1990–1999
Die rettende Hand
Oktober 1996


Die rettende Hand

Nehmen Sich sich fest vor, die zu suchen, die Hilfe brauchen, die sich in verzweifelten und schwierigen Umständen befinden, und sie voll Liebe in die Arme der Kirche emporzuheben.

Jetzt, zum Schluß dieser großen Generalkonferenz der Kirche, nur ein paar Worte.

Es war wundervoll. Das Wetter war uns hier in Salt Lake City gnädig gesinnt. Dies ist eine wunderschöne Jahreszeit, wenn die Herbstblumen in voller Blüte stehen. Die Ernte ist zum größten Teil eingebracht, und im Großen und Ganzen war sie gut. Wir sind dankbar, daß der Herr uns barmherzig ist.

Wir können hier in der heiligen Umgebung des Tempelplatzes, wo unsere Vorfahren so gut gebaut haben, daß wir es so bequem haben, in Frieden und Sicherheit zusammenkommen.

Die Konferenz ist in so weite Ferne übertragen worden wie nie zuvor - über die Kontinente und Ozeane zu den Menschen weit und breit. Von einigen von Ihnen sind wir zwar weit entfernt, aber wir spüren die Bruderschaft, die uns verbindet, und möchten Ihnen sagen, daß wir sehr dankbar für Sie sind. Am wichtigsten ist es, daß der Geist des Herrn in denkwürdiger und wundervoller Weise über uns ausgegossen worden ist. Die Brüder und die Schwestern haben zu uns gesprochen, und ihre Worte sind uns ein Segen.

Hoffentlich werden wir noch lange an das, was wir gehört haben, denken. Hoffentlich nehmen wir uns die Zeit, die Ansprachen zu lesen, wenn sie in der Zeitschrift der Kirche erscheinen. Hoffentlich ist jedem etwas von dem, was hier gesagt worden ist, auf ganz persönliche Weise ins Herz gedrungen, so daß jegliche unpassende Einstellung oder Verhaltensweise sich ändert.

Bruder Ballard hat uns daran erinnert, daß wir dieses Jahr etwas zu feiern haben, desgleichen im nächsten Jahr, wenn wir den Jahrestag der Ankunft der Mormonenpioniere begehen, die 1847 hier hergekommen sind. Das wird viele Erinnerungen wachrufen, und es wird alles sein Gutes haben. Wir müssen alle an die Vergangenheit erinnert werden. Aus der Geschichte gewinnen wir die Erkenntnis, die uns davor bewahren kann, Fehler zu wiederholen, und auf der wir für die Zukunft aufbauen können.

Dies ist eine Zeit, in der wir an die Vergangenheit denken und sie feiern. Dies sind Gedächtnistage.

Ich denke an das, was sich heute vor 140 Jahren in diesem Tabernakel zugetragen

hat. Ich habe schon vor ein paar Jahren von dieser Stelle aus darüber gesprochen, aber ich möchte es jetzt, zum Schluß dieser Konferenz, noch einmal erwähnen.

Versetzen Sie sich in die Zeit der Generalkonferenz im Oktober 1856 zurück. Am Samstag jener Konferenz kamen Franklin D. Richards und eine Handvoll Begleiter hier im Tal an. Sie waren mit starken Gespannen und leichten Wagen von Winter Quarters aufgebrochen und hatten nicht lange gebraucht. Bruder Richards suchte unverzüglich Präsident Young auf. Er berichtete, daß sich Hunderte von Männern, Frauen und Kindern auf dem langen Weg von Scottsbluff zu diesem Tal befanden. Die meisten zogen Handkarren. Sie wurden von zwei Wagenzügen begleitet, die den Auftrag hatten, ihnen behilflich zu sein. Sie waren bis zu der Stelle gelangt, wo sie zum letzten Mal den Platte River überqueren mußten. Vor ihnen lag noch ein Weg, der sie bergauf bis zur kontinentalen Wasserscheide führte, hinter der sie aber auch noch viele, viele Meilen zurücklegen mußten. Sie steckten in einer verzweifelten Lage. Der Winter war früh über sie hereingebrochen. Über das Hochland des heutigen Nebraska und Wyoming wehte der Wind den Schnee heran. Unsere Leute waren hungrig, ihre Handkarren und Planwagen hielten nicht mehr, ihre Ochsen verendeten. Die Leute selbst waren dem Tod nahe. Sie mußten alle umkommen, wenn sie nicht gerettet wurden.

Ich glaube, in jener Nacht hat Präsident Young nicht geschlafen. Ich glaube, er hatte ständig das Bild jener notleidenden, erfrierenden, sterbenden Menschen vor Augen.

Am nächsten Morgen kam er in das alte Tabernakel, das auf diesem Platz stand. Er sagte zu den Mitgliedern:

„Ich will jetzt den Mitgliedern unser heutiges Thema nennen und den Ältesten, die sprechen werden, den Text vorgeben. … Er lautet folgendermaßen. … Viele unserer Brüder und Schwestern befinden sich mit Handkarren draußen auf der Prärie, wahrscheinlich sind viele jetzt noch siebenhundert Meilen von hier entfernt. Wir müssen sie herbringen, und wir müssen ihnen Hilfe schicken. Der Text lautet:,Bringt sie her

Das ist meine Religion; das gebietet mir der Heilige Geist, der mit mir ist. Wir müssen sie retten.

Ich rufe heute die Bischöfe herbei. Ich warte nicht bis morgen, auch nicht bis übermorgen, ich brauche 60 gute Maultiergespanne und 12, 15 Wagen. Ich will keine Ochsen schicken. Ich will gute Pferde und Maultiere. Sie sind in diesem Territorium, und wir müssen sie herholen. Außerdem 12 Tonnen Mehl und 40 gute Fuhrleute, zusätzlich zu denen, die die Gespanne lenken.

Ich will euch sagen, daß all euer Glaube, eure Religion und euer Glaubensbekenntnis nicht einen einzigen von euch im celestialen Reich unseres Gottes erretten werden, wenn ihr nicht genau die Grundsätze verwirklicht, die ich euch jetzt lehre. Geht und bringt die Leute her, die jetzt noch da draußen auf der Prärie sind.” (In LeRoy R. Hafen und Arm W. Hafen, Handcarts to Zion, I960, Seite 120f.)

An jenem Nachmittag sammelten die Frauen Lebensmittel, Bettzeug und Kleidung in großen Mengen.

Am nächsten Morgen wurden die Pferde beschlagen und die Wagen repariert und beladen.

Am darauffolgenden Morgen, am Dienstag, brachen 16 Wagengespanne nach Osten auf. Bis Ende Oktober waren 250 Gespanne unterwegs, um Hilfe zu bringen.

Von dieser Kanzel sind schon wundervolle Predigten gehalten worden, Brüder und Schwestern. Aber keine war beredter als die, die Präsident Young damals gehalten hat.

Die Geschichten von den unterwegs steckengebliebenen Heiligen und von ihrem Leiden und Sterben werden im nächsten Jahr immer und immer wieder erzählt werden. Die Geschichten von ihrer Rettung müssen immer und immer wieder erzählt werden. Sie handeln vom Wesenskern des Evangeliums Jesu Christi. . Ich bin dankbar, daß die Pionierzeit hinter uns liegt. Ich bin dankbar, daß wir keine Brüder und Schwestern haben, die im Schnee steckengeblieben sind, die unterwegs erfrieren, während sie sich bemühen, hierher, zu ihrem Zion in den Bergen, zu gelangen. Aber es gibt Menschen, und es sind nicht wenige, die sich in einer verzweifelten Lage befinden und die um Hilfe schreien.

Es gibt in dieser Welt so viele Menschen, die hungrig sind und Not leiden. Ich bin dankbar, daß ich sagen kann, daß wir vielen helfen, die nicht unserem Glauben angehören, die sich aber in großer Not befinden und denen wir helfen können. Aber wir brauchen gar nicht so weit hinauszugehen. Auch unter unseren Mitgliedern gibt es Menschen, die vor Schmerz und Leid und Einsamkeit und Angst weinen. Wir haben die große und feierliche Verpflichtung, uns ihrer anzunehmen und ihnen zu helfen, sie aufzuheben, ihnen zu essen zu geben, wenn sie hungrig sind, und ihrem Geist Nahrung zu geben, wenn sie nach Wahrheit und Rechtschaffenheit dürsten.

Es gibt so viele junge Leute, die ziellos umherirren und den traurigen Weg der Drogen, der Gangs, der Unmoral und all der vielen anderen Übel gehen, die damit verbunden sind. Es gibt Witwen, die sich nach einer freundlichen Stimme und nach der besorgten Anteilnahme sehnen, aus der die Liebe spricht. Da sind diejenigen, in denen einmal das Feuer des Glaubens gebrannt hat, das aber inzwischen erloschen ist. Viele von ihnen möchten gern zurückkommen, wissen aber nicht so recht, wie. Sie brauchen eine freundliche Hand, die sich ihnen entgegenstreckt. Mit ein wenig Mühe können viele von ihnen wieder an den Tisch des Herrn zurückgebracht werden und sich dort laben.

Meine Brüder und Schwestern, ich hoffe, ich bete, daß jeder von uns, der an dieser großen Konferenz teilgenommen hat, sich fest vornimmt, nach denen zu suchen, die Hilfe brauchen, die sich in einer verzweifelten und schwierigen Lage befinden, und sie voll Liebe in die Arme der Kirche zurückzuholen, wo starke Hände und liebende Herzen sie wärmen und trösten, sie stark machen und sie auf den Weg zu einem glücklichen und produktiven Leben führen.

Ich gebe Ihnen, meinen geliebten Freunden, meinen Mitarbeitern in dieser wundervollen Sache, mein Zeugnis davon, daß dieses Werk wahr ist. Es ist das Werk des Allmächtigen, das Werk des Erlösers der Menschheit. Ich gebe Ihnen meine Liebe und meinen Segen, im Namen Jesu Christi, amen