1990–1999
Unsere einzige Chance
April 1999


Unsere einzige Chance

Er weiß, wie er uns allen helfen kann. Aber wir sind es, die die Kraft des Sühnopfers in unserem Leben wirksam werden lassen.

Im letzten Gespräch, das der Erretter mit seinen Jüngern führte, bevor er nach Getsemani ging, verkündete er: “Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.” (Johannes 14:6.) Heute, an diesem schönen Ostermorgen, bezeuge ich mit dem Propheten Alma, daß es “keinen anderen Weg und kein anderes Mittel gibt, wodurch der Mensch errettet werden kann, als nur in und durch Christus” (Alma 38:9).

Das Sühnopfer Jesu Christi ist verblüffend umfassend! “Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden.” (1 Korinther 15:22; Hervorhebung hinzugefügt.) Kommt alle herbei, fordert der Herr uns auf. Das Evangelium Jesu Christi ist für jeden Mann und jede Frau, jeden Jungen und jedes Mädchen. Es gibt keine unterschiedlichen Regeln für Reiche und Arme, Verheiratete oder Ledige, Portugiesen oder Chinesen. Das Evangelium ist für jeden von uns, und die geistigen Bedingungen und der geistige Lohn sind für alle gleich. Was die Errettung betrifft, sind “alle vor Gott gleich” (2 Nephi: 26:33; Hervorhebung hinzugefügt). Die Motive des Herrn stehen in starkem Gegensatz zu denen Luzifers, der uns das Gefühl vermitteln will, daß wir nicht würdig sind, Söhne und Töchter Gottes zu sein. Er schätzt ein geweihtes Volk gering ein und hat Freude daran, wenn er uns die Sicht verstellen und von dem Pfad weglocken kann, der in unsere himmlische Heimat zurückführt.

Als junge Studentin an der BYU habe ich etwas darüber gelernt, daß man auf dem richtigen Weg bleiben muß, wenn man nach Hause kommen will. Am Heiligabend fuhren mein Bruder und ich heim nach Kansas. Gleich zu Beginn der Reise erfuhren wir, daß ein gewaltiger Schneesturm herankam. Deshalb schauten wir auf die Landkarte und fanden einen Umweg, der uns praktisch um den Sturm herum führte, und fuhren los ­ in eine uns unbekannte Gegend. Unser Einfallsreichtum brachte uns in Gefahr. Wir kannten die neue Strecke nicht, und in den Sturm gerieten wir trotzdem. Es kam noch schlimmer. Als wir spät am Abend im dichten Schneegestöber auf einer düsteren Landstraße dahin krochen, gab unser alter Ford auf. Er blieb stehen. Wir hatten keine Ahnung, wo wir uns befanden.

Schließlich nahm uns jemand in die nächste Stadt mit. Dort stellten wir fest, daß wir noch weit von unserem Ziel entfernt waren. Wir waren in Last Chance in Colorado. Jetzt gab es nur noch eins: Wir riefen zu Hause an und erklärten, was passiert war. Mitten in der Nacht kam unser Vater und rettete uns. Am nächsten Nachmittag waren wir alle sicher zu Hause.

Ich werde diesen Heiligabend in Last Chance, wo wir wegen eines Problems, das wir größtenteils selbst verursacht hatten, festlagen und es nicht überwinden konnten, nie vergessen. An jenem Tag tat unser Vater etwas für uns, was wir nicht allein tun konnten. Jeder von uns ist auf dem Weg zu unserer ewigen Heimat. Und aus verschiedenen Gründen brauchen wir alle Rettung ­ Rettung von Einsamkeit und Herzweh, von Verzweiflung und Enttäuschung, von den Folgen unschuldiger Fehler oder großer Sünden.

Wo können wir Hilfe bekommen? “Indem Gott seinen Sohn gab, hat er einen vortrefflicheren Weg bereitet.” (Ether 12:11.) Der Erretter ist unsere letzte Chance, er ist unsere einzige Chance. Unsere einzige Chance, Zweifel an uns selbst zu überwinden und eine Vorstellung davon zu bekommen, was wir werden können. Unsere einzige Chance, umzukehren und uns von Sünden reinwaschen zu lassen. Unsere einzige Chance, unser Herz zu säubern, unsere Schwächen zu überwinden und dem Widersacher aus dem Weg zu gehen. Unsere einzige Chance, Erlösung und Erhöhung zu erhalten. Unsere einzige Chance, in dieser Welt Frieden und Glück und in der nächsten ewiges Leben zu finden.

Wenn der natürliche Mensch sich selbst überlassen bleibt, unterliegt er unvermeidlich dem Satan (siehe Mosia 3:19), der seine Beute im Stich läßt, sobald er sie vom engen und schmalen Weg weggelockt hat. Aber der Erretter führt alle, die ihm folgen, den ganzen Weg nach Hause. Als Lehis Familie ins verheißene Land reiste, machte sie in der Wildnis intensive Erfahrungen, durch die sie belehrt, geprüft und geheiligt werden sollte. Auf ähnliche Weise verläuft unser Weg von unserer früheren Heimat zum ewigen Leben durch diese irdische Wildnis, wo wir ähnliche Schwierigkeiten erwarten können. Aber wir sind auf unserer Reise nicht allein, denn die Verheißung des Herrn an Nephi gilt für uns genauso: “Ich will den Weg vor euch bereiten … wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr zum verheißenen Land geführt werden… . Wenn ihr in das verheißene Land gekommen seid, … werdet (ihr) wissen, … ich, der Herr, habe euch … bewahrt.” (1 Nephi 17:13,14.)

Der Herr kennt den Weg, weil er der Weg ist, und er ist unsere einzige Chance, die Sterblichkeit zu überwinden. Sein Sühnopfer stellt uns die Macht, den Frieden, das Licht und die Kraft zur Verfügung, die wir brauchen, um mit den Herausforderungen des Lebens fertig zu werden ­ angefangen mit denen, die sich aus unseren eigenen Fehlern und Sünden ergeben, bis hin zu Prüfungen, über die wir keine Gewalt haben, die uns aber doch schmerzen.

Der Herr hat verheißen, daß er die gebrochenen Herzen heilt und die Zerschlagenen in Freiheit setzt (siehe Lukas 4:18); den Müden Kraft schenkt, die verwundete Seele heilt und Schwaches für uns stark werden läßt (siehe Jesaja 40:29; Jakob 2:8; Ether 12:27); unsere Schmerzen und Krankheiten auf sich nimmt, unsere übertretungen auslöscht, wenn wir umkehren, und die Bande des Todes löst (siehe Alma 7:11­13). Er hat verheißen, daß der Teufel keine Macht über uns hat, wenn wir unser Leben auf seinen Fels bauen (siehe Helaman 5:12). Und er hat verheißen, uns nicht fallen zu lassen und uns nicht zu verlassen (siehe Hebräer 13:5). Es gibt auf der Erde nichts Gleichwertiges. Weder an Verpflichtung, noch an Macht noch an Liebe. Er ist unsere einzige Chance.

Unsere Aufgabe ist es, zu lernen, aus dem Sühnopfer Kraft zu ziehen. Sonst gehen wir nur mit eigener Kraft durch die Sterblichkeit. Und dann erleben wir Fehlschläge und weisen das herrlichste Geschenk in Zeit und Ewigkeit zurück. “Denn was nützt es dem Menschen, wenn ihm eine Gabe gewährt wird, und er empfängt sie nicht?” (LuB 88:33.) Mein Bruder und ich wären töricht gewesen, wenn wir nicht unseren Vater um Hilfe gebeten hätten oder die Hilfe nicht akzeptiert hätten, als wir nicht weiter konnten. Genauso ist der Herr unser Fürsprecher, “der weiß, daß der Mensch schwach ist, und wie denen zu helfen ist, die in Versuchung geraten” (LuB 62:1). Mit anderen Worten: Er weiß, wie er uns allen helfen kann. Aber wir sind es, die die Kraft des Sühnopfers in unserem Leben wirksam werden lassen. Das tun wir, wenn wir an ihn glauben, umkehren, seine Gebote befolgen, an den heiligen Handlungen teilnehmen und unsere Bündnisse einhalten, und wenn wir durch Fasten und Beten, in den heiligen Schriften und im Tempel nach ihm suchen.

Zu alledem braucht man Glauben. Präsident Gordon B. Hinckley hat gesagt: “Wenn es etwas gibt, was wir alle brauchen, … ist das der Glaube.” Wenn wir Glauben an Christus haben, vertrauen wir ihm, folgen wir ihm nach und verlassen wir uns auf ihn. Und das bedeutet, daß wir mit einem ruhigen Gewissen gesegnet werden. Das meint der Apostel Paulus, wenn er schreibt: “Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt.” (Philipper 4:13.)

Vor kurzem wurde die FHV-Präsidentschaft gebeten, mit zwei Journalistinnen aus Osteuropa zu sprechen, die von dem Dienst fasziniert waren, den unsere Schwestern in ihrem Land leisten. Wir erklärten, daß diese großartige Organisation rechtschaffener Frauen seit ihrer Gründung darum bemüht ist, “nicht nur den Armen [zu] helfen, sondern auch Menschen [zu] erretten”. Als sie uns fragten, wie wir Frauen mit seelischen Problemen helfen, und uns erklärten, daß viele in ihrem Land den Mut verloren hätten, antworteten wir, daß wir uns in der FHV mit dem Evangelium beschäftigen und daß das Evangelium uns zeigt, wie man auch in einem schweren Leben glücklich sein kann. Eine Reporterin konnte es nicht glauben: “Ist das möglich? Kann man glücklich sein, wenn man ein hartes Leben hat?” Ihre Frage ließ mich nicht los, denn ich merkte, daß sie nicht wußte, wohin sie sich wenden sollte, um Frieden zu finden.

Ist es möglich, glücklich zu sein, wenn man ein hartes Leben hat? Kann man inmitten von Unsicherheit Frieden finden und Hoffnung inmitten von Zynismus? Ist es möglich, alte Gewohnheiten abzuschütteln und ganz neu zu werden? Kann man in einer Welt, die keinen Wert mehr auf die Tugenden legt, die einen Nachfolger Christi auszeichnen, lauter und rein leben?

Ja. Die Antwort lautet ja, weil Jesus durch sein Sühnopfer gewährleistet, daß wir die Lasten der Sterblichkeit nicht allein tragen müssen. Es gibt nichts, was diese verwirrte Welt nötiger braucht, nichts, was uns mehr Wohlbefinden bringt, nichts, was die Ehe und die Familie kraftvoller stärken kann als das Sühnopfer Jesu Christi. Präsident Howard W. Hunter hat gesagt: “Alles, worauf Jesus die Hände legt, lebt. Wenn Jesus einer Ehe die Hände auflegt, dann lebt sie. Wenn ihm erlaubt wird, einer Familie die Hände aufzulegen, lebt sie.” Der Erretter tut für jeden von uns das, was er verheißen hat ­ wenn wir an ihn glauben und sein Geschenk annehmen.

Im Lauf der Jahre habe ich Bedrängnis und Herzweh erlebt, die mich niedergeschmettert hätten, wenn ich nicht den Vater im Himmel um eine Kraft gebeten hätte, die größer war als die meine. Er hat mich niemals vergessen oder verlassen, und ich habe selbst erkannt, daß Jesus wirklich der Messias ist. Mit Paulus verkünde ich: “Denn ich bin gewiß: Weder Tod noch Leben, … weder Gewalten der Höhe und der Tiefe … können uns scheiden von … Jesus Christus.” (Römer 8:38,39.) Er macht uns die Last leicht und erfüllt uns mit Freude, wenn wir an ihn glauben, ihm gehorchen und ihn suchen. Nahe dem Ende dieser Evangeliumszeit der Fülle, wo Luzifer überstunden macht, um unsere Heimreise in Gefahr zu bringen und uns von der sühnenden Kraft des Erretters zu trennen, ist die einzige Antwort für jeden von uns Jesus Christus.

Mögen wir uns erneut verpflichten, nach diesem Jesus zu suchen, von dem die Propheten Zeugnis gaben. Mögen wir sein Joch auf uns nehmen, von der Kraft seines Sühnopfers zehren und uns als Söhne und Töchter Gottes erheben, um die Welt abzuschütteln. Denjenigen, “die ihn zum Gott haben wollen” (1 Nephi 17:40), hat der Herr eine wundervolle Verheißung gegeben: “Ich werde vor eurem Angesicht hergehen. Ich werde zu eurer rechten Hand sein und zu eurer linken, und mein Geist wird in eurem Herzen sein und meine Engel rings um euch, um euch zu stützen.” (LuB 84:88.) Jesus Christus ist unsere einzige Chance. Er zeigt uns den Weg, denn er ist der Weg. Im Namen Jesu Christi, amen.

  1. Teachings of Gordon B. Hinckley (1997), 186.

  2. Relief Society Minute Book, 9. Juni 1842.

  3. In Conference Report, Oktober 1979, 93.