Einblicke in den Islam
Es vergeht kaum ein Tag, an dem der Islam und Muslime nicht in den Schlagzeilen sind. Die Gründe dafür sind manchmal erfreulich, manchmal weniger erfreulich. Verständlicherweise sind viele nichtmuslimische Menschen – darunter auch Heilige der Letzten Tage – deswegen neugierig, ja sogar besorgt. Haben wir denn mit unseren muslimischen Mitmenschen irgendetwas gemein? Können wir miteinander leben und zusammenarbeiten?
Zunächst ist vielleicht etwas geschichtlicher Hintergrund hilfreich:
Im Jahr 610 n. Chr. erklomm ein arabischer Händler mittleren Alters namens Mohammed die Hügel über seiner Heimatstadt Mekka, um über das Wirrwarr der Religionen um ihn herum nachzudenken und darüber zu beten. Danach berichtete er, er habe eine Vision empfangen, in der er als Prophet für sein Volk berufen worden sei. Dieses Ereignis gilt als der Ausgangspunkt der Religion, die als der Islam bekannt ist. Das arabische Wort Islām bedeutet „Unterordnung, Unterwerfung“ (gegenüber Gott). Einen Gläubigen im Islam nennt man Muslim, was „der sich [Gott] unterwirft“ bedeutet.
Nach dieser Vision erhielt Mohammed nach eigenen Angaben bis zu seinem Tod fast 25 Jahre darauf viele Offenbarungen. Er berichtete zunächst den Einwohnern seiner Heimatstadt davon und warnte sie vor bevorstehenden Strafgerichten Gottes. Er rief seine Zuhörer zur Umkehr, forderte sie auf, die Witwen, Waisen und Armen gut zu behandeln, und verkündete die allgemeine Auferstehung der Toten und das letzte Gericht Gottes.
Die Verspottung und Verfolgung, der er und seine Nachfolger ausgesetzt waren, wurden jedoch so heftig, dass sie gezwungen waren, nordwärts in die Stadt Medina zu fliehen, wohin man auf dem Kamelrücken etwa vier Tage brauchte.
Dort änderte sich Mohammeds Rolle drastisch.1 Zuvor hatte er lediglich gepredigt und gewarnt. Nun wurde er Gesetzgeber, Richter und politischer Führer einer wichtigen arabischen Stadt und im Laufe der Zeit sogar der gesamten Arabischen Halbinsel. Dadurch, dass schon früh eine politische Gemeinschaft aus Gläubigen geschaffen wurde, erhielt der Islam eine religiöse Identität, die in Recht und Gesetz verwurzelt ist. Dies ist bis heute eins seiner daraus resultierenden, auffälligsten Merkmale.
Nach Mohammeds Tod im Jahr 632 n. Chr. entstanden unter seinen Nachfolgern zwei Hauptgruppen. Sie entzweiten sich ursprünglich über die Frage, wer seine Nachfolge als Führer der islamischen Gemeinschaft antreten sollte.2 Die größere der beiden Gruppen nennt man heute Sunniten. (Sie nimmt für sich in Anspruch, sich an die Sunna, das von Mohammed eingeführte Brauchtum, zu halten, und hat eine flexible Nachfolgeregelung.) Die andere, die sich um Mohammeds Schwiegersohn Ali bildete, nannte man die Schī’at ’Alī (die Partei Alis). Sie ist jetzt weithin einfach als die Schia bekannt. Im Gegensatz zu den Sunniten glauben die Anhänger der Schia (bekannt als die Schiiten oder schiitischen Muslime), dass das Recht, Mohammeds Nachfolge als Führer der Gemeinschaft anzutreten, dem nächsten männlichen Verwandten des Propheten Mohammed – Ali – und dessen Erben zusteht.
Trotz solcher Meinungsverschiedenheiten herrscht innerhalb der islamischen Welt in religiöser Hinsicht mehr Einigkeit als innerhalb der Christenheit. Darüber hinaus waren die islamischen Kulturen ab etwa 800 n. Chr. über mehrere Jahrhunderte die wohl fortschrittlichsten der Welt, was Wissenschaft im Allgemeinen, Medizin, Mathematik und Philosophie anbelangt.
Herkunft der Lehren und Bräuche des Islam
Die Texte, die laut Mohammed Offenbarungen an ihn waren, wurden in den ersten ein, zwei Jahrzehnten nach seinem Tod in einem Buch gesammelt, das man den Koran (vom arabischen Verb qara’a, was „lesen“ oder „aufsagen“ bedeutet) nannte. Der Koran besteht aus 114 Kapiteln, und es geht darin nicht um Mohammeds Lebensgeschichte. Sehr ähnlich wie das Buch Lehre und Bündnisse ist der Koran keinesfalls in Erzählform geschrieben, sondern die Muslime betrachten ihn als das direkt an Mohammed ergangene Wort (und die Worte) Gottes.3
Wenn ein Christ den Koran liest, findet er darin Themen, die ihm vertraut sind. Es geht darin beispielsweise darum, wie Gott das Universum in sieben Tagen erschuf, wie er Adam und Eva in den Garten von Eden brachte, wie sie vom Teufel versucht wurden, es geht um ihren Fall und darum, wie dann eine Reihe aufeinanderfolgender Propheten berufen wurde (von denen die meisten auch in der Bibel auftauchen). Diese Propheten werden im Koran als Muslime beschrieben, da sie ihren Willen Gott unterworfen haben.
Abraham wird als der Freund Gottes beschrieben. Er spielt in dem Text eine herausragende Rolle.4 (Unter anderem soll er Offenbarungen empfangen haben, die er niedergeschrieben hat, die inzwischen aber verlorengegangen sind.5) Mose, der Pharao und der Exodus der Kinder Israel sind ebenfalls wichtig.
Bemerkenswerterweise wird Maria, die Mutter Jesu, im Koran 34 Mal erwähnt, im Neuen Testament dagegen nur 19 Mal. (Sie ist sogar die einzige Frau, die im Koran namentlich erwähnt wird.)
Eine Lehre, die im Koran oft erwähnt wird, ist die vom Tauhīd. Dieses Wort kann man vielleicht mit „Monotheismus“ oder wörtlicher mit „[Gott] als den Einen erklären“ wiedergeben. Es steht für einen der zentralen Grundsätze des Islam: dass es nur ein einziges göttliches Wesen gibt, das ganz und gar einzigartig ist. „Er zeugt nicht und ward nicht gezeugt“, verkündet der Koran, „und keiner ist ihm gleich.“6 Daraus ergibt sich der wichtigste Unterschied zwischen Islam und Christentum: Muslime glauben nicht an die Göttlichkeit Jesu Christi und des Heiligen Geistes. Es geht daraus auch hervor, dass islamischer Lehre zufolge zwar alle Menschen gleichermaßen Schöpfungen Gottes sind, wir aber nicht seine Kinder sind.
Dennoch glauben die Muslime, das Jesus ein sündenfreier Prophet Gottes war, der von einer Jungfrau geboren wurde und dazu bestimmt ist, bei den Ereignissen der Letzten Tage eine zentrale Rolle zu spielen. Er wird im Koran oft und stets mit Ehrfurcht erwähnt.
Grundlegende muslimische Lehren und Bräuche
Die sogenannten „Fünf Säulen des Islam“ – am prägnantesten nicht im Koran zusammengefasst, sondern in einer Aussage, die traditionell Mohammed zugeschrieben wird – legen einige grundlegende Lehren des Islam dar:
1. Das Zeugnis
Wenn es im Islam ein allgemeines Credo gibt, dann ist das die Schahāda – das „Glaubensbekenntnis“ oder „Zeugnis“. Der Begriff bezieht sich auf eine arabische Bekenntnisformel, die übersetzt wie folgt lautet: „Ich bezeuge, dass es keinen Gott außer Gott [Allah] gibt und dass Mohammed der Gesandte Gottes ist.“ Die Schahāda ist die Eingangspforte zum Islam. Man wird ein Muslim, indem man sie mit aufrichtiger Überzeugung aufsagt.
Die arabische Entsprechung zu dem Wort Gott lautet Allah. Es ist eine Verschmelzung der Wörter al- („der“) und Ilāh („Gott“) und somit kein richtiger Name, sondern ein Titel, eng verwandt mit dem hebräischen Wort Elohim.
Da es im Islam kein Priestertum gibt, gibt es dort auch keine heiligen Handlungen des Priestertums. Außerdem gibt es keine einheitliche islamische „Kirche“. Somit ist das Aufsagen der Schahāda in gewissem Sinne die islamische Entsprechung zur Taufe. Dass es heute an einer formellen, einheitlichen, weltweiten Führungsstruktur fehlt, hat noch weitere Auswirkungen. So gibt es beispielsweise keinen Führer aller Muslime in aller Welt – niemanden, der für die gesamte Gemeinschaft spricht. (Mohammed wird fast überall als der letzte Prophet betrachtet.) Es bedeutet außerdem, dass es keine Kirche gibt, aus der Terroristen oder „Ketzer“ ausgeschlossen werden können.
2. Das Gebet
Viele nichtmuslimische Menschen wissen von dem rituellen Gebet im Islam, der Salāt. Es wird fünfmal täglich gesprochen und beinhaltet eine bestimmte Anzahl an körperlichen Niederwerfungen. Wenn man die vorgeschriebenen Verse aus dem Koran aufsagt und mit der Stirn den Boden berührt, zeigt man damit, dass man sich Gott demütig unterordnet. Ein Dua, ein freieres Gebet, kann jederzeit gesprochen werden. Dabei braucht der Betende sich nicht niederzuwerfen.
Das Mittagsgebet am Freitag müssen die muslimischen Männer in einer Moschee (von dem arabischen Wort Masdschid, dem „Ort der Niederwerfung“) verrichten. Den muslimischen Frauen wird ans Herz gelegt, es ebenfalls dort zu sprechen. In nach dem Geschlecht getrennten Gruppen bilden die Muslime Reihen, beten so, wie sie vom Imam (vom arabischen Wort amama, was „vorn“ bedeutet) der Moschee angeleitet werden, und hören sich eine kurze Predigt an. Der Freitag entspricht jedoch nicht ganz dem Sabbat. Zwar ist der Yaum al-jum’a („der Versammlungstag“), der Freitag, in den meisten muslimischen Ländern der wichtigste Tag des „Wochenendes“, doch wird es nicht als sündhaft erachtet, an diesem Tag zu arbeiten.
3. Das Geben von Almosen
Mit Zakāt (was bedeutet: „das, was rein macht“) ist gemeint, dass man mildtätige Spenden zur Unterstützung der Armen gibt sowie Spenden an Moscheen und für weitere im Islam wichtige Zwecke leistet. Im Allgemeinen werden – oberhalb eines bestimmten Mindestbetrags – 2,5 Prozent des Gesamtvermögens des jeweiligen Muslims veranschlagt. In einigen muslimischen Ländern wird die Spende durch staatliche Institutionen eingesammelt, in anderen ist sie freiwillig.
4. Das Fasten
Jedes Jahr verzichten gläubige Muslime während des gesamten Mondmonats Ramadan von Sonnenauf- bis -untergang auf Speisen, Getränke und Geschlechtsverkehr. Sie achten in diesem Monat üblicherweise auch besonders darauf, mildtätig gegenüber den Armen zu sein und im Koran zu lesen.7
5. Die Wallfahrt
Muslime, die gesundheitlich und finanziell dazu in der Lage sind, müssen mindestens einmal im Leben eine Wallfahrt nach Mekka unternehmen. (Dass man Medina besucht, die zweitheiligste Stadt im Islam, gehört zwar normalerweise dazu, ist aber nicht vorgeschrieben.) Für einen gläubigen Muslim ist dies ein zutiefst geistiges und bewegendes Ereignis. Es lässt sich in etwa damit vergleichen, wenn ein Mitglied der Kirche bei der Generalkonferenz selbst anwesend ist oder zum ersten Mal in den Tempel geht.
Einige aktuelle Themen
Drei Hauptthemen, die nichtmuslimischen Menschen heutzutage im Zusammenhang mit dem Islam Sorgen bereiten, sind religiös motivierte Gewalt, die Scharia (das Gesetz des Islam) und wie Frauen im Islam behandelt werden.
Einige Extremisten beziehen den Begriff Dschihad ausschließlich auf den „heiligen Krieg“. Das Wort bedeutet jedoch in Wirklichkeit „praktische Arbeit“ im Gegensatz zum „bloßen“ Gebet und „bloßen“ Schriftstudium.
Unter den muslimischen Juristen und Denkern gibt es unterschiedliche Auffassungen vom Dschihad. In rechtswissenschaftlichen Standardquellen wird beispielsweise die Position vertreten, dass ein zulässiger militärischer Dschihad defensiv ausgerichtet sein muss, dass die Gegner vorgewarnt werden müssen und man ihnen die Gelegenheit geben muss, ihre provozierenden Handlungen einzustellen. Einige Juristen und weitere muslimische Denker vertreten heute die Ansicht, dass als Dschihad jede praktische Handlung bezeichnet werden kann, die der islamischen Gemeinschaft nutzen oder die Welt eher allgemein verbessern soll. Mohammed soll zwischen dem „größeren Dschihad“ und dem „kleineren Dschihad“ unterschieden haben. Letzterer sei laut Mohammed die Kriegsführung. Aber der größere Dschihad besteht darin, sowohl Ungerechtigkeit zu bekämpfen als auch den eigenen Widerstand dagegen, rechtschaffen zu leben.
Die heutigen islamistischen Terroristen nehmen für sich religiöse Gründe in Anspruch, aber ihr Tun spiegelt wohl vielmehr gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Missstände wider, die in Wirklichkeit kaum etwas oder gar nichts mit Religion im eigentlichen Sinne zu tun haben.8 Außerdem ist es wichtig hervorzuheben, dass die große Mehrheit der Muslime in aller Welt sich den Terroristen nicht anschließt und sich an ihren Gewalttaten nicht beteiligt.9
Die Scharia ist für einige nichtmuslimische Menschen ein weiteres sorgenbehaftetes Thema. Entnommen wurde sie dem Koran und den Hadithen – kurzen Berichten darüber, was Mohammed und seine engsten Mitarbeiter gesagt und getan haben und was als Muster dafür dient, wie ein Muslim sich verhalten soll, außerdem werden darin Koranpassagen ergänzt und erläutert. Die Scharia ist ein Verhaltenskodex für Muslime.10 Man findet in der Scharia Regeln dafür, wie sich Mann und Frau kleiden sollen (beispielsweise Regeln zum Hidschab, der Verhüllung). In manchen muslimischen Ländern ist deren Befolgung gesetzlich vorgeschrieben, in anderen wird es dem Einzelnen überlassen, ob er sich daran hält. In der Scharia werden auch Angelegenheiten wie zum Beispiel die Körperhygiene, Zeitpunkt und Inhalt der Gebete und Regeln zu Ehe, Scheidung und Erbfragen behandelt. Wenn Muslime in Umfragen angeben, dass sie auf Grundlage der Scharia regiert werden wollen, machen sie damit also vielleicht durchaus eine politische Aussage, vielleicht aber auch nicht. Sie meinen damit vielleicht einfach, dass sie als echte Muslime leben möchten.
Vielen nichtmuslimischen Menschen fallen beim Gedanken daran, wie Frauen im Islam behandelt werden, sofort Polygamie und Verhüllung ein. Doch die kulturelle Realität ist viel komplexer. In vielen Passagen im Koran heißt es jedoch ausdrücklich, die Frau sei dem Mann gleichgestellt, wohingegen ihr in anderen Passagen eine scheinbar untergeordnete Rolle zugewiesen wird. Gewiss gibt es in vielen islamischen Ländern Bräuche – deren Ursprung oft in vorislamischen Stammeskulturen oder in anderen schon vorher existenten Bräuchen liegt –, aus denen sich ergibt, dass die Frau als untergeordnet angesehen wird. Die Art und Weise, wie Muslime die Rolle der Frau betrachten, unterscheidet sich von Land zu Land oder sogar innerhalb eines Landes ganz erheblich.
Ansichten der Heiligen der Letzten Tage zum Islam
Wie kann man als Mitglied der Kirche Jesu Christi versuchen, trotz der unterschiedlichen Glaubensansichten eine Beziehung zu Muslimen aufzubauen?
Zunächst einmal sollten wir das Recht der Muslime anerkennen, zu „verehren, wie oder wo oder was sie wollen“ (11. Glaubensartikel). 1841 erließen Heilige der Letzten Tage als Mitglieder des Stadtrats von Nauvoo eine Verordnung zur Religionsfreiheit, in der „Katholiken, Presbyterianern, Methodisten, Baptisten, Heiligen der Letzten Tage, Quäkern, Episkopalen, Universalisten, Unitariern, Mohammedanern [Muslimen] und allen weiteren Religions- und Glaubensgemeinschaften [uneingeschränkte Toleranz und gleiche Rechte]“11 garantiert wurden.
Denken wir auch daran, dass sich die Führer der Kirche im Allgemeinen bemerkenswert positiv äußern, wenn sie den Gründer des Islam würdigen. Im Jahr 1855 beispielsweise, zu einer Zeit, als viele Christen Mohammed als einen Christusgegner verteufelten, hielten Elder George A. Smith (1817–1875) und Elder Parley P. Pratt (1807–1857) vom Kollegium der Zwölf Apostel lange Predigten, in denen sie nicht nur bewiesen, dass sie über die Geschichte des Islam beeindruckend gut unterrichtet waren und ein zutreffendes Bild davon hatten, sondern in denen sie auch Mohammed selbst lobten. Elder Smith erwähnte, dass Mohammed „von Gott zweifellos mit einer Absicht erweckt wurde“, nämlich um gegen Götzendienst zu predigen. Er brachte außerdem sein Mitgefühl für Muslime zum Ausdruck, die, genau wie die Heiligen der Letzten Tage, damit zu kämpfen haben, dass über sie kein „ehrlicher Geschichtsbericht“ verfasst wird. Elder Pratt sprach direkt danach und brachte dabei seine Bewunderung für Mohammeds Lehren und für die Sittlichkeit und die Institutionen der muslimischen Gesellschaft zum Ausdruck.12
Eine aktuellere offizielle Stellungnahme gab die Erste Präsidentschaft im Jahr 1978 heraus. Darin wird Mohammed konkret als einer der „großen religiösen Führer der Welt“ erwähnt. Weiter heißt es, dass er, so wie sie, „ein Stück göttlichen Lichts [empfing. Diese Führer] erhielten von Gott sittliche Wahrheit“, schrieben Präsident Spencer W. Kimball, Präsident N. Eldon Tanner und Präsident Marion G. Romney, „damit ganze Nationen erleuchtet werden und einzelne Menschen auf eine höhere Erkenntnisebene gelangen.“13
Auf eine gemeinsame Grundlage bauen
Auch wenn die Heiligen der Letzten Tage und die Muslime ganz offensichtlich in wichtigen Fragen unterschiedlicher Ansicht sind – wie insbesondere die Göttlichkeit Jesu Christi, seine Rolle als Erretter und die Berufung neuzeitlicher Propheten –, haben wir doch vieles gemein. Wir glauben beispielsweise übereinstimmend, dass wir Gott gegenüber in sittlicher Hinsicht rechenschaftspflichtig sind, dass wir nach eigener Rechtschaffenheit und einer guten und gerechten Gesellschaft streben müssen und dass wir einst auferstehen und vor Gott geführt werden, um gerichtet zu werden.
Sowohl die Muslime als auch die Heiligen der Letzten Tage glauben daran, dass starke Familien äußerst wichtig sind, daran, dass Gott gebietet, den Armen und Bedürftigen zu helfen, und daran, dass wir dann unseren Glauben unter Beweis stellen, wenn wir wie ein Jünger handeln. Es scheint keinen Grund zu geben, warum Heilige der Letzten Tage und Muslime dies nicht Seite an Seite tun und – wenn sich dazu Gelegenheiten bieten – an ihrem Wohnort nicht sogar zusammenarbeiten sollten, denn wir stellen in dieser zunehmend säkularisierten Welt doch mehr und mehr fest, dass wir eben Nachbarn sind und vieles gemein haben. Gemeinsam können wir zeigen, dass religiöse Überzeugung sehr viel Gutes bewirken kann und nicht lediglich eine Quelle der Zwietracht und sogar der Gewalt ist, wie manche Kritiker behaupten.
Im Koran selbst erfahren wir, wie wir trotz unserer Unterschiede friedlich zusammenleben können: „Und hätte Allah [Gott] gewollt, er hätte euch alle zu einer einzigen Gemeinde gemacht, doch er wünscht euch auf die Probe zu stellen durch das, was er euch gegeben. Wetteifert darum miteinander in guten Werken. Zu Allah [Gott] ist euer aller Heimkehr; dann wird er euch aufklären über das, worüber ihr uneinig wart.“14