2019
Warum ich mich nicht mehr vor einer Psychotherapie scheue
Januar 2019


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Warum ich mich nicht mehr vor einer Psychotherapie scheue

Der Verfasser lebt in Virginia.

Dass ich mir die Hilfe suchte, die ich brauchte, war kein Zeichen von Schwäche oder Versagen.

„Du solltest einen Psychotherapeuten aufsuchen.“

Dieser Rat überraschte mich sehr. Ich hatte einem guten Freund gerade davon erzählt, unter wie viel Stress ich als zurückgekehrter Missionar stand. Ich arbeitete auf die Zulassung für einen angesehenen Studiengang im Fach Rechnungswesen hin, bemühte mich, Freundschaften aufrechtzuerhalten, und wollte eine Frau finden. Ich hatte noch nie eine Therapie auch nur in Betracht gezogen. Zu einem Therapeuten gingen für mich nur Leute, die große Probleme hatten oder zu schwach waren, um mit Schwierigkeiten allein fertigzuwerden. Da mein Freund über seine Erfahrungen mit seinem Therapeuten nur Gutes zu erzählen hatte, zog ich in Betracht, ebenfalls einen aufzusuchen.

Schon bald wurden meine Angstzustände schlimmer. Nachdem ich vor Sorge nächtelang nicht geschlafen hatte, fasste ich den Entschluss, einen Termin zu vereinbaren. Ich war beunruhigt, was andere Leute wohl sagen oder denken würden, wenn sie wüssten, dass ich vorhatte, zu einem Therapeuten zu gehen. Weil meine Angstzustände aber bereits meine Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigten, ging ich dennoch hin.

Wie ich meine Angstzustände überwand

Bei dem Termin stellte der Therapeut mir viele Fragen, die mir halfen, selbst Antworten zu finden. Der Therapeut nahm mich ernst und behandelte mich nicht wie einen Verrückten. Er hatte schon viele Menschen mit ähnlichen Problemen behandelt. Gewissermaßen war es, als würde ich zum Arzt gehen. Er war ein Fachmann mit Erfahrung bei der Diagnose des Problems und dank seines Fachwissens konnte er mir beibringen, wie man Angstzuständen vorbeugt und mit ihnen umgeht.

Unter anderem gab er mir den Rat, meine Gedanken und Gefühle in meinem Tagebuch zu Papier zu bringen. Das half mir ungemein, meine Angstzustände zu überwinden. Ich trieb auch regelmäßig Sport, verbrachte Zeit mit Freunden und der Familie, ernährte mich gesund (oder eben so gesund, wie es einem Studenten, der für sich selbst kochte, möglich war), befasste mich mit den heiligen Schriften, ging in die Kirche und betete.

Schon nach einigen Therapiesitzungen änderte sich für mich zweierlei: Zum einen sah ich meine Angstzustände, mich selbst und andere Menschen in einem neuen, besseren Licht. Zum anderen hatte ich nun geeignete Werkzeuge an die Hand bekommen, derer ich mich dann in Situationen, die Angstzustände auslösen, bedienen konnte. Ich war nicht vollständig von den Angstzuständen geheilt, aber ich hatte den Eindruck, dass ich nun besser damit umgehen konnte, wenn es wieder schlimmer würde. Seitdem musste ich den Therapeuten nicht mehr aufsuchen, aber wenn ich es je müsste, würde ich diese Hilfe ohne Bedenken in Anspruch nehmen. Ich habe erkannt, dass es keinen Grund gibt, still vor sich hin zu leiden oder sich dafür zu schämen, bei einem psychischen Problem professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Der Stigmatisierung ein Ende setzen

Leider wird das Aufsuchen einer Fachkraft für psychische Erkrankungen nur allzu oft stigmatisiert. Das liegt vielleicht daran, dass manche Menschen nicht verstehen, dass das im Wesentlichen das Gleiche ist, wie wenn man wegen einer körperlichen Erkrankung zum Arzt geht. Elder Jeffrey R. Holland vom Kollegium der Zwölf Apostel hat gesagt: „Hätten Sie eine Blinddarmentzündung, würde Gott von Ihnen erwarten, dass Sie um einen Priestertumssegen bitten und die bestmögliche medizinische Versorgung in Anspruch nehmen. Das Gleiche gilt für seelische Störungen. Unser Vater im Himmel erwartet von uns, dass wir uns alle wunderbaren Gaben zunutze machen, die er uns in dieser herrlichen Evangeliumszeit gegeben hat.“1

Darüber hinaus kann man psychische Leiden schwerer erkennen. Man kann darüber nicht so einfach sprechen wie über eine Erkältung oder ein gebrochenes Bein. Sie sind jedoch genauso verbreitet. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass viele Menschen, die unter schwerwiegenden psychischen Problemen leiden, nicht behandelt werden: zwischen 35 und 50 Prozent in Industriestaaten und zwischen 76 und 85 Prozent in Entwicklungsländern.2

Dass man sich die Hilfe sucht, die man braucht, ist kein Zeichen von Schwäche oder Versagen. Der Vater im Himmel möchte, dass wir gesund sind, sowohl psychisch als auch körperlich, und er hat uns viele Möglichkeiten bereitet, wie wir die psychischen und seelischen Herausforderungen des Lebens bewältigen können, zum Beispiel:

Das trägt zu seelischem Wohlbefinden bei:

Sport

Freunde und Familie

nach dem Evangelium leben

ausreichend Schlaf

mit Führern der Kirche sprechen

Dienst am Nächsten

Fachkräfte für psychische Erkrankungen

gesunde Ernährung

Wir können nicht alle psychischen Probleme in diesem Leben vollständig überwinden, und normalerweise gibt es keine einfache Lösung, die jedem hilft. Aber wenn wir unser Bestes geben und uns der Hilfen bedienen, die der Vater im Himmel uns an die Hand gegeben hat, hilft uns der Erretter, unsere Lasten mühelos zu tragen (siehe Mosia 24:15), und wir werden für unsere Bemühungen mit Kraft und Hoffnung gesegnet.

Anmerkungen

  1. Jeffrey R. Holland, „Wie ein zerbrochenes Gefäß“, Liahona, November 2013, Seite 41

  2. K. Demyttenaere et al., „Prevalence, Severity, and Unmet Need for Treatment of Mental Disorders in the World Health Organization World Mental Health Surveys“, The Journal of the American Medical Association, Band 291, Nr. 21, Juni 2004, Seite 2581–2590