Nur 5 Minuten
Auf unserem Geschenketisch anlässlich unserer Hochzeit vor zwölf Jahren lag zwischen den vielen Gaben auch ein eher unscheinbares Päckchen. Man hätte es leicht übersehen können, denn es war auch sehr schlicht eingepackt. Als ich es ein paar Tage später in Ruhe auspackte, begann eine kleine Reise, die nunmehr schon mehr als zwölf Jahre anhält.
Ich durfte die Kirche als Austauschschülerin in Kalifornien kennenlernen. Eine wunderbare Familie mit damals zwei kleinen Jungen schenkte mir für ein paar Wochen ein herzliches Zuhause. Schon damals sah ich auf dem Küchentisch ein Buch mit einem Ledereinband liegen. Einmal lag es aufgedeckt und ich erhaschte ein paar Zeilen, die dort geschrieben standen. Ich las dort in wenigen Sätzen, was wir an diesem Tag beim Besuch bei Freunden erlebt hatten. Aber auch der gleiche Tag des Vorjahres war dort in kurzen Sätzen zusammengefasst. Viele folgende Seiten waren noch nicht beschrieben und warteten darauf, gefüllt zu werden. Meine Gastmama Karin nahm sich schon damals täglich ein paar Minuten Zeit, um ihre Gedanken als junge Mami und Frau eines Medizinstudenten festzuhalten.
Nun lag nach meiner Hochzeit solch ein Buch in meinen Händen und wartete darauf, mit meinen Gedanken zu unserem Alltag befüllt zu werden. Was würden mein Mann und ich wohl erleben? Welche Sätze würde ich abends auswählen, um in nur fünf Zeilen unseren Tag zu beschreiben? Welche Sorgen und Gebete würden unsere Tage füllen?
Schon als Jugendliche bekam ich jährlich ein neues Tagebuch geschenkt. Es warteten viele weiße, leere Seiten auf mich, die vollständig zu füllen schier unmöglich schien. Es gab Zeiten in meinem Leben, da fiel es mir weniger schwer, geeignete Minuten zu finden, um mich in Ruhe und fast im Gebet mit meinem Tag zu beschäftigen und zu sehen, wie der Vater im Himmel und der Heilige Geist mich in meinem Leben begleiteten. Dann wiederum gab es auch Monate und Jahre, in denen die weißen Seiten weiß blieben. Doch ich erkannte rasch, dass das Schreiben eine wunderbare Art für mich war, eine besondere Verbindung zu meinem liebenden himmlischen Vater aufzubauen und den Geist zu verspüren – gerade dann, wenn die Tage nicht so verliefen, wie ich es mir erhofft hatte.
Nach zwölf Jahren mit diesem Buch – und mittlerweile einem zweiten – kann ich mit großer Dankbarkeit auf dieses Geschenk zu unserer Hochzeit zurückblicken. Nicht einen einzigen Tag habe ich nicht in dieses Buch geschrieben. Viele Sorgen, Fragen und Nöte finden sich in den Zeilen wieder. Einige Momente des Zweifelns ebenso. Auch von unzähligen, freudigen Momenten, Jubelschreien und Antworten auf Gebete zeugen die Worte, die in unseren Tagebüchern stehen. Häufig musste ich an die Schreiber der goldenen Platten denken, die ebenfalls entscheiden mussten, was für zukünftige Generationen aufgeschrieben werden sollte.
Unsere Familiensituation hat sich in den zwölf Jahren oft verändert – Umzüge, Geldsorgen, Studienabschlüsse, die Geburten unserer drei Söhne, Prüfungen, neue Arbeitssituationen, Verluste, Krankheit, langfristige Entscheidungen, neue Berufungen und der Familienalltag führten oft dazu, dass nur wenig Zeit für gemeinsame Gebete, gemeinsames Schriftstudium oder genügend Zeit blieb, um den Tag Revue passieren zu lassen. Doch das Tagebuch wartete jeden Abend vor dem Zubettgehen auf meine fünf Zeilen. Was hatten wir heute erlebt, was uns näher zu unserem Vater im Himmel gebracht hat? Wo habe ich heute seine Hand erkannt? Gab es eine Antwort auf ein Gebet? Ich habe in stressigen Zeiten neben der Familie, der Arbeit, den Berufungen und dem Gemeindeleben nicht immer Zeit, mich stundenlang in den Schriften zu verlieren. Aber ich habe fünf Minuten, um dem Vater im Himmel nahe zu sein. Fünf Minuten täglich über zwölf Jahre sind 21 900 Minuten, in denen ich mein Zeugnis von Jesus Christus stärken konnte.
Besonders in herausfordernden Zeiten finden sich mein Mann und ich, durch das Buch stöbernd, auf dem Sofa wieder. Dann lesen wir, was vor zwei, sieben oder zehn Jahren in unserem Alltag passierte. Nicht selten erkennen wir, dass sich Segnungen, für die wir vor Jahren gebetet hatten und bei denen wir manchmal traurig gewesen waren, dass Antworten ausblieben, häufig Jahre später in vielfacher Ausprägung erfüllt haben.
Wir lesen dort auch von den Meilensteinen unserer Kinder oder davon, dass wir endlich wieder einmal die Zeit hatten, allein essen oder ins Kino zu gehen. Dann müssen wir schmunzeln und wir wundern uns, wie die Zeit nur so schnell vergehen konnte. Dann setzen wir uns neue Ziele, um solche kostbaren Momente nicht an uns vorüberziehen zu lassen.
Fast jeder Eintrag endet mit den Sätzen „Wir sind gesegnet“ oder „Wir sind dankbar.“ Das unscheinbare Päckchen auf dem Geschenketisch hat uns gezeigt, wie gesegnet und dankbar wir in unserem Alltag für unseren Glauben an Jesus Christus und das Wissen sein können, dass es ein vollkommenes Evangelium gibt, das uns zurück zu unserem Vater im Himmel führen kann.