„Den geistigen Sicherungsschalter wieder umlegen“, Liahona, April 2023
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Den geistigen Sicherungsschalter wieder umlegen
Der Glaube an Jesus Christus gibt uns Macht und Kraft.
Im Februar 2021 fielen die Temperaturen in Texas auf ein Rekordtief. Millionen Menschen waren von der Eiseskälte betroffen, führte sie doch zu Rohrbrüchen, Stromausfällen und dem Ausfall der Heizung. Wie bei so vielen anderen herrschte auch im Haus meiner Tochter ein kompletter Stromausfall. Sie wickelte ihre kleinen Kinder in Mäntel und Decken, um sie irgendwie warmzuhalten.
Nach ein paar Tagen dieses polarähnlichen Zustandes bemerkte meine Tochter in einem Nachbarhaus wieder Licht. Sie war mehr als erleichtert, dass die Stromversorgung endlich wiederhergestellt war. Doch zu ihrer Bestürzung musste sie feststellen, dass die Stromversorgung eigentlich bereits seit Tagen wieder funktionierte. Sie hatte es nur deshalb nicht bemerkt, weil sich ein Schutzschalter selbsttätig abgeschaltet hatte. Die Energie war also schon da. Sie musste bloß den Sicherungsschalter wieder umlegen.
Als ich über diesen Vorfall nachdachte, wurde mir bewusst, dass doch eigentlich jeder von uns so etwas wie einen „geistigen Sicherungsschalter“ besitzt.
Vollkommene Macht
Durch unseren Glauben an Jesus Christus steht uns von Gott unermessliche Energie – seine Macht – zur Verfügung. Diese Macht kann Tag für Tag in unser Leben fließen. Vielleicht sind wir sie schon so sehr gewohnt, dass es uns gar nicht mehr auffällt. Seine Macht ist immer für uns da. Doch gelegentlich haben wir eine Glaubenskrise und fragen uns, ob uns die Macht denn irgendwie abhandengekommen ist. In solchen Zeiten müssen wir uns dafür entscheiden, Glauben auszuüben, damit die von Gott verheißene Macht auch weiterhin mit uns sein kann. Wenn wir dies tun, schalten wir sozusagen den geistigen Sicherungsschalter wieder ein.
„Die Macht Gottes wird“, so Präsident Russell M. Nelson, „in unserem Leben durch unseren Glauben freigesetzt.“ Und er ergänzt: „Der Herr verlangt von uns keinen vollkommenen Glauben, damit wir auf seine vollkommene Macht zugreifen können. Dennoch bittet er uns, zu glauben.“1 Elder Jeffrey R. Holland vom Kollegium der Zwölf Apostel hat festgestellt: „Es geht nicht darum, wie groß Ihr Glaube ist oder wie viel Sie wissen – es geht darum, wie konsequent Sie an dem Glauben, den Sie bereits besitzen, und der Wahrheit, die Sie bereits kennen, festhalten.“2
In welcher Größenordnung sich unser Glaube auch bewegt – wenn wir uns dafür entscheiden, an Christus zu glauben, können wir uns darauf verlassen, dass seine Macht uns beisteht.
Der Entschluss, der Furcht mit Glauben entgegenzutreten
Im August 2021 lernten meine Frau und ich ein nettes Ehepaar kennen, dessen Freundschaft uns viel bedeutet. Bei ihrem Sohn Mason war kurz zuvor ein seltener, bösartiger Knochentumor festgestellt worden. Vor der Diagnose war der Junge allem Anschein nach ein gesunder 14-Jähriger gewesen, der sich Schrammen am Bein und Flecken auf seiner Baseballuniform zuzog, weil er im letzten Moment gerade noch in die Home Plate rutschte.
Doch von nun an war in Masons Leben nichts mehr wie gehabt. Plötzlich gab es da beängstigende Arztgespräche über Themen wie Chemotherapie, Bestrahlung, Operation und mögliche Beinamputation sowie eine kurze Lebenserwartung. Seine Mutter schildert, was geschah, als die Ärzte ihn fragten, ob er seine Überlebenschancen wissen wolle: „Nach langer Stille, in der er die neuen, zutiefst verstörenden Gefühle erst verarbeiten musste, tropften Tränen zu Boden. Doch tapfer erwiderte er: ‚Nein, danke! Es ist alles gut so, wie es ist.‘ Mit diesen wenigen Worten nahm er eine Weichenstellung vor und legte für sich fest, wie er mit der Prüfung umgehen wollte.‟
Elder Neil L. Andersen vom Kollegium der Zwölf Apostel hat festgestellt: „Der Glaube verlangt keinesfalls auf jede Frage eine Antwort, sondern strebt nach der Zusicherung und dem Mut, vorwärtszugehen, auch wenn man manchmal zugeben muss: ‚Ich weiß nicht alles, aber ich weiß genug, um auf dem Weg des Jüngers weiterzugehen.‘“3 Glaube zeigt sich also dann, wenn wir auch ohne zu wissen, was als Nächstes kommt, weiter vorangehen.
Masons Tumor war äußerst aggressiv, und bei jeder Behandlung, die sein Leben verlängern könnte, traten Komplikationen auf. Seine Mutter erzählt: „Wir hatten den unbändigen Wunsch, die Zeit irgendwie anhalten zu können, doch die Zeit verrann und alles, was bisher normaler Alltag gewesen war, kam uns abhanden. Allerdings“, so fährt sie fort, „haben wir neben dem erdrückenden Entsetzen vor dem Morgen doch auch erlebt, wie Kraft, Energie und Friede über unsere irdischen Fähigkeiten hinaus in uns zunehmen. Wir haben keine andere Erklärung dafür, als dass Gott unsere Fähigkeiten großgemacht hat. Wir haben Wunder erlebt, auch wenn sie anders waren als die, die wir uns zu Beginn ersehnt hatten.“
Nicht zurückschrecken
Elder David A. Bednar vom Kollegium der Zwölf Apostel fragte Elder Neal A. Maxwell (1926–2004) einmal, was er aus seiner Leukämieerkrankung gelernt habe. Elder Maxwell erwiderte: „Ich habe gelernt, dass nicht zurückzuschrecken viel wichtiger ist als zu überleben.“4 Wer sich dafür entscheidet, nicht zurückzuschrecken, handelt trotz seiner Ängste. Dies ruft dann eine Macht herab, die über menschliches Leistungsvermögen hinausgeht.
Jesaja hat erklärt: „Er gibt dem Müden Kraft, dem Kraftlosen verleiht er große Stärke.“ (Jesaja 40:29.) Als das Volk Alma scheinbar unüberwindliches Leid durchmachen musste, tröstete es der Herr wegen seines Gottesglaubens. Das Volk unterwarf sich Gottes Willen und erhielt die Kraft, die Lasten zu tragen, die ihm auferlegt waren (siehe Mosia 24:13-16).
Kraft trotz allen Kummers
Masons Mutter berichtet: „Eines Abends ging Mason an der Tür zum Kinderzimmer vorbei, wo ich gerade mit seiner achtjährigen Schwester betete. Kummervoll weinend betete sie für ihren Bruder. Ich hielt sie fest, und uns beiden liefen die Tränen herab. Mason kniete sich neben uns nieder und umarmte uns zwei mit seinen immer schwächer werdenden Armen. Er war bereit, derart belastende Gefühle nicht zu verdrängen, sondern sich der eigenen Angst zu stellen, damit er seine Schwester und mich trösten konnte. Er stärkte uns in unserem Kummer dadurch, dass er mit uns in unsere Traurigkeit eintauchte.“
In den heiligen Schriften heißt es, dass die Söhne Helamans „mehr an die Freiheit ihrer Väter [dachten] als an ihr eigenes Leben“ (Alma 56:47). Sie konzentrierten sich mehr auf die Liebe zu ihrer Familie als auf die eigenen Lebensumstände. Auch Mason fand Kraft, die über seine eigene hinausging, indem er die Liebe zu seiner Familie über seine eigenen Emotionen, seine Furcht und seine Zweifel stellte.
„Mason erkannte, dass er nicht erst seine Heilung abwarten musste, damit sein Glaube gestärkt würde“, erzählt seine Mutter. „Er konnte auf Gott vertrauen, und dies ermöglichte es ihm, sich von der eigenen Verwundbarkeit zu distanzieren. Ich habe in unserer Familie und sogar in unserem Umfeld Wunder erlebt, denn Gott hat uns vor Augen geführt, dass Liebe stets machtvoller ist als Furcht. Mason hatte zwar noch immer mit seiner Angst zu ringen, dennoch ließ er nicht zu, dass sie in irgendeiner Weise seinen Glauben und seine Liebe einschränkte.“
Glaube ist keine einmalige, in sich abgeschlossene Sache. Das tägliche Gottvertrauen bindet uns – sofern es wieder und wieder erneuert wird – an ihn und seine Macht.
Schon sechs Monate nach der Erstdiagnose verließ uns Mason. Er war bis zum Ende tapfer geblieben. Immer wieder hatte er sich dafür entschieden, Gott siegen zu lassen, und er wurde von all seinen Ängsten befreit.
Glaube, der Berge versetzt
Dem, der sich für den Glauben an Christus entscheidet, ist dieses Willkommen seitens des Erretters gewiss: „Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn!“ (Matthäus 25:23.)
Präsident Nelson hat uns liebevoll und doch auch warnend darauf hingewiesen, dass wir in den kommenden Tagen jedenfalls Gottes Macht benötigen werden.5 Diese Macht steht jedem offen, der im Glauben an Christus vorwärtsstrebt. Ungeachtet der Art unserer Prüfungen geht es immer darum, dass wir den geistigen Sicherungsschalter wieder umlegen und uns auf Gottes Macht stützen.
„Durch Ihren Glauben“, erklärt Präsident Nelson, „wird Jesus Christus Ihre Fähigkeit erhöhen, die Berge in Ihrem Leben zu versetzen, auch wenn Ihre ganz eigenen Herausforderungen sich vor Ihnen auftürmen sollten wie der Mount Everest.
Ihre Berge mögen sich als Einsamkeit, Zweifel, Krankheiten oder sonstige persönliche Probleme darstellen. Jeder dieser Berge ist anders, und doch liegt die Antwort auf jede Ihrer Herausforderungen darin, Ihren Glauben zu vergrößern.“6