Mein Glaube im Alltag
Menschen an meiner Seite
Graz (RHS): In unserem Arbeitszimmer zuhause hängen zwei Bilder von Christus, auf die mein Blick immer wieder fällt. Das eine zeigt Christus mit einem kleinen Mädchen, das er im Arm hält und das sich bei ihm ausruht, trösten lässt oder ihn zur Begrüßung innig umarmt – je nach Betrachtungsweise. Auf dem anderen Bild sieht man nur seine Hand mit den Nägelmalen, uns entgegengestreckt, um zu helfen, aufzurichten, aber auch einzuladen, mit ihm zu kommen. Manchmal fühle ich mich so wie das kleine Mädchen und würde Christus einfach gerne umarmen, aber meistens fühle ich doch die Einladung und Aufforderung einer Hand, die sich mir entgegenstreckt und mit mir durch diesen Tag gehen will. Präsident Monson hat einmal in einer Ansprache ein Gedicht zitiert, das mit folgenden Worten beginnt: „Vater, wo soll heut’ meine Arbeit sein?“ Damals hatte ich mir vorgenommen, meine Tage mit dieser Frage zu starten, und es wohl auch eine Weile so gehalten. Allerdings habe ich die Erfahrung gemacht, dass vieles einer Art Wellenbewegung unterliegt und auch gute Vorsätze wie auch gute Gewohnheiten abhandenkommen, um dann wieder, im besten Fall, durch neue ersetzt oder wiederbelebt zu werden.
So erging und ergeht es mir auch mit dem Studieren der heiligen Schriften. Seit ich mich vor fast 30 Jahren der Kirche angeschlossen habe, wollte ich meist alles möglichst sofort umsetzen, was ich in den Versammlungen und Ansprachen hörte, und war sehr eifrig dabei zu lesen, zu studieren, zu beten, meine Familie zu belehren, meine Berufung und ebenso alle Aufgaben zu erfüllen, die an mich herangetragen wurden, darunter einen Vorrat anzulegen, wie natürlich vom Evangelium zu erzählen und allen Menschen Gutes zu tun. Wahrscheinlich bin ich auch oft schneller gelaufen, als ich sollte, und habe nicht immer auf den Geist gehört, war und bin deshalb auch manchmal frustriert, nicht alles geschafft zu haben. Ich fand und finde es oft gar nicht so einfach, meine Kräfte gut einzuteilen und das „Richtige“ herauszufiltern, ja, mich gut mit dem Herrn zu beraten. Besonders der Start in den Tag war für mich oft schwierig. Da ich kein Morgenmensch bin, fühlte ich mich oft planlos und erledigte einfach, was auf mich einströmte. Oft waren schon Stunden vergangen, ehe ich mir Zeit für Geistiges nahm.
Vor einiger Zeit erwähnte einmal eine Schwester in der FHV-Klasse, dass sie sich ihre Schriften aufs Nachtkästchen gelegt habe und, noch bevor sie aufstehe, danach greife und lese. Diese Idee gefiel mir gut und ich empfand sie als sehr inspirierend. Ich überlegte, was ich wohl auf diese Weise schon vor dem Start in den Tag lesen oder sogar studieren könnte. Mir fiel ein, dass ich vor vielen Jahren gerne in der Früh auf dem Weg zur Arbeit noch im Auto Kassetten mit der Hörbuch-Fassung des Buches Mormon angehört hatte und gut für den Tag gerüstet gewesen war. In den letzten Jahren wiederum hatte ich mir angewöhnt, bei meinen Walking-Runden Ansprachen von Generalkonferenzen anzuhören, was ich auch sehr erbaulich fand und was in mir ganz oft ein Gefühl der Verbundenheit mit dem Sprecher, meinem Vater im Himmel und Jesus Christus bewirkte. Warum also nicht diese beiden Erfahrungen kombinieren?
Ich lege mir nun den letzten Liahona mit den Generalkonferenzansprachen aufs Nachtkästchen und lese jeden Morgen eine davon und markiere auch schon bestimmte Aussagen. Danach knie ich nieder und spreche mit dem Vater im Himmel, und mein Herz ist oft voll von Dankbarkeit und Liebe für ihn und Jesus Christus! Diese 15 bis 20 Minuten machen einen sehr großen Unterschied für mich aus, auch im Gebet. Wenn ich dann wieder frage: „Vater, wo soll heute meine Arbeit sein?“, brauche ich meist nicht lange zu warten und es kommen mir Gedanken in den Sinn, an welcher Einstellung oder Gewohnheit ich arbeiten soll, oder das Handy läutet und eine Chance zu dienen ergibt sich, oder ich denke an jemanden, dem ich eine Nachricht schreiben könnte, ein Versprechen, das ich einlösen möchte, eine Aufgabe, vor der ich mich drücken wollte, oder – am schönsten – wen ich liebhabe. Das ist die größte Motivation, etwas für jemand anderen zu tun, wenn es durch dieses Gefühl des Wohlwollens kommt.
Ich denke, mein Glaube an Christus hilft mir genau auf diese Weise im und durch meinen Alltag, dass ich diese Zuwendung zu Menschen spüre und sie dadurch wertschätze, mich gerne um andere kümmere, gerne Kontakt mit ihnen habe und sehr gerne über Geistiges spreche.
Auch habe ich die Erfahrung gemacht, dass er mir für die schwierigen, schmerzhaften und einfach auch nur anstrengenden Herausforderungen nicht nur in meinen Gedanken oder Empfindungen seine Umarmung und die ausgestreckte Hand gibt, sondern Menschen an meine Seite und auf meine Wege, die tatsächlich an seiner Statt mit mir gehen, tatkräftig helfen, mich umarmen, aufrichten, ermuntern, fordern und geduldig liebhaben.
So auch, als ich mit zwei lieben Schwestern erst kürzlich den Frankfurt-Tempel besuchte. Da wir mit der Bahn unterwegs waren, mussten wir einige Hürden überwinden, etwa die hohe Stahltreppe am Bahnhof in Friedrichsdorf. Der Taxifahrer, der uns von der Herberge zum Friedrichsdorfer Bahnhof gebracht hatte und den wir gebeten hatten, uns mit den Koffern zu helfen, wollte dies nicht tun, und so standen wir also im Regen am Fuße der Treppe und hielten Ausschau nach Leuten, die wir um diesen Gefallen bitten könnten. Leider waren keine zu sehen und so sagte ich besorgt zu den beiden Schwestern: „Jetzt brauchen wir wirklich Engel.“ Einen Augenblick später kam ein junger Mann, den wir ansprachen und der uns bereitwillig einen Koffer abnahm. Aber gleich darauf kamen tatsächlich zwei „Engel“ in Gestalt zweier Missionare, die ihren Vorbereitungstag im Tempel verbracht hatten und auf dem Heimweg waren. Sie boten sofort ihre Hilfe an und begleiteten uns darüber hinaus noch beim Umsteigen und schenkten uns zusätzlich Zeit von ihrem freien Tag. Gemeinsam mit ihnen staunten wir und freuten uns außerordentlich über diesen wahrlich „himmlischen Lieferservice“. Ich bin sehr dankbar für das liebevolle Wirken des Herrn in meinem Leben.