Öffne den Kreis
In seinen Freundeskreis kann man andere einbeziehen. Man kann sie aber auch daraus ausschließen. Es liegt ganz an uns.
Als JD-Führerin hatte ich oftmals an der Veranstaltung „Ein neuer Anfang“ bei den Jungen Damen teilgenommen. Doch als ich das erste Mal mit meiner ältesten Tochter hinging, sah ich das Ganze mit anderen Augen.
Während ich auf den Beginn des Programms wartete, fragte ich mich, was die kommenden Jahre wohl für meine Tochter bereithielten. Würden die Jungen Damen unserer Gemeinde sie bei sich aufnehmen und sich mit ihr anfreunden? Würden ihre Führerinnen sie lieben und ihr in der schwierigen Zeit, die vor ihr lag, mit Rat und Tat zur Seite stehen?
Nach dem Anfangsgebet fassten die älteren Jungen Damen und die Führungskräfte einander in der Mitte des Raumes an den Händen und sangen ein schönes Lied:
„Wir bilden einen Kreis, ja einen Freundeskreis,
den nichts und niemand je zerbricht,
und so lebt die Freundschaft fort, für immer und in Ewigkeit;
komm auch du in unsern Kreis, denn hier ist dein Platz.“1
Dann fasste jede der Sechzehn- und Siebzehnjährigen eines der jüngeren Mädchen an der Hand und zog es in den Kreis. Dann stimmten sie das Lied erneut an und wiederholten den Vorgang, bis jedes Mädchen mit einbezogen war.
In den darauf folgenden Wochen erlebte ich, dass dieses Lied mehr war als bloß ein guter Vorsatz. Es stand für etwas Wirkliches und Wundervolles. Die Jungen Damen der Gemeinde nahmen meine Tochter nicht bloß an – sie schlossen sie ins Herz. Die Mädchen ihrer Altersgruppe betrachteten sie sofort als neue Freundin, die älteren Mädchen als jüngere Schwester und die Führungskräfte als geliebte Tochter. Ich war sehr dankbar – und bin es immer noch – für diese Mädchen und Führungskräfte, die ihren Kreis öffneten und meiner Tochter das Gefühl vermittelten, willkommen und wertvoll zu sein und geliebt zu werden.
Ich frage mich, ob der himmlische Vater mit ähnlicher elterlicher Fürsorge auf uns Acht gibt: Öffnen auch wir unseren Freundeskreis, um jedes seiner Kinder einzubeziehen?
Wir alle wissen natürlich, dass andere auch einfach ausgeschlossen werden können. Vielleicht seid ihr schon einmal in eine andere Gemeinde gezogen oder in eine neue Schule beziehungsweise Klasse gekommen, wo euch die alteingesessenen Mitglieder sozusagen zu verstehen gegeben haben: „Du kommst zu spät! Unsere Mannschaft steht.“ Die meisten von uns wissen aus leidvoller Erfahrung, wie es ist, von anderen ins Abseits gedrängt zu werden.
Freundlich sein
Wie können wir sicherstellen, dass unser Freundes- und Bekanntenkreis anderen offen steht und keiner ausgeschlossen wird? Es beginnt mit der ganz einfachen Erkenntnis: Freundlichkeit ist eine der wichtigsten Eigenschaften, die wir hier auf Erden entwickeln müssen. Ich kenne eine Familie mit besonders talentierten Kindern. Schule, Musik – was auch immer, sie machen es gut. Als ich ihnen einmal ein Kompliment aussprach, sagte ihre Mutter etwas, was ich nie vergessen habe: „Ich habe meinen Kindern immer gesagt: Es ist schön, wenn man talentiert ist, doch noch besser ist es, wenn man freundlich ist.“
Ich dachte darüber nach und erkannte, wie Recht sie hatte. Ich bewundere die Talente ihrer Kinder, doch der wahre Grund, warum ich diese Kinder so sehr schätze, ist, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass eines von ihnen jemals einen anderen herabsetzen würde, um selbst besser dazustehen. Sie sind die freundlichsten Menschen, die ich kenne.
Vielleicht legt auch der Herr solch großen Wert auf Freundlichkeit. Ich möchte hier die Worte des Apostels Paulus aus seiner bekannten Rede über die Nächstenliebe in etwas abgewandelter Form wiedergeben: Wenn ich der Klassenbeste wäre und alle Seminarschriftstellen auswendig könnte und der Star meiner Fußballmannschaft wäre und ein herausragendes Dienstprojekt organisierte und mehrere Musikinstrumente spielte, andere jedoch nicht freundlich behandelte, so wären alle diese Leistungen nicht viel wert. (Siehe 1 Korinther 13:1-3.)
Kein Konkurrenzdenken aufkommen lassen
Ein Mädchen hatte sich über viele Jahre sehr angestrengt und wurde eine hervorragende Basketballspielerin. Sie ist einer jener Menschen, die man wegen ihrer Freundlichkeit schätzt. Doch als sie mit 15 in die Basketballmannschaft ihres Bundesstaates aufgenommen wurde, passierte etwas Merkwürdiges: Die anderen Mädchen in ihrer Schulmannschaft spielten ihr den Ball nicht mehr zu.
Weshalb war das so? Vielleicht lag es daran, dass es nicht leicht ist, diejenigen einzubeziehen, die wir für Konkurrenten halten. Konkurrenzdenken – also um etwas wetteifern, was nicht jeder haben kann – steht in Widerspruch zum gegenseitigen Einbeziehen. Blicken wir doch den Tatsachen ins Auge: Das Leben kann der reine Konkurrenzkampf sein. Und wenn dann ein anderer den Preis gewinnt, an dem man selbst interessiert gewesen ist, kann es schwer fallen, sich für ihn zu freuen.
Andererseits kann es verlockend sein, diejenigen auszuschließen, die man als weniger kompetent und erfolgreich ansieht als sich selbst. Doch von der Liebe des himmlischen Vaters oder von unserer Liebe ist niemand ausgeschlossen.
Der Vater im Himmel betrachtet das Leben nicht als großen Wettbewerb zwischen seinen Kindern, bei dem es Gewinner und Verlierer gibt, und genauso wenig sollten wir so denken. Er hat uns sogar gesagt, er habe uns ganz bewusst unterschiedliche Gaben und Fähigkeiten verliehen, damit wir einander daran teilhaben lassen können (siehe LuB 46:11-26).
Wenn wir uns in der Liebe geborgen fühlen, die der Herr für uns hat, dann betrachten wir unsere Mitmenschen als Brüder und Schwestern und nicht als Konkurrenten, die entweder unseren Erfolg gefährden oder die uns nicht ebenbürtig sind.
Mit gutem Beispiel vorangehen
Freundeskreise haben es so an sich, dass sie sich gegen Veränderungen sträuben, denn die Vertrautheit innerhalb einer Gruppe guter Freunde kann angenehm und tröstlich sein. Es ist schön, wenn man ziemlich genau weiß, was man von der Gruppe und jedem darin erwarten kann. Wenn wir jemand anders aufnehmen, kann das Gefüge durcheinandergeraten.
Deswegen ist es manchmal notwendig, dass einer mit gutem Beispiel vorangeht und die natürliche Aversion, die die Gruppe einem Neuen gegenüber an den Tag legt, überwindet. Dazu muss man nicht eigens vom Bischof berufen werden, handelt es sich hierbei doch um eine Berufung, die wir alle haben und die unmittelbar vom Herrn kommt: „Lasst jedermann seinen Bruder achten wie sich selbst!“ (LuB 38:25; Hervorhebung hinzugefügt.)
In diesem Vers liegt auch der Schlüssel dazu, wie man andere einbeziehen kann. Überlegt, wie ihr in der Kirche oder in der Schule behandelt werden wollt, und behandelt dann andere genauso. Würde es euch gefallen, wenn man euch im Priestertumskollegium alleine in der Reihe sitzen ließe? Wenn nicht, dann geht mit gutem Beispiel voran und setzt euch solange neben den neuen Diakon, wie er braucht, um zu merken, dass ihr euch freut, dass er da ist. Würdet ihr euch darüber freuen, von einer Gruppe zum Fußball, Basketball oder einer anderen Sportart eingeladen zu werden? Dann ladet doch auch einen Neuen ein, in eurer Gruppe mitzuspielen.
Es liegt an uns
Ein mutiges Mädchen hat mir gezeigt, welch großen Einfluss ein Einzelner, der mit gutem Beispiel vorangeht und andere einbezieht, ausüben kann. Dieses Mädchen war gerade die zweite Woche in der dritten Klasse an ihrer neuen Schule, als ihr in der Pause ein Mädchen in ihrem Alter auffiel, das weinte. Dieses Mädchen musste ein Schuljahr wiederholen und war deswegen dem Spott der ehemaligen Mitschüler ausgesetzt.
Ohne zu zögern gesellte sich meine kleine Freundin zu ihr. Und obwohl sie selbst auch ohne Freunde dastand, hatte sie dem Mädchen, das einer ablehnenden, geschlossenen Gruppe gegenüberstand, doch etwas zu bieten. Aus der Tiefe ihres gütigen Herzens konnte sie dem weinenden Mädchen Trost spenden: „Mach dir nichts daraus“, sagte sie. „Ich habe ein ganzes Schuljahr versäumt und deswegen haben mich meine Eltern zurückstufen lassen.“ Bestimmt werden diese beiden Mädchen Freundinnen bleiben.
Ein Kreis kann etwas Schreckliches oder etwas Wundervolles sein. Was er ist, das liegt ganz an uns.
Jan Pinborough gehört zur Gemeinde East Mill Creek 4 im Pfahl East Mill Creek in Salt Lake City.
Ein Wahrer Freund
„Kurz vor seiner Kreuzigung sagte unser Erretter zu seinen Jüngern: ‚Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Ihr seid meine Freunde‘. [Johannes 15:13,14.] Ich bete darum, dass wir, die wir also mit der Freundschaft Christi gesegnet sind, in Zukunft anderen das sind, was er uns ist – ein wahrer Freund. Nie sind wir Christus ähnlicher als dann, wenn wir ein Freund sind. … Ich weiß, wenn wir uns und unsere Freundschaft anbieten, leisten wir einen ganz wichtigen Beitrag zum Werk Gottes und tragen dazu bei, dass seine Kinder glücklich sind und Fortschritt machen.“
Elder Marlin K. Jensen von den Siebzigern, „Freundschaft, ein Grundsatz des Evangeliums“, Liahona , Juli 1999, Seite 76.