2022
125 Jahre Gemeinde Freiberg
April 2022


Panorama

125 Jahre Gemeinde Freiberg

Freiberg (JW): In der Mitte des 19. Jahrhunderts kamen Missionare der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage nach Deutschland, wo sie im Jahre 1855 die Gemeinde Dresden als eine der ersten Gemeinden in Sachsen gründeten. Von Dresden aus kamen sie auch nach Freiberg, um ein Mitglied zu besuchen, welches 1894 zu Verwandten gezogen war. Wie üblich, wurde im Bekanntenkreis über „Gott und alle Welt“ gesprochen – so auch über den „neuen Glauben“, den Schwester Schiek aus Dresden mitgebracht hatte. Sie lud die Missionare zu sich ein, um Antworten auf die Fragen ihrer neugierigen Bekannten und Freundinnen zu erhalten. In den folgenden Monaten und Jahren gab es dann immer mehr Interessierte, die sich dem neuen Glauben anschlossen.

Die Zeit gegen Ende des 19. Jahrhunderts war auch für Freiberg eine Zeit der besonderen Entwicklung und des Aufbruchs. Es wurden z. B. neue Schulen gebaut, auch das Königliche Standesamt im Rathaus wurde eröffnet, um die Lebensdaten der Bürger zu erfassen, was bisher nur die Kirchen taten. Neben diesem städtischen Wachstum gab es auch im Bereich der Kirchen positive Entwicklungen zu verzeichnen. So wurde 1884 die Nikolaikirche gegründet und auch der Dom in den Folgejahren im Inneren vollständig erneuert. In dieser Zeit des prosperierenden Wachstums, aber auch des niedergehenden Bergbaus, kamen die zwei Missionare Elder Hickmann und Elder Perkins am 10. November 1896 in die Stadt, um „für einige Zeit in Freiberg als ihr Arbeitsfeld zu wohnen“. Sie fanden ihr Quartier in der Herderstraße 9 und waren damit mitten in der Stadt neben dem Dom, also ihrer geistlichen „Konkurrenz“.

In dieser Zeit gründeten sie die kleine Gemeinde Freiberg. Im offiziellen Geschichtsbericht der Kirche im Historical Department in Salt Lake City findet sich folgender Eintrag: „Vor dem Ende des Jahres 1896 organisierten sie (die Missionare) eine Gemeinde der Kirche in Freiberg mit sieben Mitgliedern.“ Wie aus der Akte des Ratsarchivs aus dem Jahr 1897 hervorgeht, waren den Vertretern des Staates (der Stadt-Polizei), aber auch den Vertretern der evangelischen Kirche die Aktivitäten der nun etablierten kleinen Gemeinde nicht entgangen. Die Missionare, immer nur zwei, und die wenigen Mitglieder verteilten kleine Traktate und betrieben Mundpropaganda, um ihre neue Kirche und die Freiberger Gemeinde bekanntzumachen. Zu Beginn des Kirchenlebens wurden nur sogenannte Hausversammlungen als Gottesdienste durchgeführt. Die Missionare, die anfangs die Gemeinde führten, stellten nun bei der Polizeibehörde den Antrag, „religiöse Vorträge“ abhalten zu dürfen. Sie mieteten einen größeren Raum, denn gegen Ende des Jahres 1897, also ein Jahr nach der Gründung, hatte die Gemeinde immerhin schon 27 Mitglieder! Die „Vorträge“ waren laut Polizeiakte bald „gottesdienstliche Zusammenkünfte“. Nun verlangte die Stadt-Polizei die Abgabe von „Statuten der Religionsgesellschaft“. Diese Forderung zog sich über Jahre hin, wobei die Missionare erklärten, dass man keine Statuten habe. Sie kamen aber auch nicht auf die Idee, die Glaubensartikel als Statuten einzureichen!

Die Folgen ihrer Aussage waren 1898 Verbote der Gottesdienste. Auch das Singen der Lieder der Gemeinde wurde verboten. Man zog sich nun wieder in private Wohnungen zurück. Den Mietern wurden daraufhin Strafen bis zu 100 RM auferlegt und die Missionare wurden teilweise ausgewiesen, was sich aber kaum auf die Arbeit auswirkte, da ohnehin ein ständiger Wechsel der Missionare stattfand. Auch die evangelische Kirche beschwerte sich über die Aktivitäten der kleinen Gemeinde. So schrieb der Pfarrer Dr. Lehmann an die Königliche Kircheninspektion, dass er „Beschwerte erhebt … und bittet um nachdrückliche Verhinderung der Proselytenmacherei“. Die städtischen Behörden und die Polizeibehörde bemühten das Königlich-Sächsische Kultusministerium, ebenso die Königliche Kreishauptmannschaft Dresden, um dort Hilfe gegen die „Proselytenmacherei“ zu erhalten. Beide Institutionen unternahmen nichts! Das Hin und Her ging bis zum Ende des Krieges 1918. Die Missionare waren mit dem Beginn des Krieges 1914 abgezogen worden und Einheimische hatten nun die Leitung der Gemeinde.

Die gewünschte Religionsfreiheit wurde erst mit dem Ende der deutschen Monarchie im Jahre 1918 möglich. Zu dieser Zeit endeten auch die Einträge in die Polizeiakte über die Kirche. Seit der Gründung der Gemeinde im Jahre 1896 war die Gemeinde auf etwa 70 Mitglieder angewachsen, wobei allerdings auswandernde Mitglieder die Gemeinde immer wieder schwächten. In einem letzten Schreiben der Stadt Freiberg vom 6. Mai 1918 an die Amtshauptmannschaft Dresden zur sogenannten Proselytenmacherei stellte man fest, dass man offensichtlich die Aktivitäten der „Mormonen-Sendlinge“ eigentlich als vollkommen unbedenklich bezeichnen könnte.

Aufgrund der „neuen Freiheiten“ gab es nun in den 20er Jahren ein größeres Wachstum der Mitgliederzahlen, sodass man zur 100-Jahrfeier der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage im Jahre 1930 in Freiberg ca. 230 Mitglieder zählte. Die gesellschaftliche Entwicklung hatte den Mitgliedern neue weitergehende Möglichkeiten geboten, jedoch stagnierte in den 30er Jahren das Wachstum aufgrund neuer staatlicher Repressionen. In der Zeit des Dritten Reiches wurden die in den 20er Jahren entstandenen kirchlichen Strukturen wieder eingeschränkt oder ganz verboten. So wurde beispielsweise die für die jungen Männer organisierte Pfadfinderarbeit verboten. Weitere Einschränkungen ergaben sich aus der verpflichtenden Teilnahme an militärischen Aktivitäten der Nazis für die Jugend, sowohl für Jungen als auch für Mädchen. Schließlich brachte der Krieg weitere Einschränkungen und insbesondere Männer wurden zum Kriegsdienst eingezogen.

Die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Jahre 1945 brachte große Veränderungen. Mitglieder aus den Gemeinden östlich der Oder-Neiße-Linie zogen in das Gemeindegebiet – einige blieben, andere zogen weiter in die Westzonen Deutschlands. Auch einheimische Familien verließen ihre Heimat und gingen in den Westen oder in die USA. Es trat ein Mitgliederschwund von ca. 80 Personen ein, der aber in den folgenden Jahren durch Zuzüge, Geburten und neue Mitglieder ausgeglichen wurde. So hatte die Gemeinde zu Beginn der DDR-Zeit ca. 200 bis 250 Mitglieder.

Neue Einschränkungen folgten allerdings in der DDR-Zeit. Die Berliner Mauer seit 1961 schränkte die Verbindung zur europäischen Kirchenvertretung erheblich ein, sodass sich diese Leitung entschloss, 1969 eine separate Kirchenorganisation in der DDR aufzubauen. So wurde in diesem Jahr die DDR-Mission Dresden mit einem eigenverantwortlichen Missionspräsidenten organisiert, der die etwa 50 Gemeinden mit rund 5000 Mitgliedern auch gegenüber der Regierung vertrat. Er war gleichzeitig der „Hirte der Mission“ in geistlicher Hinsicht, aber auch der Verwalter in irdischen Angelegenheiten. Immer wieder sprach er bei der Regierung in Berlin die Fragen der Reisemöglichkeiten unserer Mitglieder zu einem Tempel an. Damals gab es in Europa lediglich zwei Tempel: einen in Bern und einen in London. Es dauerte über ein Jahrzehnt, bis Bewegung in die Beziehungen zum Staat kam. Um 1980 gestand die DDR-Führung der Kirche zu, eigene Gemeindehäuser zu errichten. Um diese Zeit kam auch der Vorschlag von der Seite der staatlichen Vertreter der DDR, „eine eigene Einrichtung“, sprich einen Tempel, zu bauen. Man nahm damit dem Drängen des Missionspräsidenten der Dresdner Mission auf Reisemöglichkeiten für unsere Mitglieder die Argumente.

In der weiteren Entwicklung entstand das Projekt „Kirchgemeindezentrum Freiberg“ (KGZ). Bevor das KGZ verwirklicht werden konnte, wurden 13 verschiedene Entwürfe für den Tempel und sechs verschiedene Entwürfe für das Gemeindehaus erstellt. Der Komplex umfasste den Tempel, das Gemeindehaus und ein Nebengebäude mit kleinen Appartements für Tempelmissionare sowie Büro- und Technikräume. Für die Tempelbesucher wurden die Klassenräume im Gemeindehaus genutzt. Nach zweijähriger Bauzeit war das KGZ fertig, sodass die Weihung im Sommer 1985 erfolgte. Die ersten Tempelverordnungen wurden am 1. Juli 1985 durchgeführt. An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass die DDR immer nach dem Prinzip „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ handelte! Nach der Fertigstellung des KGZ im Sommer 1985 gab es zwei Wochen lang Tage der offenen Tür. Die Menschen aus Freiberg und der näheren und auch weiteren Umgebung zeigten großes Interesse am Tempel und dem Gemeindehaus und so strömten über 90.000 Leute auf den Tempelplatz. Die einheimischen Missionare führten viele Gespräche und informierten über die Kirche, die nun unübersehbar in Freiberg existierte.

Der Staat sandte allerdings seine „Kontrolleure“ der Staatssicherheit aus. So fand man in einer Akte dieser Organisation folgenden Eintrag des Leiters der Kreisdienststelle: „Zur operativen Absicherung der Tage der offenen Tür kamen durch die Kreisdienststelle Freiberg insgesamt 15 IM/GMS zum Einsatz. Desweiteren wurde ein IMS zur Aufklärung der Aktivitäten der Mormonen direkt unter diesem Personenkreis eingesetzt. Weitere 5 IM erhielten den Auftrag, gegenüber den Missionaren Interesse an der Tätigkeit dieser Kirche zu bekunden.“ Der Leiter der Kreisdienststelle war Oberstleutnant Schliwa, auch der Name des „direkt eingesetzten“ IMS ist der Gemeinde bekannt. Er wurde unter dem Namen „IM Müller“ geführt und war Mitglied der Gemeinde. Die „Firma“, wie diese Organisation im Sprachgebrauch auch genannt wurde, hielt es also für erforderlich, die kirchlichen Aktivitäten und Gottesdienste „politisch-operativ“ abzusichern, was auch immer das bedeutete …

Das bisherige eigene Gemeindehaus, das 1963 treuhänderisch gekauft worden war, wurde verkauft. Es wurde weiter als Musikschule der Stadt Freiberg genutzt.

Als 1989 die Mauer fiel und die DDR laut Grundgesetz am 3. Oktober 1990 der Bundesrepublik angeschlossen wurde, war die Einheit Deutschlands nach 45 Jahren erreicht. Dieses Ereignis brachte für die Kirche allgemein und für die Gemeinde im Besonderen viele Verbesserungen mit sich. Die jungen Mitglieder nahmen und nehmen an Jugendlagern in West und Ost teil, die Kirchenliteratur konnte abonniert werden und auch Lehrmaterial stand nun zur Verfügung. Die Tempelerweiterungen im Jahr 2002 und 2016 wurden von den Mitgliedern gebeterfüllt herbeigesehnt.

Am 27. November 2016 gab es dann einen großen Einschnitt in der Organisation der Gemeinde Freiberg: Die „große“ Gemeinde von rund 230 Mitgliedern wurde in zwei Einheiten geteilt – die Gemeinde Freiberg 1 mit etwa 140 Mitgliedern und den Zweig Freiberg 2 mit etwa 70 Mitgliedern. Nun lag es an der Bischofschaft und der Zweigpräsidentschaft, sich das Gemeindehaus aufzuteilen und die Versammlungszeiten festzulegen, wobei ein jährlicher Wechsel vorgesehen wurde. Da die beiden Einheiten nunmehr klein geworden waren, gab es auch Probleme mit der Besetzung einzelner Berufungen, die aber nach und nach gelöst wurden. Leider trat das durch die Teilung der Gemeinde erhoffte Wachstum nicht in dem Maße ein, wie man es sich erwünscht hatte. Man muss aber auch feststellen, dass die Bemühungen nicht ganz erfolglos waren. So wird nun mit Hoffnung auf die nächsten Jahre der beiden Freiberger Einheiten geblickt!