Der Herr antwortete auf mein Gebet und gab mir Kraft
Wien (RHS): Obwohl nicht getauft, fühle ich mich in meinem Inneren dem Herrn und seiner Kirche zugehörig und bemühe mich, nach seinen/ihren Leitlinien zu leben. Ich möchte heute Zeugnis dafür geben, dass der Vater im Himmel mich kennt und liebt. Er hilft mir immer wieder in einer Weise, die mich in tiefer Dankbarkeit und manchmal ungläubigem Staunen auf ihn blicken lässt.
Aus verschiedensten Gründen erfüllte sich mein tiefer Wunsch nach Kindern lange nicht, bevor ich durch die Hand des Herrn einen Weg finden konnte, Mutter zu werden. Ich adoptierte zunächst einen Jungen aus Äthiopien, nach weiteren Jahren ein Mädchen aus Haiti. Beide haben seither eine „Bauch-“ und eine „Herzmama“. Familien kommen „bunt daher“, es gibt sie auf verschiedenste Arten, und ich empfinde meine Mutterschaft als tiefgreifende Freude – mein Leben ist seither erfüllt.
Während mein Sohn als zwei Monate altes Baby zu mir kam, verbrachte meine Tochter ihre ersten beiden Lebensjahre in ihrem Herkunftsland, davon ein Jahr in einem Kinderheim. Es fehlte an Medizin, Spielsachen, Beschäftigung und vor allem an Beziehung zu einem Menschen. Der Umstand, dass mein Kind das schwere Erdbeben 2010 miterlebte, welches das Kinderheim komplett zerstörte, und etliche andere Vorfälle belasteten die junge Seele schwer. Von Anfang an war ihre Ankunft vollkommen anders als jene meines Sohnes, und es war für mich ein großer Unterschied, das zwar vernunftmäßig zu wissen, mich aber dennoch gefühlsmäßig schwerzutun, damit umzugehen.
Meine Tochter lebt auf ihre eigene Art. Sie passt kaum in „Raster“, „Vorgaben“ und ähnliche Parameter. Dies zeigte sich auch beim Beginn ihrer schulischen Laufbahn. Neben Konzentrationsschwächen traten Probleme bei ihrer Merkfähigkeit auf und sie vermied es mit ausdauernder Konsequenz, sich mit den Dingen zu beschäftigen, die eine so große Herausforderung für sie waren: Lesen, Schreiben, Rechnen. Die ihr außerdem angeborene Bequemlichkeit forderte meine Geduld ein ums andere Mal heraus, wir entwickelten uns zu regelrechten Streithennen. Ich führte erbitterte Diskussionen mit ihr, die Hausübungen und viele andere Dinge betreffend. Dabei hatte ich zwar vom Verstand her erkannt, dass jeder Mensch anders ist und entsprechend damit umgegangen werden müsste, dennoch gingen all meine Bemühungen und Versuche ins Leere. Ich lief gegen Wände und es zeigten sich kaum irgendwelche Verbesserungen.
Mein Sohn litt unter unseren Streitereien, und auch wenn wir es natürlich schafften, nach derartigen Eskalationen wieder in Liebe zusammenzufinden, stand die problematische Situation – die Schule und das Lernen betreffend – wie ein unüberwindliches Hindernis im Raum und war das alles beherrschende Thema.
Meine Tochter litt in vielerlei Hinsicht, da sie nicht offensichtlich „anders“ als die übrigen Mitschüler und Mitschülerinnen sein wollte, zumal sie – wie sie mir erklärte – bereits durch ihre Hautfarbe „anders“ sei. Im Übrigen war mein Kind in seinem sozialen Verhalten vollkommen unauffällig, ja sogar besonders um andere Kinder bemüht und engagiert. Die Not meines Kindes war mir klar, ebenso die Tatsache, dass der Herr in 3 Nephi 11:29 feststellte, dass wer „den Geist des Streites“ habe, nicht von ihm sei, dennoch fand ich keine Lösungsansätze, welche die Situation dauerhaft klärten.
Dies alles führte dazu, dass ich beschloss, dem Vater im Himmel im Gebet meine Sorgen vorzutragen. Ich erzählte ihm, dass ich meine Tochter genauso wie meinen Sohn von Herzen liebte. Ich erklärte ihm, dass ich alles tat, was in meiner Macht stand: Ich führte Gespräche mit Lehrkräften, machte Vorschläge, wie man mit dem Problem umgehen könnte, versuchte mein Kind zum Erledigen der Hausübungen und zum Üben zu bringen oder es überhaupt nur dafür bereitzumachen und vieles mehr. Ich berichtete dem Herrn von meiner Sorge darüber, was mein Kind jemals beruflich machen könnte, wenn es schon in der Volksschule nicht weiterging. Und ich bat ihn inständig um Hilfe.
Kurze Zeit später las ich im Liahona und entdeckte in einer Ansprache des damaligen Propheten Thomas S. Monson folgende Aussage: „Never let a problem to be solved become more important than a person to be loved.“ („Nehmen Sie ein Problem, das zu lösen ist, nie wichtiger als einen Menschen, der zu lieben ist.“)
Diese Worte des Präsidenten der Kirche drangen mir mit großer Macht ins Herz, so sehr, dass sich meine Augen mit Tränen füllten. Sie erzeugten in mir augenblicklich die Gewissheit, dass es sich um eine Antwort des Herrn auf meine Fragen handelte, und ich bemerkte, dass sie mich sofort mit innerem Frieden und der Sicherheit segnete, dass ich mir keine so großen Sorgen um die Zukunft meiner Tochter machen müsse, sondern sie in erster Linie meine Liebe und meine Annahme ihres gesamten Wesens benötigte, um sich überhaupt auf anderen Gebieten entfalten zu können.
Von da an änderte sich meine komplette Sichtweise auf sie und ihre Herausforderungen. Es war tatsächlich ein kleines Wunder geschehen, mir war eine unendliche Last vom Herzen genommen worden, da ich erkannt hatte, worum es im Grunde ging und – vom Ballast der Erwartungshaltungen befreit – mein Kind endlich in seiner gesamten Schönheit wahrnehmen konnte. Mit Begeisterung stellte ich fest, dass ich auch völlig anders an unsere Herausforderungen heranging. Ich drängte meine Tochter nicht, ich versuchte, Wege zu finden, die ihr das Lernen als schön und bereichernd aufzeigten. Ich sprach in der Schule vor, verteilte Informationsmaterial und erläuterte eingehend, wie man besser zu ihr durchdringen konnte. Ich kämpfte darum, dass nicht nur Leistungskontrollen für die Beurteilung des Wissens meines Kindes herangezogen wurden. Später suchte ich eine weiterführende, alternative Schule, die ihre Wesensart zuließ. Bei alldem erklärte und erkläre ich ihr ruhig und beständig, wie wichtig es ist, sich zu bemühen, und wie lohnend es ist, Anstrengungen auf sich zu nehmen.
Wir haben immer noch große Herausforderungen, um die Verweigerungshaltung meiner Tochter dem Schulischen gegenüber zu überwinden, manchmal mit mehr, manchmal mit weniger sofort sichtbarem Erfolg. Wir freuen uns gemeinsam über mittlerweile viele Erlebnisse, die meinem Kind zeigen, dass es viele bewundernswerte Fähigkeiten hat und Intelligenz und Geschicklichkeit besitzt. Der größte Erfolg ist jedoch, dass ich es nicht mehr zugelassen habe, dass meiner Liebe zu meinem Kind irgendetwas im Wege steht.
In der Folge entdeckte ich meine Begeisterung für diese Thematik und absolvierte eine Ausbildung, die es mir ermöglicht, mich ab Herbst dieses Jahres (2021) nebenberuflich als Mentalpädagogin selbstständig zu machen. Ich möchte, dass auch andere versuchen können, ihre Sichtweise auf ihre Probleme zu ändern und die Kraft wahrzunehmen, die in diesem Vorgang steckt. Aus diesem Grund habe ich meiner Praxis den Namen „Blickwinkel“ gegeben.
Ich bin immer noch berührt und von ganzem Herzen dankbar für die Antwort des Herrn, die in mehrfacher Hinsicht ein Zeugnis für mich ist, dass er uns kennt, uns liebt und kein Problem seiner Liebe zu uns im Weg steht, wenn wir uns bemühen.