Klassiker des Evangeliums
Das Abendmahl – und das Opfer
David B. Haight kam am 2. September 1906 in Oakley/Idaho als Sohn von Hector C. Haight und Clara Haight, geb. Tuttle, zur Welt. Am 4. September 1930 heiratete er Ruby Olson im Salt-Lake-Tempel. Ehe er als Generalautorität berufen wurde, war er ein erfolgreicher Geschäftsmann, war Bürgermeister von Palo Alto in Kalifornien und präsidierte über die Schottland- Mission. Am 8. Januar 1976 wurde er zum Apostel ordiniert. Er verstarb am 31. Juli 2004 im Alter von 97 Jahren.
Bei der Frühjahrs-Generalkonferenz vor sechs Monaten brauchte ich nicht zu sprechen, weil ich mich von einer schweren Operation erholte. Mein Leben ist erhalten geblieben, und ich habe nun Gele-genheit, für die Segnungen, den Trost und die bereitwillige Hilfe meiner Brüder in der Ersten Präsidentschaft und im Kollegium der Zwölf und anderer Gefährten und Freunde zu danken, denen ich so viel verdanke und die meine Frau Ruby und meine Familie mit ihrer Zeit, ihrer Aufmerksamkeit und ihren Gebeten stärkten. …
Am Abend, als alles begann, war mir klar, dass mir etwas Ernsthaftes zugestoßen war. Alles ging so schnell – der heftige Schmerz, meine liebe Frau, die den Arzt und unsere Kinder verständigte, ich auf den Knien, über die Badewanne gelehnt, um mich abzustützen und den Schmerz nicht so zu spüren. Ich flehte den himmlischen Vater an, mir noch eine Weile das Leben zu erhalten, damit ich noch etwas mehr Zeit hatte, sein Werk zu tun, wenn das sein Wille war.
Während ich noch betete, verlor ich langsam das Bewusstsein. An die Sirene des Notarztwagens erinnere ich mich noch, dann spürte ich, dass ich bewusstlos wurde, ein Zustand, der noch einige Tage andauern sollte.
Der schreckliche Schmerz und die Aufregung der Leute vergingen. Ich befand mich an einem ruhigen Ort, alles war friedevoll und still. Ich nahm zwei Gestalten wahr, die in der Ferne auf einer Anhöhe standen, eine stand etwas höher als die andere. Einzelheiten konnte ich nicht erkennen. Die Ge-stalt, die höher stand, wies auf etwas, was ich nicht sehen konnte.
Ich hörte keine Stimmen, aber mir war bewusst, dass ich mich in der Gegenwart von Heiligem befand. In den Stunden und Tagen danach prägten sich mir die ewige Mission und die erhabene Stellung des Menschensohnes immer wieder ein. Ich bezeuge, dass er der Christus ist, der Sohn Gottes, der Erretter und Erlöser der Menschheit, von dem unendliche Liebe, Barmherzigkeit und Vergebung kommen, das Licht und das Leben der Welt. Das wusste ich auch schon vorher – ich hatte nie daran gezweifelt. Aber jetzt hatte mir der Heilige Geist diese göttlichen Wahrheiten auf äußerst ungewöhnliche Weise in Herz und Sinn eingeprägt.
Mir wurde das irdische Wirken Jesu gezeigt: seine Taufe, seine Lehren, wie er die Kranken und die Lahmen heilte, das Scheingericht, seine Kreuzigung, seine Auferstehung und die Himmelfahrt. Es folgten Bilder von seinem irdischen Wirken in beeindruckenden Einzelheiten, die die Augenzeugenberichte in der Schrift bestätigten. Ich wurde belehrt, und die Augen meines Verständnisses öffneten sich durch den Heiligen Geist Gottes, sodass ich vieles erblicken konnte.
Zuerst sah ich den Erlöser und seine Apostel in dem Raum im Obergeschoss am Abend des Verrats. Nach dem Paschamahl gab er Anweisungen für das Abendmahl und bereitete es für seine Freunde zur Erinnerung an sein bevorstehendes Opfer vor. Das wurde mir so eindrucksvoll gezeigt – die überwältigende Liebe Jesu für jeden seiner Apostel. Ich sah, wie er sich aufmerksam jeder bedeutenden Einzelheit widmete – als er jedem Apostel die staubigen Füße wusch, als er den dunklen Brotlaib brach und Brot und Wein segnete und als er schließlich offenbarte, dass einer ihn verraten würde.
Er erklärte, warum Judas wegging, und sagte den anderen, was sich bald ereignen sollte.
Darauf folgte eine feierliche Rede des Erlösers. Er sagte zu den elf Jüngern: „Dies habe ich zu euch gesagt, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt seid ihr in Bedrängnis; aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt.“ (Johannes 16:33.)
Unser Erlöser betete zum Vater und erkannte ihn als die Quelle seiner Vollmacht und Kraft an, als denjenigen, der allen, die würdig sind, ewiges Leben gibt.
Er betete: „Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast.“
Dann fügte Jesus ehrfurchtsvoll hinzu:
„Ich habe dich auf der Erde verherrlicht und das Werk zu Ende geführt, das du mir aufgetragen hast. Vater, verherrliche du mich jetzt bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war.“ (Johannes 17:3-5.)
Er bat nicht nur für die Jünger, die er aus der Welt berufen hatte und die ihrem Zeugnis von ihm treu geblieben waren, „sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben“ (Johannes 17:20).
Nach dem Lobgesang gingen Jesus und die Elf zum Ölberg. Dort im Garten nahm Jesus auf eine für uns un-fassbare Weise die Last der Sünden der Menschheit von Adam bis zum Ende der Welt auf sich. Sein Leiden im Garten war, sagt Lukas, so schwer, dass sein Schweiß wie Blut war, das auf die Erde tropfte (siehe Lukas 22:44). Er litt qualvoll unter der Last, die kein anderer Mensch ertragen könnte. In jener Stunde der Angst überwand unser Erretter die ganze Macht des Satans.
Der verherrlichte Herr offenbarte Joseph Smith diese Warnung an alle Menschen:
„Darum gebiete ich dir umzukehren. …
Denn … ich, Gott, habe … für alle gelitten, damit sie nicht leiden müssen, sofern sie umkehren; … und dieses Leiden ließ mich, selbst Gott, den Größten von allen, der Schmerzen wegen zittern und aus jeder Pore bluten …
Darum gebiete ich dir abermals, umzukehren, sonst demütige ich dich mit meiner allmächtigen Macht; und dass du deine Sünden bekennst, sonst erleidest du diese Strafen.“ (LuB 19:15,16,18,20.)
Während meiner mehrtägigen Bewusstlosigkeit wurde mir durch die Gabe und Macht des Heiligen Geistes eine vollständigere Erkenntnis der Mission Christi gegeben. Mir wurde auch ein größeres Verständnis davon gegeben, was es heißt, in seinem Namen die Vollmacht auszuüben, die Geheimnisse des Himmelreichs für die Errettung all derer aufzuschließen, die treu sind. Immer wieder erlebte meine Seele diese Ereignisse: den Verrat, das Scheingericht und die Geißelung eines Gottes. Ich war Zeuge davon, wie er sich – geschwächt, wie er war – mit dem Kreuz den Berg hinaufkämpfte, wie er auf das Kreuz am Boden gelegt wurde und wie ihm die rohen Nägel mit einem Hammer in die Hände und Handgelenke und Füße getrieben wurden, damit sein Körper fest am Kreuz hing, das für alle sichtbar aufgestellt wurde.
Die Kreuzigung, dieser schreckliche und schmerzhafte Tod, den er erlitt, war von Anbeginn an ausgewählt worden. Durch diesen qualvollen Tod ist er unter alles hinabgefahren, wie es geschrieben steht, damit er durch seine Auferstehung über alles emporsteigt (siehe LuB 88:6).
Jesus Christus starb buchstäblich so, wie wir alle sterben werden. Sein Leichnam wurde in das Grab gelegt. Der unsterbliche Geist Jesu, der als Erretter der Menschheit erwählt war, ging zu den unzähligen Geistern, die das irdische Leben bereits verlassen und Gottes Gesetze mit unterschiedlichem Eifer gehalten hatten. Er lehrte sie die „herrliche Botschaft der Befreiung von der Knechtschaft des Todes und der möglichen Erlösung. … Diese Arbeit gehörte zu des Erlösers vorbestimmtem und einzigartigem Dienst an der menschlichen Familie.“1
Ich kann Ihnen nicht annähernd den tiefen Eindruck vermitteln, den diese Bilder auf meiner Seele hinterlassen haben. Ich fühle ihre ewige Bedeutung und erkenne, dass „nichts im ewigen Erlösungsplan sich auch nur im Entferntesten mit diesem überweltlichen Ereignis, dem Sühnopfer Christi, vergleichen lässt. Es ist das für sich wichtigste Ereignis der Schöpfungsgeschichte; es ist der Fels, auf dem das Evangelium und alles andere gegründet ist.“2
Lehi sagt zu seinem Sohn Jakob und auch zu uns heute:
„Darum kommt die Erlösung im heiligen Messias und durch ihn; denn er ist voller Gnade und Wahrheit.
Siehe, er bringt sich selbst als Opfer für Sünde dar, um den Zwecken des Gesetzes Genüge zu leisten für alle, die ein reuiges Herz und einen zerknirschten Geist haben; und für niemanden sonst kann den Zwecken des Gesetzes Genüge geleistet werden.
Wie wichtig ist es daher, dass all dies den Bewohnern der Erde verkündet wird, damit sie erkennen mögen, dass kein Fleisch in der Gegenwart Gottes wohnen kann außer durch die Verdienste und die Barmherzigkeit und Gnade des heiligen Messias, der sein Leben niederlegt gemäß dem Fleische und es wie-der nimmt durch die Macht des Geistes, auf dass er die Auferstehung der Toten zustande bringe; denn er wird der Erste sein, der aufersteht.
Darum ist er die Erstlingsgabe für Gott, sodass er für alle Menschenkinder Fürspra-che einlegen wird; und wer an ihn glaubt, der wird errettet werden.“ (2 Nephi 2:6-9.)
Der wertvollste Teil der Gottesverehrung in der Abendmahlsversammlung ist das heilige Abendmahl, denn es gibt uns die Gelegenheit, unser Herz und unseren Sinn auf den Erretter und sein Opfer zu richten.
Der Apostel Paulus warnte die Heiligen der Urkirche davor, unwürdig von dem Brot zu essen und aus dem Kelch des Herrn zu trinken (siehe 1 Korinther 11:27-30).
Der Erretter selbst unterwies die Nephiten: „Wer mein Fleisch und Blut unwürdig isst und trinkt, der isst und trinkt Verdammnis für seine Seele.“ (3 Nephi 18:29.)
Wer würdig am Abendmahl teilnimmt, steht im Einklang mit dem Herrn und erlegt sich selbst das Bündnis auf, immer an sein Opfer für die Sünden der Welt zu denken, den Namen Christi auf sich zu nehmen, immer an ihn zu denken und seine Gebote zu halten. Der Erretter gelobt: Wenn wir das tun, wird sein Geist mit uns sein, und wenn wir bis ans Ende treu sind, können wir ewiges Leben ererben.
Der Herr offenbarte Joseph Smith: „Es gibt keine größere Gabe als die Gabe der Errettung.“ (LuB 6:13.) Zum Erlösungsplan gehört auch das Abendmahl, das uns ständig an das Sühnopfer Jesu Christi erinnern soll. Er wies uns an: „Es ist ratsam, dass die Kirche sich oft versammelt, um zum Gedächtnis des Herrn Jesus Brot und Wein zu sich zu nehmen.“ (LuB 20:75.)
Die Unsterblichkeit ist eine unentgeltliche Gabe, die uns allein durch die Gnade Gottes ohne die Werke der Rechtschaffenheit zuteil wird. Das ewige Leben ist jedoch der Lohn für unseren Gehorsam gegenüber den Gesetzen und Verordnungen seines Evangeliums.
Ich bezeuge Ihnen allen, dass der himmlische Vater unsere rechtschaffenen Bitten erhört. Die zusätzliche Erkenntnis, die ich erlangt habe, hat großen Einfluss auf mein Leben. Die Gabe des Heiligen Geistes ist ein unbezahlbarer Besitz; sie öffnet uns das Tor zu ständig wachsender Gotteserkenntnis und ewiger Freude.
Nach einer Ansprache bei der Herbst-Generalkon-ferenz 1989. Der Text wurde der neuen Ausgabe der heiligen Schriften angepasst.