Dem Glauben treu
Angesichts eines so großen Vermächtnisses müssen wir einfach unser Bestes geben. Diejenigen, die uns vorangegangen sind, erwarten das von uns. Wir haben einen Auftrag vom Herrn.
Vor dem Hintergrund dieser Bilder möchte ich nun noch etwas auf das eingehen, was wir heute, am Geburtstag der Kirche, bereits gehört und gesehen haben. Wir sind in diesem Jahr schon wiederholt daran erinnert worden, daß wir in diesem Jahr einen wichtigen Jahrestag begehen, und ich möchte darauf eingehen, wie gewaltig das war, was unsere Vorfahren geleistet haben, und was das für uns bedeutet. Die meisten von Ihnen kennen die Geschichte schon, aber sie ist es wert, noch einmal erzählt zu werden.
Es ist eine so unermeßliche Geschichte, die so erfüllt ist von menschlichem Leid und gläubigem Handeln, daß sie niemals überholt oder abgedroschen sein wird.
Ob Sie nun Nachkommen jener Pioniere sind oder ob Sie erst gestern getauft wurden - jeder einzelne ist Nutznießer des großen Unterfangens der Pioniere.
Es ist wunderbar, zu wissen, daß uns so große und gute Menschen vorangegangen sind! Es ist wunderbar, das erhabene Vermächtnis zu erhalten, das von der leitenden Hand des Herrn spricht, vom offenen Ohr seiner Propheten, vom völligen Engagement der großen Gemeinde von Heiligen, die diese Sache mehr liebten als ihr eigenes Leben! Da nimmt es nicht wunder, daß so viele Hundertausende von uns, ja, sogar Millionen sich im Juli die Zeit nehmen werden, der Pioniere zu gedenken, ihre großen Leistungen zu feiern und sich an dem Wunderbaren zu freuen, das aus der Grundlage, die sie gelegt haben, entstanden ist.
Ich möchte dazu Wallace Stegner zitieren; er gehört nicht der Kirche an, aber wir haben gleichzeitig an der University of Utah studiert. Später war Stegner in Stanford Professor für die Kunst des Schreibens und Pulitzer-Preisträger. Er war ein guter Beobachter und ein sorgfältiger Student. Über unsere Vorfahren hat er folgendes geschrieben:
„Sie schufen ein Gemeinwesen, oder, wie sie es genannt hätten, ein Reich. Aber die Geschichte ihrer Wanderung ist mehr als nur die Geschichte der Gründung Utahs. Auf ihrem Exodus erschlossen sie das südliche lowa vom Locust Creek bis zum Missouri, bahnten sie die ersten Straßen, bauten sie die ersten Brücken, gründeten sie die ersten Siedlungen. Am Missouri, bei Council Bluffs, verwandelten sie eine Handelsniederlassung und ein Indianerbüro in einen Vorposten der Zivilisation; sie gründeten Siedlungen an beiden Ufern des Flusses; sie machten Winter Quarters und später Kanesville für Reisende zu Rüststationen, die es mit Independence, Westport und St. Joseph aufnehmen konnten. Ihre Aufzeichnungen und Wegzeichen, ihre Brücken und Fähren waren zwar für die Mitglieder gedacht, die ihnen später folgten, aber sie dienten auch den Ändern.”
Er fährt fort: „Die Mormonen spielten bei der Besiedlung des Westens eine entscheidende Rolle. Der Kern der Mitglieder erschloß das südliche Iowa, das Grenzland am Missouri, Nebraska, Wyoming und Utah. Die Gruppe um Samuel Brannan, die auf der Brooklyn um Kap Hörn segelte, und das Mormonenbataillon, das zweitausend Meilen über Land von Fort Leavenworth nach San Diego marschierte, sind weitere Speerspitzen der Wanderungsbewegung der Mormonen; beide trugen zur Erschließung des Südwestens und Kaliforniens bei. Angehörige des Batallions waren dabei, als im Bachbett bei Sutters Mühle Gold schimmerte. … Die Mormonenkolonisten unter Brigham Young machten sich nach kürzester Rast erneut auf den Weg. Sie zogen aus dem Salt Lake Valley, dem Utahtal und dem Webertal und gründeten Siedlungen im ganzen Bereich zwischen Nordarizona und dem Limhi River in Idaho, zwischen Fort Bridger in Wyoming und Genoa im Carsontal, … und im Südwesten über St. George und Las Vegas bis hinunter nach San Bernardino.”1
Das ist eine komprimierte Darstellung ihrer erstaunlichen Leistungen.
Unsere Leute, die vor dem Ausrottungsbefehl von Gouverneur Boggs aus Missouri geflohen waren, kamen nach Illinois und bauten in nur sieben Jahren die damals größte Stadt des Bundesstaats. Sie lag am Ufer des Mississippi, und zwar da, wo der Fluß eine große Schleife beschreibt. Hier bauten sie Backsteinhäuser und eine Schule, gründeten sie eine Universität, errichteten sie ein Parlamentsgebäude und bauten sie einen Tempel, von dem man sagt, er sei damals das schönste Bauwerk im ganzen Staat gewesen. Doch wieder entflammte der Haß gegen sie. Dieser Haß erreichte seinen Höhepunkt im Tod ihres Oberhaupts, nämlich Joseph Smiths, und seines Bruders Hyrum, die am 27. Juni 1844 im Gefängnis von Carthage erschossen wurden.
Brigham Young wußte, daß sie dort nicht bleiben konnten. Sie beschlossen, nach Westen bis zu einem weit entfernten Ort zu ziehen, wo, wie Joseph Smith gesagt hatte, „uns nicht einmal der Teufel ausheben kann.”2 Am 4. Februar 1846 fuhren Wagen die Parley’s Street hinunter zum Fluß. Dort wurden sie übergesetzt und fingen an, lowa zu durchqueren. Wer Nauvoo Lebewohl gesagt hatte, war den Naturgewalten und der Gnade Gottes ausgeliefert.
Als der Boden auftaute, verwandelte er sich in Schlamm - tiefen, trügerischen Schlamm. Die Wagen sanken bis zur Achse ein, und es brauchte zwei, drei Gespanne, um sie zu bewegen. Die Menschen schlugen eine Straße, wo es zuvor keine gegeben hatte.
Schließlich erreichten sie den Großen Lagerplatz am Missouri und bauten Hunderte von Unterkünften, von denen einige sehr primitiv, andere aber etwas komfortabler waren. Alles war recht, wenn man nur dem tückischen Wetter entging.
Den ganzen Winter 1846 hindurch fauchten in jenen Siedlungen an der Grenze zum Wilden Westen die Feuer der Schmiede und klangen die Ambosse - Wagen wurden gebaut. Mein Großvater, damals gerade dem Teenager-Alter entwachsen, wurde ein Spezialist für Schmieden und Wagenbau. In dieser Zeit war kein Beruf so nützlich wie die Fähigkeit, mit Eisen umgehen zu können. Später baute er sich auch selbst einen Wagen und machte sich mit seiner jungen Frau, dem Baby und seinem Schwager nach Westen auf. Irgendwo auf der langen Reise wurde seine Frau krank und starb, und am selben Tag starb auch sein Schwager. Er begrub sie beide, sagte ihnen unter Tränen Lebewohl, nahm das Baby in den Arm und ging weiter, bis ins Tal des Großen Salzsees.
Im Frühjahr 1847 verließen die ersten Wagen Winter Quarters und fuhren nach Westen weiter. Sie hielten sich meist an das Nordufer des Platte River. Wer nach Kalifornien oder Oregon wollte, blieb am Südufer. Der Weg der Mormonen bildete später die Trasse für die Union-Pacific-Eisenbahn und die transkontinentale Autobahn.
Wie wir alle wissen, kamen sie nach 111 Tagen, am 24. Juli 1847, aus dem Canyon heraus ins Salt Lake Valley. Brigham Young verkündete: „Dies ist der richtige Ort.”3
Diese Feststellung erfüllt mich mit Ehrfurcht. Sie hätten nach Kalifornien oder nach Oregon ziehen können, wo der Boden als fruchtbar bekannt, das Wasser reichlich und das Klima zuträglicher war. Jim Bridger hatte vor dem Versuch gewarnt, im Salt Lake Valley Getreide anzubauen. Sam Brannan hatte Brigham Young beschworen, doch nach Kalifornien zu ziehen. Nun blickten sie über das dürre Tal und sahen im Westen Salzpfützen in der Sommersonne schimmern. Nie hatte ein Pflug die von der Sonne gebackene Erde aufgebrochen. Da stand nun Brigham Young, 46 Jahre alt, und sagte seinen Leuten, dies sei der richtige Ort. Noch nie hatten sie hier gesät, und schon gar nicht geerntet. Sie wußten nichts über den Verlauf der Jahreszeiten. Tausende folgten ihrer Spur, und bald würden es Zehntausende sein. Sie akzeptierten Brigham Youngs prophetische Aussage.
Schon bald standen Häuser in der Wüste. Bäume wurden gepflanzt, und - o Wunder - sie wuchsen. Ein neuer, herrlicher Tempel wurde in Angriff genommen, eine Aufgabe, die 40 Jahre in Anspruch nehmen sollte. Von 1847 bis zum Bau der Eisenbahn im Jahre 1869 waren Zehntausende in ihr Zion in den Bergen gekommen. Nauvoo war verlassen. Den dortigen Tempel hatte ein Brandstifter in Flammen gesetzt, und später ließ der Sturm die Mauern einstürzen.
1837 hatte das Missionswerk in England begonnen. Von dort aus gelangte es nach Skandinavien und Schritt für Schritt nach Deutschland und in weitere Länder. Alle neuen Mitglieder wollten sich in Zion sammeln.
Die Sammlung war nicht vom Zufall bestimmt. Beauftragte der Kirche kümmerten sich um jede Kleinigkeit. Schiffe wurden gechartert, die die Einwanderer nach New Orleans, New York oder Boston brachten. Das schließliche Ziel war stets das Tal des Großen Salzsees, von wo aus sich dann viele wieder in alle Richtungen auf den Weg begaben, um neue Städte und Siedlungen zu gründen - über 350 im Gebiet der Rocky Mountains.
Hunderte starben auf dem weiten Weg. Sie erlagen der Cholera, dem Skorbut, der schieren Erschöpfung, dem Hunger oder der beißenden Kälte.
Die bekanntesten unter denen, die einen schrecklichen Preis zu zahlen hatten, sind die Handkarrengruppen Willie und Martin von 1856.
Es gab nicht genug Wagen für die zahlreichen Mitglieder aus England und Westeuropa. Wollten alle nach Zion kommen, so mußten manche zu Fuß gehen und dabei einen kleinen Karren ziehen. Hunderte taten das auch, und sie kamen schneller voran als die Ochsengespanne. Mit diesen beiden Gruppen von 1856 jedoch zog der Tod. Sie waren spät aufgebrochen, und niemand wußte, daß sie unterwegs waren. Ihre Karren waren noch nicht fertig. Ein paar von ihnen, die sich Wagen leisten konnten, erhielten den Auftrag, zur Unterstützung die Handkarren zu begleiten. Singend brachen sie nach Westen auf. Sie hatten keine Ahnung, was ihnen bevorstand.
Am Platte River zogen sie entlang, immer nach Westen. Bei Fort Laramie fingen die Schwierigkeiten an. Es schneite. Die Verpflegung wurde rationiert. Die Auswanderer wußten, daß ihre Lage verzweifelt war; langsam mühten sie sich über die Ebenen von Wyoming. Auf dem schrecklichen Marsch starben an die zweihundert Menschen.
Unzählig sind die Geschichten derer, die dabei waren, die fast bis auf den Tod leiden mußten und ihr Leben lang die Narben jenes grausamen Erlebnisses trugen. Es gibt auf dem Zug unseres Volkes in den Westen keine Tragödie, die dieser gleichkäme.
Auch wenn ihre Geschichte schon oft erzählt worden ist, kann sich doch keiner vorstellen, kann keiner einschätzen oder verstehen, wie verzweifelt die Lage dieser Menschen war. Ich möchte hier die Mitglieder des Pfahles Riverton in Wyoming lobend erwähnen, die viel getan haben, um die Beteiligten zu identifizieren, die Tempelarbeit für sie zu verrichten und jene, die diesen Weg des Todes und des furchtbaren Leids zu gehen hatten, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Ich könnte eine Geschichte nach der anderen erzählen, aber die Zeit reicht dafür nicht. Nur eine möchte ich kurz erwähnen.
Am Rock Creek Hollow, auf einem Gelände, das heute der Kirche gehört, liegt das gemeinsame Grab von 13 Menschen, die in einer einzigen Nacht starben. Unter ihnen ist ein neujähriges Mädchen aus Dänemark, das sich einer anderen Familie angeschlossen hatte, weil es allein unterwegs war. Sie hieß Bodil Mortensen.
Im Oktober 1856 mühte sich die Handkarrengruppe von James G. Willie auf der Suche nach Schutz vor einem schlimmen Sturm durch Schneewehen, die bereits über einen halben Meter tief waren. Bodil ging und sammelte Gestrüpp für ein Feuer. Sie kam auch tatsächlich mit Gestrüpp zu ihrem Handkarren zurück. Dort starb sie, erfroren. Hunger und bittere Kälte nahmen ihrem ausgezehrten Körper das Leben, um das sie so gerungen hatte.
Wir danken dem Herrn, daß all das nun hinter uns liegt - hundertfünfzig Jahre hinter uns.
Wir haben den Nutzen von der großen Anstrengung jener Menschen. Ich hoffe, daß wir dafür dankbar sind. Ich hoffe, wir tragen tiefempfundene Dankbarkeit im Herzen für all das, was sie für uns getan haben.
Jetzt haben wir 1997, und die Zukunft liegt vor uns. Von jenen wurde Großes erwartet, und sie erwarten auch Großes von uns. Wir sehen, was sie mit dem getan haben, was ihnen damals zur Verfügung stand. Wir haben heute viel mehr, aber wir haben die überwältigende Aufgabe, das Reich Gottes weiter aufzubauen. Es gibt so viel zu tun! Gott hat uns beauftragt, das Evangelium jedem Land, jedem Geschlecht, jeder Sprache und jedem Volk zu bringen. Wir sollen im Namen des Herrn Jesus Christus lehren und taufen. Der auferstandene Erretter hat gesagt: „Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen”4
Wir stehen in einem großen und umfassenden Kampf für Wahrheit und Rechtschaffenheit. Glücklicherweise leben wir in einer Zeit des Wohlwollens. Heute begegnet man uns mit Respekt und Achtung. Wir müssen die Staffel aufnehmen und den Lauf fortführen.
Überall auf der Welt haben wir Mitglieder, die verantwortungsvolle Positionen innehaben. Ihr guter Ruf fördert das Werk des Herrn. Wo immer wir sind, in welchen Umständen wir auch immer leben mögen - „wenn es etwas Tugendhaftes oder Liebenswertes gibt, wenn etwas guten Klang hat oder lobenswert ist”, dann wollen wir danach trachten.5
Der kleine Stein, den Daniel gesehen hat, rollt majestätisch und machtvoll dahin. Es gibt immer noch Spötter. Stehen
wir doch darüber! Es gibt immer noch Menschen, die uns für seltsam halten. Nehmen wir das doch als Kompliment, und zeigen wir doch durch tugendhaftes Leben, daß das Wunderbare, woran wir glauben, stark und gut ist.
In einer Zeit, wo überall auf der Welt die Familien zerfallen, wollen wir die unseren festigen, sie stärken, sie in Rechtschaffenheit und Wahrheit nähren.
Angesichts eines so großen Vermächtnisses müssen wir einfach unser Bestes geben. Diejenigen, die uns vorangegangen sind, erwarten das von uns. Wir haben einen Auftrag vom Herrn. Wir haben eine Vision vom Zweck und von der Absicht unseres Daseins.
Suchen wir also die Rechtschaffenen auf der Erde, die auf unsere Botschaft der Erlösung hören wollen. Tragen wir Licht und Verständnis und Wahrheit unter eine Generation, die desillusioniert und daher geneigt ist, nach etwas anderem zu suchen.
Gott hat uns mit wunderbaren Gebäuden gesegnet, in denen wir die lebendige Wahrheit lehren können. Wir haben heute überall auf den Kontinenten Gemeindehäuser. Nutzen wir sie dazu, unser Volk mit dem „guten Wort Gottes” zu nähren.6
Weit und breit gibt es Tempel, und wir bauen noch mehr, damit das große Werk der Erlösung für die Toten noch schneller vorangeht.
Diejenigen, die uns vorangegangen sind, haben uns eine feste und wunderbare Grundlage hinterlassen. Wir haben nun die große Möglichkeit, darauf ein Bauwerk zu errichten, bei dem alles gut zusammenpaßt, weil Christus der Eckstein ist.
Meine lieben Brüder und Schwestern, wie gesegnet wir doch sind! Welch ein wunderbares Vermächtnis wir übernommen haben! Es ist aus Opfern, Leiden, Tod, Visionen sowie der Erkenntnis und dem Zeugnis von Gott, dem ewigen Vater, und seinem Sohn, dem auferstandenen Herrn Jesus Christus, zustande gekommen.
Wo es früher Planwagen gab, ziehen heute Flugzeuge am Himmel ihre Bahn. Statt Pferd und Wagen gibt es heute Autos mit Klimaanlage, die auf den Schnellstraßen dahinjagen. Wir haben große Bildungseinrichtungen. Wir haben einen großen Schatz an Genealogie. Wir haben Tausende von Gotteshäusern. Die Regierungen der Welt blicken mit Achtung und Wohlwollen auf uns. Die Medien behandeln uns gut. Dies ist die große Zeit unserer Möglichkeiten.
Diejenigen, die uns vorangegangen sind, ehren wir am besten dadurch, daß wir in der Sache der Wahrheit gut dienen. Möge der Allmächtige wohlwollend auf uns herabblicken, während wir danach streben, seinen Willen zu tun, und vorwärtsschreiten als „ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde”7.
Darum bete ich demütig, während ich in diesem Jubiläumsjahr sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft blicke. Im Namen dessen, der unser Herr ist, im Namen Jesu Christi. Amen.