1990–1999
Der Bischof und seine Ratgeber
April 1999


Der Bischof und seine Ratgeber

Die Kirche … ist doch nicht größer als eine Gemeinde. Auf die Gemeinde konzentriert sich alles, was für die Erlösung notwendig ist, den Tempel ausgenommen ­ und der Tempel kommt uns allen immer näher.

Gestern abend hat Präsident Hinckley in der Priestertumsversammlung unseren Bischöfen Tribut gezollt und ihnen Ratschläge und seinen Segen gegeben. Entsprechend der Regel betreffend der zwei Zeugen, die Elder Oaks gestern ausgeführt hat, stehe ich heute als zweiter Zeuge da.

Vor Jahren war ich mit Emery Wight im Hohenrat. Zehn Jahre lang war er Bischof einer ländlichen Gemeinde von Harper gewesen. Seine Frau Lucille wurde unsere Pfahl-FHV-Leiterin.

Lucille erzählte mir, eines Tages im Frühjahr sei ein Nachbar gekommen und habe sich nach Emery erkundigt. Sie sagte ihm, er sei beim Pflügen auf dem Feld. Der Nachbar klang sehr besorgt. In der Frühe war er am Feld vorbeigekommen und hatte Emerys Pferdegespann in einer halbgepflügten Furche mit den Zügeln über dem Pflug stehen sehen. Emery war nirgends zu sehen. Der Nachbar machte sich erst später Gedanken, als er wieder am Feld vorbeikam und das Gespann noch immer dastand. Er stieg über den Zaun und ging über das Feld zu den Pferden. Emery war nirgends zu finden. So eilte er zum Haus, um bei Lucille nachzufragen.

Lucille entgegnete ruhig: “Ach, mach dir keine Sorgen. Sicher ist jemand in Schwierigkeiten und hat den Bischof geholt.”

Das Bild vom Pferdegespann, das stundenlang auf dem Feld stand, symbolisiert das Engagement der Bischöfe in der Kirche und der Ratgeber, die ihnen zur Seite stehen. Jeder Bischof und jeder Ratgeber läßt, bildlich gesprochen, sein Gespann in einer halbgepflügten Furche stehen, wenn jemand Hilfe braucht.

Im Lauf der Jahre bin ich oft an diesem Feld vorbeigekommen. Es erinnert mich an die Opferbereitschaft und den Dienst derer, die in die Bischofschaft berufen werden, und ihrer Frau und ihrer Kinder, ohne deren Hilfe sie nicht dienen könnten.

Vor kurzem stand ich sehr früh an einem Sonntagmorgen auf diesem Feld. Ich schaute zum Haus hinauf, wo Emery und Lucille ihre Kinder großgezogen hatten, und auf die dahinter liegenden Ausläufer des Gebirges. Als Junge bin ich oft mit anderen Scouts und mit Bischof Wight von diesem Haus aus losgezogen. Wir wanderten in die Berge, und Emery lehrte uns bei jedem Schritt auf dem Weg etwas.

“Der Bischof”, so schrieb Paulus an Timotheus, “[soll] ein Mann ohne Tadel sein, nur einmal verheiratet, nüchtern, besonnen, von würdiger Haltung, gastfreundlich, fähig zu lehren.”1

Diese Worte fähig zu lehren haben eine besondere Bedeutung. Sie bedeuten “geneigt, bereit, vorbereitet”.

Auf der ganzen Welt gibt es nichts, was sich mit dem Amt des Bischof in der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage vergleichen läßt. Außer den Eltern hat der Bischof die beste Möglichkeit, das zu lehren und lehren zu lassen, was am meisten zählt. Und der Bischof hat die beachtliche Möglichkeit, die Eltern in ihren Aufgaben zu unterweisen; dann muß er ihnen die Zeit zugestehen, ihre Kinder zu unterweisen.

Der Bischof ist für die jungen Männer des Aaronischen Priestertums wie auch für die Jungen Damen zuständig. Er nimmt den Zehnten und die Spenden entgegen und legt Rechenschaft darüber ab. Er ist für die zeitlichen Angelegenheiten der Kirche zuständig, hat die Aufgabe, die Armen zu ermitteln, und er hat noch viele weitere Aufgaben.

Der Bischof soll die Mitglieder richten, “nämlich nach dem Zeugnis der Gerechten und mit der Hilfe seiner Ratgeber ­ gemäß den Gesetzen des Reiches, die durch die Propheten Gottes gegeben werden”.2 Der Bischof beurteilt, ob sie würdig sind, heilige Handlungen zu empfangen oder in einem bestimmten Amt zu dienen.

Er soll Rat geben und zurechtweisen und seiner Herde ­ insgesamt und einzeln ­ das Evangelium verkünden. Bei alldem soll er das Evangelium Jesu Christi, die Kreuzigung, das Sühnopfer, die Auferstehung und die Wiederherstellung lehren.

Ich habe gehört, daß dies als ehrenamtlicher Dienst bezeichnet wird, denn weder der Bischof noch seine Ratgeber werden für das, was sie tun, bezahlt. Auch sie zahlen den Zehnten und die Spenden, und sie verwenden endlose Stunden auf ihre Berufung. Sie und diejenigen, die mit ihnen dienen, werden nur in Segnungen bezahlt.

Nun ist es aber nicht so, daß man sich darum bewirbt, Bischof zu werden, und man strebt auch nicht danach. Zum Bischof wird man berufen, und zwar “durch Prophezeiung … von Gott”. Dann wird man ordiniert und eingesetzt “durch das Händeauflegen derer, die Vollmacht haben, … um das Evangelium zu predigen und seine heiligen Handlungen zu vollziehen”.3

Ein Mann wird zum Bischof, einem Amt im Priestertum, ordiniert; dann wird er eingesetzt und empfängt die Schlüssel, um über die Gemeinde zu präsidieren. Mit seinen beiden Ratgebern bildet er die Bischofschaft ­ eine Form von Präsidentschaft

Wenn er ordiniert ist, bleibt er sein Leben lang Bischof. Wenn er davon entlassen wird, über die Gemeinde zu präsidieren, ruht seine Ordinierung. Falls er wieder dazu berufen wird, über eine Gemeinde zu präsidieren, wird seine frühere Ordinierung wieder aktiv. Wenn er entlassen wird, ruht sie wieder.

Zur Ordinierung zum Amt des Bischofs gehören sowohl des Recht als auch die Verpflichtung, sich durch Inspiration führen zu lassen. Der Bischof hat die Macht, durch den Geist zu erkennen, was er tun soll.

Offenbarung ist das eine Merkmal, das allen Bischöfen gemeinsam ist. Die Bischöfe kommen aus vielen Kulturkreisen und vielen Berufen. Sie unterscheiden sich in Erfahrung, Persönlichkeit und Alter, aber sie unterscheiden sich nicht in ihrem Anrecht auf geistige Führung.

Vor Jahren ging einer meiner Freunde auf eine große Universität, um dort bei einer Kapazität im Bereich der Beratung zu studieren. Dieser Professor interessierte sich bald für diesen sympathischen, intelligenten jungen Heiligen der Letzten Tage. Er zog die Aufmerksamkeit auf sich, während er auf sein Doktorat hinarbeitete.

Als Thema seiner Dissertation wählte er den HLT-Bischof. Alles ging gut, bis er die Ordinierung des Bischofs, die Macht des Erkennens und das Anrecht des Bischofs auf geistige Führung beschrieb.

Sein Promotionsausschuß war der Meinung, daß solche Hinweise nicht in ein akademisches Papier gehörten, und man bestand darauf, daß er sie herausnahm. Er dachte, er könne zumindest sagen, daß die Heiligen der Letzten Tage glauben, der Bischof habe geistige Einsicht. Aber das Komitee verweigerte ihm sogar das, denn es wäre den Leuten doch recht peinlich, wenn dieser geistige Aspekt sich in einer akademischen Dissertation fände.

Ihm wurde gesagt, daß seine Dissertation veröffentlicht und sein Ruf begründet werden würde, wenn er etwas nachgeben und vor allem jeden Hinweis auf Offenbarung herausnehmen würde.

Er tat, was er konnte. Seine Dissertation enthielt nicht mehr genug über den Geist, um ihn zufriedenzustellen, und doch noch zu viel, um von den weltlichen Professoren voll und ganz angenommen zu werden. Trotzdem erhielt er seinen Titel.

Ich fragte diesen Freund, was das wichtigste war, was er bei seiner Studie über die Bischöfe gelernt hat. Er antwortete: “Ich habe gelernt, daß die Vollmacht bei weitem größer ist als der Intellekt und daß das Priestertum die führende Macht ist.”

Bezweifeln Sie nicht, daß ein einfacher Mann, der aus den Reihen der Mitglieder als Bischof berufen wird, inspirierten Rat geben und zurechtweisen kann. Leider nehmen einige, denen so gut geholfen werden könnte, nur widerstrebend vom Bischof Rat an, während andere unentwegt Rat und Trost brauchen und sich vernachlässigt fühlen, wenn man sich nicht ständig um sie kümmert.

Der Bischof ist inspiriert! Jedem ist es freigestellt, den Rat unserer Führer anzunehmen oder abzulehnen, aber ignorieren Sie nie den Rat Ihres Bischofs, ob er nun von der Kanzel oder persönlich gegeben wird, und lehnen Sie eine vom Bischof ausgesprochene Berufung niemals ab.

Die Welt kann hart sein, das Leben kann hart sein, und in der Kirche ist es manchmal sogar noch härter. Eliza R. Snow hat geschrieben:

“Denkt nicht, sammelt ihr euch in Zion,

daß die Sorgen und Nöte vorbei,

daß nur Annehmlichkeit und Vergnügen

in Zion für euch sicher sei.

O nein, vielmehr ist es ein Ofen,

in dem alles Schwache vergeht

und nur reines Gold ohne Makel

im läuternden Feuer besteht… .

Denkt nicht, sammelt ihr euch in Zion,

sei der Heiligen einzige Pflicht,

euer Wohlergeh’n sicher zu stellen,

euch zu trösten; doch irrt euch da nicht!

Nein, sie tun hier, was immer sie können,

kämpfen gläubig mit aller Macht,

die Verstreuten von Israel zu sammeln;

dafür wirken sie tags und bei Nacht.”4

Wenn wir Hilfe brauchen, ist der Bischof da; achten Sie aber darauf, daß Sie seine Zeit nicht unnötig beanspruchen. Der Bischof kann nicht alles tun. Die Brüder in der Bischofschaft brauchen auch Zeit, um für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, und Zeit, die sie mit der Familie verbringen.

Oft werden wir gefragt, wie die relativ wenigen Apostel ­ nämlich die Erste Präsidentschaft und die Zwölf ­ die Kirche führen können, die ja inzwischen über 10 Millionen Mitglieder hat.

Eigentlich ist die Kirche nicht größer als eine Gemeinde. Jeder Bischof hat Ratgeber. Er trägt besondere Vollmacht und ist der präsidierende Hohe Priester der Gemeinde. Es gibt weitere Hohe Priester und eine Präsidentschaft von ältesten. Es gibt ausreichend Führungskräfte der Hilfsorganisationen und Lehrkräfte. Wenn wir gehorsam und bereitwillig dienen, wird uns, wie dem Bischof, Lohn in Form von Segnungen zuteil.

Ganz gleich, ob die Kirche auf 100 Millionen anwächst (was sicher geschehen wird!), sie ist doch nicht größer als eine Gemeinde. Auf die Gemeinde konzentriert sich alles, was für die Erlösung notwendig ist, den Tempel ausgenommen ­ und der Tempel kommt uns allen immer näher.

Eine Anzahl Gemeinden werden zu einem Pfahl zusammengefaßt, mehrere Zweige zu einem Distrikt. Dort gibt es eine Präsidentschaft und einen Rat, die die Bischofschaften und die übrigen Führungskräfte, die mit ihnen zusammen dienen, schulen.

Diese Organisation, die auf der ganzen Welt besteht, ist infolge der Wiederherstellung des Evangeliums Jesu Christi entstanden. Dieses Wunder des bereitwilligen Dienens wird durch das persönliche Zeugnis vom Erlöser möglich.

Es blieb nicht bei der Offenbarung, durch die dieses System entstand, denn sein Zweck besteht darin, die Familie zu schützen. Die Familien sind in einer Gemeinde oder einem Zweig zusammengefaßt.

Der Bischof hat die Aufgabe, darauf zu achten, daß jede Familie in dauerhaften Bündnissen verbunden und jeder geborgen und glücklich ist. Das System funktioniert am besten, wenn dem Bischof bewußt ist, daß die Verantwortung an erster Stelle bei den Eltern liegt.

Auch wenn der Bischof manchmal als “Vater der Gemeinde” bezeichnet wird, ist er nicht dazu berufen, die Kinder in der Gemeinde zu erziehen. Das dürfen wir nicht vergessen.

In unseren Handbüchern heißt es: “Die Hauptverantwortung für das Wohlergehen der Kinder tragen die Eltern.5 Die Bischofschaft und die sonstigen Führer der Gemeinde leisten ihnen dabei Hilfe, treten aber nicht an ihre Stelle.”6

“Die Kollegien, Hilfsorganisationen, Programme und Aktivitäten in der Kirche sollen die Familie stärken und unterstützen. Sie sind eine Bereicherung der evangeliumsbezogenen Aktivitäten der Familie und keine Konkurrenz dazu.”7

Die Erste Präsidentschaft hat vor kurzem an die Kirche geschrieben:

“Die Familie ist die Grundlage eines rechtschaffenen Lebens, und keine andere Institution kann ihren Platz einnehmen oder ihre wesentlichen Aufgaben erfüllen und dieser von Gott gegebenen Verantwortung gerecht werden… . So sinnvoll und angemessen andere Anforderungen und Aktivitäten auch sein mögen, sie dürfen die von Gott übertragenen Aufgaben, die nur die Eltern und die Familie erfüllen können, nicht verdrängen.”8

Nicht nur Gemeinden, auch Familien unterscheiden sich in Größe und Form. Die Zeit vergeht, und eine Generation folgt der anderen. Kinder werden geboren und werden erwachsen, werden Eltern und später Großeltern. Familien teilen sich, und aus einer werden mehrere. Die Gemeinde wächst und wird geteilt. Wo eine war, gibt es mehrere.

Was auch immer in der Welt geschieht ­ wie kultiviert oder verderbt die Gesellschaft auch ist ­ der Plan bleibt unverändert. Die Kirche wird wachsen, bis sie die ganze Erde füllt. Und doch wird sie nicht größer als die Gemeinde sein.

Die Kirche bietet Aktivitäten und Kontakte, Verordnungen und Ordinierungen, Bündnisse und Verträge und Zurechtweisungen, die einen jeden von uns auf die Erhöhung vorbereiten. Sie folgt einem Muster, das im Himmel geschaffen wurde, denn kein irdischer Verstand hätte es ersinnen können.

Jetzt und in Zukunft lassen einfache Männer ihr Gespann in einer halbgepflügten Furche mit den Zügeln über dem Pflug stehen, wenn jemand in Schwierigkeiten steckt und Hilfe braucht. Frau und Kinder stehen ihnen zur Seite und unterstützen sie ­ ausgestattet mit Wahrheit aus den Büchern der Offenbarung, unter denen das Buch Mormon das Juwel ist. Das Buch Mormon gibt Zeugnis von Christus, seinem Sühnopfer und seiner Auferstehung, und wir geben Zeugnis von Christus. Im Schutz des Plans, den er offenbart hat, sind wir mit unserer Familie in Sicherheit. Im Namen Jesu Christi, amen.

  1. 1 Timotheus 3:2.

  2. Lehre und Bündnisse 58:18; Hervorhebung hinzugefügt.

  3. 5. Glaubensartikel.

  4. “Think Not, When You Gather to Zion”, Hymns [1948], Nummer 21, 1. und 3. Strophe.

  5. Siehe Lehre und Bündnisse 68:25­28.

  6. Handbuch Anweisungen der Kirche, Buch 2 ­ Führungskräfte des Priestertums und der Hilfsorganisationen [1998], 178.

  7. Handbuch Anweisungen der Kirche, Buch 2, 299.

  8. Brief der Ersten Präsidentschaft, 11. Februar, 1999.