hätte an einem bestimmten Punkt in meinem Leben ein wenig mehr Einfluß geltend gemacht und einen Freund davon abgehalten, eine schädliche Substanz zu sich zu nehmen. Wir waren auf einem Scoutausflug im Yellowstone Park. An einem Abend gingen wir spät noch zu dem Geisier Old Faithful, um uns anzusehen, wie das heiße Wasser heraussprudelte. Auf dem Rückweg zu unseren Zelten hielt mein Freund mich an einer finsteren, etwas abgelegenen Stelle an und zog eine Dose Bier hervor. Ich weiß nicht, wie er es geschafft hatte, sie sich zu besorgen. Er sagte: „Ich habe noch etwas Gutes für uns beide/’ Dann bot er an, die Dose mit mir zu teilen. Natürlich war ich zu Hause so erzogen worden und war von meinen großartigen Führern in den Hilfsorganisationen und im Priestertum in der Kirche so gut unterwiesen worden, daß sein Angebot für mich keinerlei Versuchung darstellte. Er trank die ganze Dose leer, und ich unternahm keine Anstrengung, um ihn davon abzubringen. Unsere Freundschaft nahm dadurch Schaden. Ich weiß eigentlich nicht, warum. Vielleicht hatte ich Schuldgefühle, weil ich ihn nicht nachdrücklicher am Trinken gehindert hatte. Und er befürchtete vielleicht, ich könnte irgendwie etwas weitererzählen, was dann seinen Eltern zu Ohren kam. Auch in den Jahren danach hat mich der Verlust dieser Freundschaft immer traurig gestimmt.
Heute ist der Fluch des Trinkens und der Drogen zum landesweiten Alptraum geworden. Er ist die Ursache der meisten Verbrechen und Unfälle, Entlassungen und zerrütteten Familien. Ihr großartigen jungen Männer im Aaronischen Priestertum müßt für die gesellschaftlichen Kosten dieser entsetzlichen Krankheit aufkommen, wenn ihr einmal erwachsen seid. Es muß einfach etwas geschehen, damit dieser destruktiven Kraft Einhalt geboten wird. Ich fordere euch auf, steht vor euren Altersgenossen als Beispiel für ein rechtschaffenes Leben da. Ich weiß, der Herr wird seine Verheißung euch gegenüber erfüllen, indem er euch mit Gesundheit, Erkenntnis und Weisheit segnet, die euch von der Welt im allgemeinen abhebt. Euer rechtschaffenes Beispiel wird auch vielen, vielen anderen zum Segen gereichen.
Gott segne euch, daß ihr den Mut haben mögt, so zu leben, wie ihr leben sollt, und beispielhaft nach den erhabenen Evangeliumsgrundsätzen zu leben, die uns soviel bedeuten. Darum bete ich in Demut im Namen Jesu Christi, amen.