Ihr könnt uns erzählen, was ihr wollt
Als mein Vater im April 1993 in der argentinischen Kleinstadt Realicó eines Tages in einem Laden Lebensmittel einkaufte, sprachen ihn zwei junge Männer an und fragten ihn, ob sie seine Familie besuchen könnten. Mein Vater willigte ein, und schon bald kamen die beiden zu uns nach Hause.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie mein kleiner Bruder, Sebastián, in mein Schlafzimmer gelaufen kam und aufgeregt flüsterte: „Komm, sieh mal! Die Missionare sind hier!“ Wir hatten sie früher schon auf der Straße gesehen und uns – ich muss es gestehen – über sie lustig gemacht.
An jenem Tag erzählten sie meinen Eltern vom Buch Mormon. Zwei Tage später schauten sie kurz vorbei, und zu ihrer Überraschung hatte meine Mutter das ganze Buch gelesen und eine Liste mit Fragen. Die Missionare freuten sich sehr, doch meinen Eltern war weniger daran gelegen, ihre Religion zu wechseln, als daran, sich mit den Missionaren anzufreunden. „Ihr könnt uns erzählen, was ihr wollt, aber in dieser Familie werdet ihr niemanden bekehren“, lautete die erste Reaktion meiner Eltern auf die Lektionen. Dennoch unterwiesen uns die Missionare voll Glauben und Geduld weiter.
Eines kalten Abends boten wir ihnen an, sie nach der Lektion nach Hause zu fahren. Auf dem Rückweg fragte ich meine Mutter, ob sie tatsächlich daran dächte, diese neue Religion anzunehmen und sich taufen zu lassen. Ihre Antwort verblüffte mich: „Wenn ich herausfinde, dass es sich um die Wahrheit handelt, werde ich mich taufen lassen.“ Da begriff ich, dass auch ich herausfinden musste, ob es sich um die Wahrheit handelte.
Als die Verpflichtung, das Wort der Weisheit zu befolgen, Gegenstand der Unterweisung wurde, dachte ich, damit sei nun alles vorbei, denn meine Mutter hatte schon sechzehn Jahre lang versucht, mit dem Rauchen aufzuhören, hatte es aber nicht geschafft, und mein Vater nahm bei gesellschaftlichen Anlässen gelegentlich ein alkoholisches Getränk zu sich. Ich sah nicht ein, warum wir unseren Lebensstil ändern sollten, bloß um irgendeiner eigenartigen Religion Genüge zu tun. Doch die Missionare baten uns immer noch, zu beten und herauszufinden, ob das Evangelium wiederhergestellt worden war und ob Joseph Smith ein Prophet Gottes war. Wie durch ein Wunder konnte meine Mutter plötzlich mit dem Rauchen aufhören. Sie wusste, dass Gott ihr sagen wollte, dass die Kirche wahr sei, und sie ließ sich taufen.
Ich las und betete weiterhin, und nachdem ich ein Zeugnis vom Buch Mormon empfangen hatte, ließ auch ich mich taufen. Wenige Wochen darauf traf mein Vater dieselbe Entscheidung, und zwei Jahre später folgte auch mein Bruder. Ich war zwar erst 13 Jahre alt, als ich mich der Kirche anschloss, aber ich wusste: Ich hatte den größten Schatz gefunden, den es gibt.
Wir wurden im Buenos-Aires-Tempel für die Ewigkeit aneinander gesiegelt. Wir fanden heraus, welche Freude das Evangelium bringt. Wenn ich zurückblicke, erkenne ich, wie der Geist Gottes auf unser Herz eingewirkt und uns geholfen hat, aus der Dunkelheit ins Licht zu kommen.
Ich liebe meine Familie. Ich liebe das Evangelium. Ich bin gern Missionar. Wenn ich jetzt an eine Tür klopfe und die Leute uns sagen: „Ihr könnt uns erzählen, was ihr wollt, aber in dieser Familie werdet ihr niemanden bekehren“, dann lächle ich und bete darum, dass der Geist ihr Herz berührt, so wie er es vor zehn Jahren bei meiner Familie getan hat.
Don Carlos Vidal dient als Vollzeitmissionar in der Oregon-Mission Eugene.