2006
Die Proklamation – Führung, Trost und InspirationFührung, Trost und Inspiration
April 2006


Die Proklamation – Führung, Trost und InspirationFührung, Trost und Inspiration

In der allgemeinen FHV-Versammlung im September 1995 verlas Präsident Gordon B. Hinckley ein Schriftstück, das die Erste Präsidentschaft und das Kollegium der Zwölf Apostel verfasst hatten. Ehe er „Die Familie – eine Proklamation an die Welt“ vorlas, sagte Präsident Hinckley: „Wir [leben] in einer unruhigen Welt, wo sich die Werte ständig wandeln. Laute, schrille Stimmen wollen uns verlocken, die Verhaltensmaßstäbe aufzugeben, die sich in der Vergangenheit als richtig erwiesen haben. … Wir wissen, dass wir warnen und ermahnen müssen, weil es … so viele falsche Ansichten in Bezug auf Maßstäbe und Wertvorstellungen und so viele Verlockungen [gibt], sich nach und nach von der Welt beflecken zu lassen.“ („Stellt euch der Schlauheit der Welt entgegen“, Der Stern, Januar 1996, Seite 89ff.) Die Proklamation hat sich inzwischen als prophetisch erwiesen, denn die Werte wandeln sich ständig weiter, und der sittliche Verfall schreitet fort. Dieser Artikel zeigt auf, wie die Grundsätze in der Proklamation der Familie helfen können, selbst in schwierigen Zeiten Frieden zu finden und glücklich zu sein.

Der 23. September 1995 war ein Tag, der mein Leben veränderte. Meine Berufung im Hoherat des Pfahles erforderte, dass ich die Übertragung der allgemeinen FHV-Versammlung ansah. Präsident Gordon B. Hinckley sprach, und ich hörte zum ersten Mal den Wortlaut der Proklamation zur Familie.

Ein Licht, das immer heller strahlte, erleuchtete mir Herz und Sinn. Ich lauschte gebannt. Erst vor kurzem hatte ich in Familienforschung promoviert, aber nun hörte ich in fünf Minuten mehr reine Wahrheit über die Familie, als ich in fast fünf Jahren im Studium zusammengetragen hatte. Ich wollte aufstehen und applaudieren. Als Präsident Hinckley zu Ende gekommen war, hatte ich den innigen Wunsch, diese Grundsätze in meiner Familie umzusetzen und sie der Welt mitzuteilen.

In den darauf folgenden Tagen dachte ich ständig über die Proklamation nach. Als schließlich die Zeitschrift mit den Konferenzansprachen kam, las ich die Proklamation immer wieder durch. Ich dachte nach und betete. Ich wollte die Worte so verinnerlichen, dass sie zu einem unauslöschlichen Teil meines Wesens wurden. Da fühlte ich mich inspiriert, die Proklamation auswendig zu lernen. Aber das war nicht leicht. Ich war Mitte vierzig, und das Auswendiglernen fiel mir bei weitem nicht mehr so leicht wie früher. Doch immer wieder kam die Eingebung: „Lerne die Proklamation auswendig. Lerne die Proklamation auswendig! LERNE DIE PROKLAMATION AUSWENDIG!“

Ich nahm immer ein Exemplar der Proklamation mit, wohin ich auch ging. Ich lernte sie beim Rasieren auswendig. Ich lernte sie auf dem Weg zur Universität auswendig. Ich lernte sie beim Sport auswendig. Die letzten Worte, an die ich vor dem Schlafengehen dachte, und die ersten Worte, die mir morgens in den Sinn kamen, waren Worte aus der Proklamation. Kein Wunder half mir beim Auswendiglernen, und ich machte nur mühsam Fortschritte. Aber nach etwa einem Monat konnte ich die ganze Proklamation aufsagen.

Die Anwendung der Proklamation

Nun, da ich die Proklamation auswendig kannte, wollte ich sie nicht wieder vergessen. Also sagte ich die Proklamation jeden Morgen beim Frühsport und den Dehnübungen mehrmals auf. Dabei schien der Geist bestimmte Wörter oder Sätze hervorzuheben. Meine Gedanken verweilten bei diesen Textstellen und ich empfing Eingebungen, die für mich und meine Familie segensreich waren.

Beispielsweise war ich im darauf folgenden Sommer besorgt wegen der Freunde, mit denen meine Tochter, die im Teenageralter war, so viel Zeit verbrachte. Aber wenn ich versuchte, mit ihr darüber zu sprechen, ignorierte sie, was ich sagte, und entfernte sich noch mehr von mir. Als ich eines Morgens beim Joggen über die Proklamation nachdachte, hob der Geist in meinen Gedanken den letzten Satz im siebten Abschnitt hervor: „Bei Bedarf leisten die übrigen Verwandten Hilfe.“ Ich verlangsamte das Tempo und sah in Gedanken plötzlich meine jüngere Schwester vor mir. Diese Schwester hatte in ihrem Leben schon viele Schwierigkeiten erlebt und stand kurz vor der Entbindung ihres siebten Kindes. Die Eingebung, die ich bekam, war, dass wir, als Verwandte, ihr jetzt helfen sollten. Ich kaufte ein Flugticket für meine Tochter und bat sie, eine Woche bei meiner Schwester zu verbringen und ihr zu helfen.

An diesem entfernten Ort geschah etwas Interessantes. Meiner Tochter machte es Freude, tagsüber meiner Schwester zu helfen. Und wenn die Kinder schlafen gegangen waren, führten sie und meine Schwester lange Gespräche. Meine Schwester konnte auf eine Weise mit meiner Tochter reden, wie es mir nicht gelungen war. Sie erzählte ihr, wie Entscheidungen, die sie als Teenager getroffen hatte, zu vielen Schwierigkeiten in ihrem Leben geführt hatten. Als meine Tochter nach Hause zurückkehrte, hatte sich etwas in ihr verändert. Sie traf nun Entscheidungen, die für ihr Leben segensreich waren. Meine Schwester, ihre Familie, meine Tochter und ich, wir alle wurden durch diese Reise gesegnet, zu der ich durch die Worte der Proklamation inspiriert worden war.

Ein andermal machte ich mir viele Gedanken über die Aussage „Die Eltern haben die heilige Pflicht, ihre Kinder in Liebe und Rechtschaffenheit zu erziehen, für ihre physischen und geistigen Bedürfnisse zu sorgen“. Als Familie liebten wir einander und waren gern zusammen, aber ich hatte das Gefühl, dass wir noch weit von unserem geistigen Potenzial entfernt waren. Die Worte der Proklamation inspirierten meine Frau Juanita und mich, am Fastsonntag nach der Kirche eine Zeugnisversammlung in der Familie abzuhalten. Leider trug unser erster Versuch nicht viel dazu bei, für die geistigen Bedürfnisse unserer Kinder zu sorgen. Keines von ihnen wollte wirklich daran teilnehmen. Mehrere Kinder beklagten sich darüber, wie hungrig sie waren, und unser Jüngstes fragte immer wieder: „Wann ist das endlich vorbei?“ Trotzdem gaben wir nicht auf, und nach ein paar Monaten hörte das Murren auf, und wir wurden offener für den Geist. Diese Zeugnisversammlung in der Familie wurde zu einer kostbaren Zeit, in der wir über heilige Wahrheiten sprachen. Sie half uns, unsere Kinder „in Liebe und Rechtschaffenheit [zu] erziehen“.

Auf diese Weise entwickelte sich ein Muster. Indem ich häufig die Worte der Proklamation aufsagte, wurden sie zu einem Kanal, durch den der Geist meine Frau und mich inspirierte, wie wir unsere Familie vorwärts bringen konnten. Gewiss waren die meisten Eingebungen nicht so grandios wie diese Beispiele. Meistens waren es Gedanken wie „unternimm etwas allein mit Hannah“ oder „mach für Juanita heute Abend das Essen“ oder „hör Emily besser zu“ oder „bring Seth öfter ins Bett“. Aber die vielen hundert kleinen Anweisungen führten insgesamt zu einem viel besseren Familienleben.

Trost in Zeiten der Not

Im Jahr 2001 wurde bei Juanita Brustkrebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Ihre Chancen, weitere fünf Jahre zu leben, standen bei 50%. Die beste Option war eine aggressive und sehr strapaziöse Behandlung mit Chemotherapie, Operation und Bestrahlung. Wir waren entmutigt, als nach acht Wochen Chemotherapie, die große Übelkeit verursachte, der große Tumor kein bisschen kleiner geworden war. In dieser schweren Zeit ging ich joggen und sagte die Proklamation so laut auf, wie ich nur konnte, damit die innere Anspannung nachließ. Es tröstete mich.

Als ich bei dem Satz war „Erfolgreiche Ehen und Familien gründen und sichern ihren Bestand auf den Prinzipien Glaube, Gebet …“, blieb ich stehen. Ich fühlte inneren Frieden, als mir eine Eingebung kam. Es war der Samstagmorgen vor dem Fastsonntag, und ich fühlte mich inspiriert, jedem, den ich kannte, eine E-Mail zu schicken und ihn zu bitten, für Juanita zu fasten und zu beten und seinen Glauben auszuüben, dass die Chemotherapie anschlug. Die Unterstützung, die wir erhielten, war überwältigend. Selbst Freunde, die einem anderen Glauben angehörten, erzählten von machtvollen Erfahrungen mit Fasten und Beten. Ohne dass wir darum gebeten hatten, setzten Freunde in Australien, Japan, Hawaii, Salt Lake, Boston, Belgien und Südafrika Juanitas Name auf die Gebetsliste in ihrem Tempel. Die Folgen waren wunderbar. Sofort wurde unsere Stimmung besser, und unser Glaube nahm zu. Und während der nächsten vier Wochen der Behandlung verschwand der Tumor fast vollständig. Juanita schloss die Behandlung ab, und soweit man es beurteilen konnte, war kein Krebs mehr da. Wir waren so dankbar! Doch war das nicht das Ende unserer Prüfungen und auch nicht das letzte Mal, dass wir durch die Proklamation Trost empfingen.

Anfang 2004 waren wir völlig verzweifelt, als wir erfuhren, dass der Krebs zurückgekommen war, diesmal in der Lunge. Ernst teilte der Arzt uns mit, dass er versuchen wollte, den Krebs so lange wie möglich unter Kontrolle zu halten, aber dass dieses Mal keine Heilung möglich war. Zuerst fühlte ich mich betrogen und war verzweifelt. Juanita und ich hatten rechtschaffene Wünsche und Pläne. Was war mit der Mission, die wir gemeinsam erfüllen wollten? Was war mit den Enkeln, die wir geistig stärken wollten? Wie konnte uns das passieren?

Als ich die Proklamation noch einmal durchging, war es, als hielte jemand eine Taschenlampe auf den Satz „Das Kind hat ein Recht darauf, im Bund der Ehe geboren zu werden und in der Obhut eines Vaters und einer Mutter aufzuwachsen“. Meine Kinder hatten also ein Recht darauf, von einem Vater und einer Mutter großgezogen zu werden. Diese Aussage schenkte mir die Hoffnung, dass Juanita trotz der so geringen Aussichten mit einem Wunder gesegnet und geheilt werden würde.

Eine neue Sichtweise

Sechs Monate lang führten wir ein recht normales und hoffnungsvolles Leben, doch dann forderte der Krebs seinen Tribut. Juanita verlor schnell Gewicht und entwickelte einen schlimmen Husten, der kaum aufhörte. Selbst die kleinste Anstrengung ließ sie nach Luft ringen. Es schien immer nur schlimmer zu werden, nie besser. Bald war offensichtlich, dass es nicht Gottes Wille war, dass Juanita noch viel länger lebte. Ich verstand überhaupt nicht, warum Gott uns nicht das Wunder geschenkt hatte, das wir so dringend benötigten und so aufrichtig erhofft hatten. Wieder waren es Worte aus der Proklamation, die Inspiration und Trost brachten: „Die heiligen Handlungen und Bündnisse, die im heiligen Tempel vollzogen werden können, ermöglichen es dem Einzelnen, in die Gegenwart Gottes zurückzukehren, und der Familie, auf ewig vereint zu sein.“ Unter vielen Tränen gewann ich die tiefere Einsicht, dass Juanita tatsächlich eine wundersame Heilung erfuhr. Aufgrund des Erlösungsplans würde Juanita aus diesem Leben gehen, hinüber an einen wunderschönen Ort, um dort von ihrem Vater, von unserer Tochter, die verstorben war, und vom Erretter willkommen geheißen zu werden. Aufgrund des Sühnopfers Jesu Christi würde Juanita geheilt werden und bei der Auferstehung einen vollkommenen Körper erhalten, frei von Krebs und jeder anderen Krankheit. Ich erkannte auch, dass für unsere Kinder der Einfluss ihrer Mutter auf ewig spürbar sein konnte – ein weiteres Wunder.

Außerdem hatte ich das Gefühl, dass wir noch vieles in diesem Leben tun konnten, damit die Kinder weiterhin von ihrer Weisheit profitieren konnten. Ich erhielt die klare Eingebung, dass wir aufhören mussten, unseren Glauben auf ein physisches Wunder zu richten, das nicht mit dem Willen Gottes in Einklang war, und uns stattdessen darauf konzentrieren sollten, in der kurzen Zeit, die uns noch blieb, so viel wie möglich von Juanita zu lernen. Wir mussten besser darauf vorbereitet sein, „in die Gegenwart Gottes zurückzukehren und [als] Familie auf ewig vereint zu sein“. In unserer Zeugnisversammlung in der Familie brachten wir diese Gefühle bewegt zum Ausdruck, und alle waren von dieser Wahrheit tief berührt. Dann machten wir uns an die Arbeit.

Juanita schrieb ihr Zeugnis vom wiederhergestellten Evangelium Jesu Christi auf, und ich schrieb meines auf. Wir druckten die Zeugnisse zusammen mit Fotos von uns aus und laminierten sie. Das Ganze war so groß, dass die Kinder es in ihre heiligen Schriften legen konnten. Dann schrieb Juanita handschriftlich an jedes Kind einen langen Brief, in dem sie ihren Dank ausdrückte, Mut machte und Rat gab. Juanita sang Kirchenlieder, PV-Lieder und Schlaflieder, die wir aufnahmen und für jedes Kind und für zukünftige Enkel auf eine CD brannten. Wir nahmen auch kleine Grußbotschaften für besondere Anlässe auf, wenn beispielsweise jemand zum ersten Mal in den Tempel oder auf Mission ging oder wenn jemand heiratete oder ein Kind bekam. Juanita häkelte Babydecken und Lätzchen für zukünftige Enkel. Wir verfolgten nun ein Ziel, waren eifrig beschäftigt und empfingen viel Trost durch den Geist. Zu all dem hatte uns die Proklamation inspiriert.

„Gleichfalls“

Alle unsere Kinder waren dabei, als Juanita starb, und jedes hatte noch die Möglichkeit, mit ihr zu sprechen. Sie war wach und sprach mit uns bis etwa zehn Minuten bevor sie starb. Da sagte ich ihr „Ich liebe dich“ und sie antwortete auf Spanisch „Lo mismo“, was „gleichfalls“ bedeutet. Das waren ihre letzten Worte. Sie schlief ganz friedlich ein.

Es hat mich erstaunt, wie oft und auf welche individuelle Weise die Proklamation für mich und meine Familie ein Segen war seit jenem Samstagabend vor über zehn Jahren, als ich sie zum ersten Mal hörte. Sie hat unser Leben für immer verändert. Diese Proklamation ist das Wort Gottes, und sie kann die Grundlage für große Freude und großes Glück in der Familie sein, selbst inmitten unfassbarer Prüfungen. Ich weiß durch den Geist, dass die Proklamation zur Familie eine inspirierte Schrift für die heutige Familie ist. Wenn wir uns ernsthaft damit befassen, öffnet sie ein Fenster zum Himmel, und wir erhalten göttlichen Beistand für unsere Familie.

E. Jeffrey Hill gehört zur Gemeinde Canyon View 5, Pfahl Canyon View in Orem, Utah.