Botschaft von der Ersten Präsidentschaft
Die Vaterlosen und die Witwen von Gott geliebt
Vor vielen Jahren nahm ich in Berlin an einer großen Versammlung von Mitgliedern teil. Eine stille und andächtige Atmosphäre lag über den Anwesenden, als zum Vorspiel auf der Orgel Lieder aus dem Gesangbuch erklangen. Ich beobachtete diejenigen, die vor mir saßen – Väter, Mütter und relativ wenig Kinder. Die Mehrheit derjenigen, die dicht gedrängt auf den Bänken saßen, waren Frauen mittleren Alters und allein.
Plötzlich wurde mir bewusst, dass es wohl Witwen waren, die ihren Mann im Zweiten Weltkrieg verloren hatten. Meine Neugierde verlangte nach einer Antwort auf die noch nicht gestellte Frage. Also bat ich den Beamten, der die Versammlung leitete, die Anwesenden nach Gruppen aufzurufen. Als er die Witwen bat, sich zu erheben, schien etwa die Hälfte der Anwesenden aufzustehen. Auf ihrem Gesicht spiegelten sich die schrecklichen Folgen der Grausamkeit des Krieges wieder. Ihre Hoffnungen waren zerschlagen, ihr Leben war in andere Bahnen gelenkt worden und in gewisser Weise war ihnen ihre Zukunft geraubt worden. Hinter jedem Gesicht verbarg sich tiefes persönliches Leid. Ich richtete meine Worte an sie und an alle, die diejenigen verloren hatten, die sie am meisten liebten.
Der Tod kennt keine Gnade
Vielleicht nicht so grausam und dramatisch, jedoch ebenso bewegend ist die Schilderung eines Menschenlebens in den Nachrufen unserer Zeit, wenn der unwillkommene Feind namens Tod die Bühne unseres irdischen Daseins betritt und den liebevollen Ehemann oder die geliebte Frau, oft noch in der Blüte des Lebens, oder unsere Kinder oder Enkelkinder aus unserer Mitte reißt. Der Tod kennt keine Gnade. Der Tod sieht nicht auf die Person, sondern sucht jeden auf seine heimtückische Art heim. Manchmal kommt er nach langem Leiden wie ein Segen, dann wieder greift er sich jemanden in der Blüte des Lebens.
Wie in alter Zeit stellt sich der Untröstliche oft und leise die alte Frage: „Gibt es denn keinen Balsam in Gilead?“1„Warum ich? Warum gerade jetzt?“ Der Text eines schönen Liedes kann uns teilweise Antwort geben:
Wo wird mir Trost zuteil, wo find ich Frieden,
wenn keine Hilfe da, mich zu befrein,
wenn meinem wunden Herz Kummer beschieden
und ich mich ganz verlier in Seelenpein? …
Du weißt die Antwort, Herr, stillst mein Verlangen,
kennst mein Gethsemane, wo ich geweint;
führst mich zum Friedensquell, nimmst alles Bangen,
heilest mich liebevoll, du, Herr, mein Freund.2
Die Witwe von Sarepta
Die Not der Witwe ist ein wiederkehrendes Thema in den heiligen Schriften. Wir fühlen mit der Witwe von Sarepta. Ihr Mann war tot, ihr geringer Vorrat an Nahrungsmitteln aufgebraucht. Hunger und Tod warteten. Dann kam der Prophet Gottes mit der scheinbar unverschämten Aufforderung, die Witwe solle ihn speisen. Ihre Antwort rührt besonders: „So wahr der Herr, dein Gott, lebt: Ich habe nichts mehr vorrätig als eine Hand voll Mehl im Topf und ein wenig Öl im Krug. Ich lese hier ein paar Stücke Holz auf und gehe dann heim, um für mich und meinen Sohn etwas zuzubereiten. Das wollen wir noch essen und dann sterben.“3
Die beruhigenden Worte Elijas drangen ihr tief ins Herz:
„Fürchte dich nicht! Geh heim und tu, was du gesagt hast. Nur mache zuerst für mich ein kleines Gebäck und bringe es zu mir heraus! Danach kannst du für dich und deinen Sohn etwas zubereiten;
denn so spricht der Herr, der Gott Israels: Der Mehltopf wird nicht leer werden und der Ölkrug nicht versiegen …
Sie ging und tat, was Elija gesagt hatte. …
Der Mehltopf wurde nicht leer und der Ölkrug versiegte nicht.“4
Die Witwe von Naïn
Die Witwe von Sarepta erinnert uns an die Witwe von Naïn. Im Neuen Testament finden wir einen bewegenden und rührenden Bericht von der liebevollen Rücksicht des Meisters gegenüber der betrübten Witwe:
„Einige Zeit später ging er in eine Stadt namens Naïn; seine Jünger und eine große Menschenmenge folgten ihm.
Als er in die Nähe des Stadttors kam, trug man gerade einen Toten heraus. Es war der einzige Sohn seiner Mutter, einer Witwe. Und viele Leute aus der Stadt begleiteten sie.
Als der Herr die Frau sah, hatte er Mitleid mit ihr und sagte zu ihr: Weine nicht!
Dann ging er zu der Bahre hin und fasste sie an. Die Träger blieben stehen und er sagte: Ich befehle dir, junger Mann: Steh auf!
Da richtete sich der Tote auf und begann zu sprechen und Jesus gab ihn seiner Mutter zurück.“5
Welche Macht, welche Zärtlichkeit, welches Mitgefühl zeigte unser Meister und Vorbild! Auch wir können segnend wirken, wenn wir nur seinem edlen Beispiel folgen. Gelegenheiten bieten sich überall. Gebraucht werden Augen, um die bedauernswerte Not zu sehen, Ohren, um das stille Flehen eines gebrochenen Herzens zu hören, ja, und eine Seele voller Mitgefühl, damit sich nicht nur das Auge dem Auge oder die Stimme dem Ohr mitteilt, sondern in der erhabenen Weise des Erretters auch das Herz dem Herzen.
„Die Einsamen froh stimmen“
Das Wort Witwe scheint für unseren Herrn eine ganz besondere Bedeutung zu haben. Er warnte seine Jünger vor dem Beispiel der Schriftgelehrten in ihren langen Gewändern, die mit wortreichen Gebeten rechtschaffenes Verhalten heuchelten, aber die Witwen um ihre Häuser brachten.6
Die Nephiten erhielten die eindeutige Warnung: „Ich werde euch nahen, zum Gericht; und ich werde ein eilfertiger Zeuge sein gegen… diejenigen, die… die Witwen… bedrücken.“7
Dem Propheten Joseph Smith gab er die Anweisung: „Das Vorratshaus soll durch die Weihungszuwendungen der Kirche erhalten werden; und Witwen und Waisen sollen versorgt werden, ebenso die Armen.“8
Das Zuhause der Witwe ist im Allgemeinen weder groß noch prächtig. Oft ist es klein und bescheiden. Oft ist es im obersten Stockwerk oder ganz hinten im Flur versteckt und besteht gerade aus einem Zimmer. Dorthin schickt er Sie und mich!
Sie mag in der Tat Nahrung brauchen, Kleidung oder sogar Obdach. Das lässt sich besorgen. Fast immer bleibt die Hoffnung auf die besondere Gabe, die die Seele speist.
O tröste den einsamen Bruder,
die Schwester, die müd ist und weint;
wo immer du gehst, tu stets Gutes,
bis die Sonne für sie wieder scheint.9
Vergessen wir nicht: Wenn nach der Beerdigung die Blumen verwelken, die Wünsche der Freunde Erinnerung geworden sind und die Gebete und Worte im Gedächtnis verblassen, dann findet sich der Trauernde häufig allein. Er vermisst das Lachen der Kinder, die Unruhe der Teenager und die liebevolle Fürsorge des dahingeschiedenen Partners. Die Uhren ticken lauter, die Zeit vergeht langsamer, und die vier Wände werden zum Gefängnis.
Hoffentlich hören wir alle aufs Neue die Worte des Meisters widerhallen, die uns zu guten Werken anregen: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“10
Elder Richard L. Evans, der bereits von uns gegangen ist, hat uns die folgende Ermahnung zur Betrachtung und zum Handeln hinterlassen:
„Wir, die wir jung sind, dürfen uns nie so blindlings in unsere Beschäftigung vertiefen, dass wir darüber vergessen, dass unter uns Menschen einsam sind, wenn wir sie nicht an unserem Leben teilhaben lassen, wie sie uns früher an ihrem haben teilhaben lassen. …
Wir können ihnen nicht die Morgenstunden der Jugend wiederbringen. Aber wir können ihnen helfen, im warmen Sonnenuntergang zu leben, den wir ihnen durch unsere Rücksichtnahme, unsere Vorkehrungen und unsere tätige und ungeheuchelte Liebe verschönen. Das Leben in seiner Fülle ist ein von Liebe getragener Dienst einer Generation für die andere. Gebe Gott, dass diejenigen, die zu uns gehören, nie einsam zurückgelassen werden.“11
„Können Sie dafür die Vorkehrungen treffen?“
Vor vielen Jahren hat eine heftige Trockenheit das Salzseetal heimgesucht. Die Güter im Vorratshaus am Welfare Square waren weder in der üblichen Qualität noch in reichlicher Menge vorhanden. Viele Güter, vor allem Frischobst, fehlten. Als junger Bischof, der sich um die Bedürfnisse der vielen Witwen in seiner Gemeinde Sorgen machte, ist mir das Gebet eines Abends in besonders heiliger Erinnerung geblieben. Ich flehte, dass diese Witwen, die zu den hervorragendsten Frauen gehörten, die ich in diesem Leben gekannt hatte, und deren Bedürfnisse einfach und bescheiden waren, das bekämen, was sie brauchten.
Am nächsten Morgen erhielt ich einen Anruf von einem Mitglied meiner Gemeinde, das einen Obst- und Gemüsehandel besaß. „Bischof“, sagte er, „ich möchte einen Anhänger mit Orangen, Pampelmusen und Bananen zum Vorratshaus des Bischofs schicken, damit das den Bedürftigen zugute kommt. Können Sie dafür die Vorkehrungen treffen?“ Und ob ich konnte! Das Vorratshaus wurde benachrichtigt. Dann wurde jeder Bischof angerufen und die Lieferung verteilt.
Die Frau dieses großzügigen Geschäftsmannes wurde später selbst Witwe. Ich weiß, dass die Entscheidung, die ihr Mann und sie getroffen haben, ihr angenehme Erinnerungen und ihrer Seele tröstlichen Frieden brachten.
Vielen Dank!
Ich drücke jedem meine Wertschätzung aus, der an die Witwe denkt. Den rücksichtsvollen Nachbarn, die eine Witwe zum Essen einladen, und der Heerschar edler Frauen, den Besuchslehrerinnen der FHV, sage ich ferner: Möge Gott Sie segnen für Ihre Güte und Ihre ungeheuchelte Liebe für diejenige, die die Hand ausstreckt und verschwundene Hände berührt und nach Stimmen lauscht, die für immer verstummt sind. Die Worte des Propheten Joseph Smith machen ihren Auftrag deutlich: „Ich war gebeten worden, die Frauenhilfsvereinigung zu besuchen, deren Zweck es ist, den Armen, den Notleidenden, den Witwen und Waisen Linderung zu verschaffen und alle wohltätigen Absichten zu erfüllen.“12
Ich danke den rücksichtsvollen und fürsorglichen Bischöfen, die sicherstellen, dass keine Witwe hungrig sein, frieren oder auf einen Segen verzichten muss. Ich bewundere die Führer der Gemeinden, die die Witwen zu allen geselligen Veranstaltungen einladen und oft einen Jungen des Aaronischen Priestertums dafür als Begleiter bestellen.
Witwen und Witwer
Oft braucht eine Witwe weder Lebensmittel noch Obdach, sondern das Gefühl dazuzugehören. Elder H. Bryan Richards von den Siebzigern brachte eines Tages eine liebe Witwe in mein Büro, deren Mann auf einer gemeinsamen Vollzeitmission verstorben war. Elder Richards erklärte, dass es ihr finanziell an nichts fehle und dass sie dem Allgemeinen Missionarsfonds der Kirche zwei Lebensversicherungspolicen ihres verstorbenen Ehemannes überlassen wolle. Ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten, als sie mir sanft zu verstehen gab: „Das möchte ich tun und es entspricht dem, was mein Mann, dem die Missionsarbeit so sehr am Herzen lag, sich wünschen würde.“
Wir nahmen die Spende an und verbuchten eine beträchtliche Summe für die Missionsarbeit. Ich sah die auf ihren Namen ausgestellte Quittung, aber im Herzen glaube ich, dass ihre Gabe auch im Himmel verbucht worden ist. Ich lud sie und Elder Richards in das freie Ratszimmer der Ersten Präsidentschaft im Verwaltungsgebäude der Kirche ein. Der Raum ist schön und friedlich. Ich bat diese liebe Witwe, auf dem Stuhl Platz zu nehmen, auf dem sonst der Präsident der Kirche sitzt. Ich dachte, er hätte nichts dagegen, denn ich kannte sein Herz.
Als sie so demütig in dem großen Lederstuhl saß, hielt sie sich mit den Händen an beiden Armstützen fest und sagte: „Das ist einer der glücklichsten Tage in meinem Leben.“ Das war es auch für Elder Richards und mich.
Ich fahre nie durch den starken Verkehr auf der Seventh East Street in Salt Lake City zur Arbeit, ohne vor meinem geistigen Auge eine an Arthritis leidende, rücksichtsvolle Tochter zu sehen, die in der Hand einen Teller mit einer warmen Mahlzeit hält, den sie ihrer alten Mutter auf der anderen Seite der Durchgangsstraße bringt. Sie ist nun wieder bei ihrer Mutter, die ihr im Tod vorangegangen war. Aber ihre Töchter haben von ihrem Beispiel gelernt und erfreuen ihren verwitweten Vater, indem sie jede Woche sein Haus putzen, ihn zu sich zum Essen einladen, mit ihm lachen und eine schöne Zeit mit ihm verbringen, sodass in seinem Herzen ein Dankgebet für seine Kinder, das Licht seines Lebens, zurückbleibt. Wie die Mütter kennen auch die Väter die Einsamkeit.
Ein reiner und makelloser Dienst vor Gott
Eines Abends zur Weihnachtszeit besuchten meine Frau und ich ein Pflegeheim in Salt Lake City. Vergebens suchten wir eine fünfundneunzigjährige Witwe, deren Erinnerung sich getrübt hatte und die kein Wort sprechen konnte. Eine Pflegerin führte uns schließlich bei unserer Suche und wir fanden Nell im Speisesaal. Sie hatte ihre Mahlzeit eingenommen und saß still da und starrte ins Leere. Sie schien uns nicht zu erkennen. Als ich nach ihrer Hand greifen wollte, zog sie sie zurück. Ich bemerkte, dass sie eine Weihnachtskarte festhielt. Die Pflegerin lächelte und sagte: „Ich weiß nicht, wer ihr diese Karte geschickt hat, aber sie will sie nicht beiseite legen. Sie spricht kein Wort, aber sie streichelt die Karte, führt sie an ihre Lippen und küsst sie.“ Ich erkannte die Karte. Meine Frau Frances hatte sie ihr eine Woche zuvor geschickt.
Wir verließen das Heim, mehr erfüllt vom Geist der Weihnacht als zuvor, als wir es betreten hatten. Wir behielten das Geheimnis jener besonderen Karte und des Lebens, das sie erfreut, und des Herzens, das sie berührt hatte, für uns. Der Himmel war nah.
Wir brauchen nicht auf Weihnachten oder bis zum Erntedankfest zu warten, um die sanfte Ermahnung des Erretters zu befolgen, der gesagt hat: „Geh und handle genauso!“13
Wenn wir in seine Fußstapfen treten, wenn wir über seine Gedanken und Taten nachsinnen und wenn wir seine Gebote halten, werden wir gesegnet. Die trauernde Witwe, das vaterlose Kind und der im Herzen Einsame wird durch unser Dienen erfreut, getröstet und gestärkt, und wir werden die Worte im Brief des Jakobus besser verstehen: „Ein reiner und makelloser Dienst vor Gott besteht darin: für Waisen und Witwen zu sorgen, wenn sie in Not sind, und sich vor jeder Befleckung durch die Welt zu bewahren.“14
Für Die Heimlehrer
Bereiten Sie sich gebeterfüllt vor und tragen Sie diese Botschaft anhand einer Unterrichtsmethode vor, bei der Ihre Zuhörer einbezogen werden. Es folgen einige Beispiele:
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Lassen Sie die Familie alle Witwen, Witwer und Kinder ohne Vater beziehungsweise ohne Mutter, die sie kennen, aufschreiben. Lesen Sie Abschnitte aus der Botschaft Präsident Monsons vor, die der Familie helfen, die Herausforderungen zu verstehen, vor denen eine Witwe oder jemand in einer ähnlichen Lage wohl stehen. Bitten Sie die Familie, jemandem auf ihrer Liste eine Freude zu bereiten.
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Fragen Sie die Familie, ob sie schon einmal jemanden, der allein lebt, besucht haben oder ihm sonst einen Dienst erwiesen haben. Lesen Sie Präsident Monsons Dank und anschließend den letzten Abschnitt der Botschaft vor. Geben Sie Zeugnis von den Segnungen, die uns zuteil werden, wenn wir uns der Einsamen annehmen.