2022
Welch ein Segen, in der Kirche zu dienen!
Oktober 2022


Stimmen von Heiligen der Letzten Tage

Welch ein Segen, in der Kirche zu dienen!

Wien (RHS): Am 31. Mai 1981 wurde ich getauft und ein paar Wochen später wurde ich als PV-Lehrerin berufen. Bis dahin kannte ich aus der Bibel nur ein paar Passagen aus dem Neuen Testament und was ich von den Predigten in der katholischen Kirche noch im Gedächtnis behalten hatte. Ich fürchtete, dass die Kinder, die in unserer Kirche im Glauben aufwuchsen, mehr wussten als ich, und fühlte mich absolut ungeeignet. Ich musste mich jedoch nicht nur um den Lehrstoff bemühen, sondern noch einiges dazu, nämlich wie man mit Kindern im Allgemeinen und in der Kirche im Besonderen umgeht. Nicht alle sind wohlerzogen, gehorsam und aufmerksam. Auch vor der Handy-Zeit war es nicht einfach, das Interesse der Kinder aufrechtzuerhalten. In den öffentlichen Schulen wurde Fehlverhalten nicht immer liebevoll geregelt. Das durfte es im Unterricht in der Kirche nicht geben. Ich lernte, das Verhalten zurückzuweisen, aber nicht die Kinder. Von den Ursachen, warum sie so sind, den Umständen, mit denen sie zurechtkommen müssen, weiß man oft nichts.

So saß ich eines sonntags vor Beginn der PV-Versammlung da und die Kinder waren laut und ungebärdig. Ich blickte mich um und dachte nur: „Und trotzdem liebe ich sie alle.“ Diese Einstellung war mir eine Vorbereitung bei der Erziehung unserer eigenen Kinder.

Mein Mann machte mich auf einen weiteren Umstand aufmerksam: „Kinder sind nicht wie ein Schiff, das man mit Wissen belädt, sondern ein Licht soll in ihren Herzen angezündet werden!“ Im Gegenzug lernte auch ich vieles von den Kindern, zum Beispiel unerschütterlichen Glauben, Gottvertrauen und nicht nachtragend zu sein. Bei jeder weiteren Berufung lernte ich dazu oder konnte auch eigenes Wissen und eigene Fähigkeiten einbringen.

Eines Tages berief man mich als Seminarlehrerin. Wieder hatte ich Zweifel. Jugendliche zu unterrichten empfand ich als besondere Herausforderung. Es war nicht nur die Angst vor kritischen Fragen, sondern vielmehr die Sorge, dass ich als Lehrerin etwas falsch machen würde. Als „Morgenmensch“ machte mir das frühe Aufstehen keine Probleme, aber ich hatte (glücklicherweise) lauter Schüler, die in glaubensstarken Familien aufgewachsen waren. Ob ich denen noch etwas beibringen konnte? Ein weiteres Fragezeichen zu meinen Fähigkeiten war, dass wegen der räumlichen Entfernungen die Klassen nur über Skype stattfinden konnten. Mit der Technik stand ich meist auf Kriegsfuß, weil ich nie erkennen konnte, ob ein Misslingen am Computer lag oder an mir. Für die Bild- und Tonübertragung war mein Internet zu schwach. Ich ließ es verstärken, dennoch funktionierte es nicht immer.

Weil ich das Büro meines Mannes nicht für das Seminar, sondern auch zur Vor- und Nachbereitung blockierte, baute er mit meinem Sohn ein eigenes Seminarzimmer. Manchmal war ein Schüler nur über mein Handy erreichbar, weil es auch anderswo Probleme mit dem Internet gab. Was aber immer funktionierte, war meine Begeisterung, mein Drang, mehr zu erfahren, dazuzulernen und weiterzugeben. Nach dem Unterricht kam ich stets in die Küche, erzählte meinem Mann, was ich an diesem Morgen Neues erfahren hatte, und er bekam die Lektion gleich dazu. Wir begannen mit dem Alten Testament und ich war wirklich traurig, als ich nach drei Jahren entlassen wurde.

Etwa ein Jahr später wurde ich als Lehrerin bei den Erwachsenen in die Sonntagsschule berufen. Da fühlte ich mich erst recht inkompetent. Meine Schüler waren Brüder und Schwestern, die bereits mehr Jahrzehnte als ich Mitglieder waren und die heiligen Schriften öfter gelesen hatten. Welche Erkenntnisse konnte ich denen vermitteln? Auch in dieser Berufung merkte ich sehr schnell, dass es nicht die Jahre sind, die zählen, sondern der Geist, mit dem man sich in eine Berufung einbringt. Während der Pandemie, als der Unterricht ausschließlich über Zoom abgehalten wurde, lernte ich, wie man eine PowerPoint-Präsentation erstellt. Als ich eines Tages meine mühsam gestalteten Folien nicht zeigen konnte, lernte ich, mich mehr auf den geistigen Inhalt und nicht auf die Bilder zu verlassen. Und wieder war ich traurig, als ich entlassen wurde.

Die Bischofschaft berief mich als Ratgeberin in die FHV. Ich verstand mich gut mit unserer Präsidentin und fühlte mich mit ihr sehr verbunden, aber wegen der Coronamaßnahmen konnte ich erstmals meine Aufgaben nicht richtig erfüllen. Bedingt dadurch, dass mein Mann zu der Risikogruppe gehörte, blieben wir auch noch zuhause, als die Versammlungen in der Kirche wieder aufgenommen wurden. Aus demselben Grund konnte ich auch keine Betreuungsarbeit machen und andere Schwestern besuchen. Nach einem Jahr wurde ich daher wieder entlassen und als Geschichtsschreiberin unserer Gemeinde berufen, denn diese Tätigkeit konnte ich großteils auch von zuhause aus durchführen.

Mit dem Wissen, dass Fortschritt ein lebenslanges Prinzip ist und es auch nach langer Mitgliedschaft Neues zu erfahren oder zu erlernen gibt, befasse ich mich nun mit der anvertrauten Aufgabe. Die wichtigste Berufung ist nicht jene, die wir anstreben, sondern die, in der wir gerade dienen.