„Das Leben und das geistliche Wirken von Thomas S. Monson“, Lehren der Präsidenten der Kirche: Thomas S. Monson, 2020
„Leben und geistliches Wirken“, Lehren: Thomas S. Monson
Das Leben und das geistliche Wirken von Thomas S. Monson
An einem kalten Tag im April 1972 machte sich Elder Thomas S. Monson wieder einmal auf den Weg in eines der Krankenhäuser in Salt Lake City. Seit über zwei Jahrzehnten schon kam er regelmäßig in diese Krankenhäuser, gab Segen und munterte Mitglieder aus seiner Gemeinde sowie Angehörige, Freunde und viele weitere Menschen auf. Diesmal war er auf dem Weg zu seiner lieben Mutter.
Nach dem Besuch schaute er noch bei Elder Spencer W. Kimball vorbei, der wie er im Kollegium der Zwölf Apostel tätig war und kurz zuvor am offenen Herzen operiert worden war. Elder Kimball ruhte sich gerade aus. Elder Monson wollte ihn nicht stören und ging in die Richtung zurück, wo er den Wagen geparkt hatte. Am Aufzug begegnete er zwei Frauen, die ihn fragten, ob er ihrem Vater einen Segen geben könne. Er begleitete sie auf die Intensivstation und spendete ihrem Vater den Segen.
Elder Monson wollte gerade hinausgehen, da rief jemand seinen Namen. Er blickte zum Krankenbett des Mannes und stellte fest, dass dieser früher zu seiner Gemeinde gehört hatte. „Es war mir eine Freude, auch ihm einen Segen zu geben“, hielt Elder Monson fest. Als er das Krankenzimmer verließ, kam eine Krankenschwester auf ihn zu. Sie war in Tränen aufgelöst und fragte ihn, ob er auf dem Weg ins Kinderkrankenhaus sei. Er erwiderte, er habe an diesem Tag eigentlich nicht vor, dorthin zu gehen, wäre aber dennoch gern dazu bereit, wenn er dort jemanden besuchen solle. Die Krankenschwester erzählte ihm von einem Cousin, der viele Jahre zuvor an Kinderlähmung erkrankt war und dem es gerade nicht gut ging.
Im Kinderkrankenhaus empfing ein Mann Elder Monson und brachte ihn zum Cousin der Krankenschwester, und er gab diesem einen Segen. Dann fragte der Mann, ob Elder Monson Zeit hätte, einer an Leukämie erkrankten Zehnjährigen einen Segen zu spenden. Gemeinsam gaben sie dem Mädchen einen Segen.
Elder Monson schrieb über die Krankenhausbesuche an diesem Tag in sein Tagebuch: „Mir ist klargeworden, dass der Vater im Himmel wahrlich an diejenigen denkt, die hier auf Erden leiden und sich durch die Hände des Priestertums einen Segen wünschen.“1
Zu solchen Erlebnissen kam es im Leben von Thomas S. Monson häufig. Nach einem ähnlichen Tag, an dem er beinahe zwei Stunden in einem Krankenhaus zugebracht hatte, schrieb er: „Ich glaube, ich habe etwas Gutes getan und war dort, wo der Herr mich an diesem Tag brauchte.“2
Sein Leben lang war Präsident Monson bestrebt, dort zu sein, wo der Herr ihn brauchte. Oft sprach er davon, dass es ein Vorzug sei, „im Auftrag des Herrn“ zu stehen, also hier auf Erden als Hand des Herrn zu fungieren und sich besonders um Menschen in Not zu kümmern. Er sagte: „Ich möchte immer, dass der Herr weiß: Wenn er einen Auftrag zu erledigen hat, dann wird Tom Monson diesen für ihn erledigen.“3
Geburt, Kindheit und Jugend
„Wie gefällt dir denn Marks Eisenbahn, Tommy?“, fragte Gladys Monson ihren zehnjährigen Sohn.
„Warte“, erwiderte er. „Ich bin gleich wieder da!“ Er eilte aus der Tür und lief nach Hause. Er musste etwas wiedergutmachen.
Am Morgen hatte Tommy ein Weihnachtsgeschenk bekommen, das er sich sehnlichst gewünscht hatte: eine elektrische Eisenbahn! Wegen der Weltwirtschaftskrise hatten seine Eltern sie nur unter großen Opfern kaufen können. Er hatte ein paar Stunden damit gespielt, als seine Mutter erzählte, sie habe für Mark Hansen, den Sohn einer verwitweten Nachbarin, eine aufziehbare Eisenbahn gekauft. Als sie sie Tommy zeigte, fiel ihm auf, dass zu Marks Eisenbahn auch ein Kesselwagen gehörte – seine hingegen hatte keinen. Er bettelte seine Mutter so lange an, ihm den Kesselwagen zu geben, bis sie schließlich nachgab. „Wenn du ihn mehr brauchst als Mark, dann nimm du ihn“, sagte sie.
Gladys Monson und Tommy brachten Mark den Rest der Eisenbahn. Er hatte gar nicht mit solch einem Geschenk gerechnet und war völlig aus dem Häuschen. Er zog die Eisenbahn auf und ließ sie auf den Schienen im Kreis fahren. Da stellte Gladys Monson ihrem Sohn die einfache, aber eindringliche Frage, wie ihm Marks Eisenbahn gefalle. „Ich hatte heftige Schuldgefühle“, erzählte er später. „Mir wurde deutlich bewusst, wie selbstsüchtig ich gewesen war.“
Daheim angekommen, nahm er den Kesselwagen und außerdem noch einen Wagen von seiner Eisenbahn und rannte zurück. Er gab sie Mark, der die Wagen glücklich an seinen Zug koppelte. „Als ich zusah, wie die Lok sich die Schienen entlangkämpfte, verspürte ich eine übergroße Freude, die sich kaum beschreiben lässt und die ich nie vergessen werde“, erzählte Elder Monson später.4
Tommy Monson lernte schon als Kind, dass es Freude macht, etwas zu geben, etwas zu opfern und sich um andere zu kümmern. Diese Erfahrungen prägten das Herz und den Charakter eines künftigen Propheten.
Thomas Spencer Monson wurde am 21. August 1927 als zweites Kind und erster Sohn von G. Spencer Monson und Gladys Monson, geb. Condie, in Salt Lake City geboren. Seine Schwester Marjorie sowie seine Großeltern, Tanten, Onkel, Cousinen und Cousins, die sich sehr nahestanden und fast alle in unmittelbarer Nähe wohnten, freuten sich über den neuen kleinen Erdenbürger. Die Vorfahren seiner Mutter hatten zu den ersten Bekehrten der Kirche in Schottland gehört und erreichten das Salzseetal im Jahr 1850, drei Jahre nach der Pionierabteilung Brigham Youngs. Die Vorfahren von Toms Vater stammten aus England und Schweden. Sie waren Anfang 1865 ins Territorium Utah ausgewandert.
„Wenn man den Mann kennenlernen möchte, zu dem Thomas Spencer Monson geworden ist, muss man seine Wurzeln und das Umfeld betrachten, in dem er aufgewachsen ist“, sagte Elder Jeffrey R. Holland vom Kollegium der Zwölf Apostel einmal.5 Tommy, wie man ihn als Kind nannte, wuchs knapp anderthalb Kilometer südwestlich vom Stadtzentrum Salt Lake Citys in bescheidenen Verhältnissen auf. Seine Kindheit und Jugend war geprägt von der Weltwirtschaftskrise – sie begann, als er gerade zwei Jahre alt war – sowie vom Zweiten Weltkrieg. In diesen schwierigen Zeiten lehrten ihn seine Eltern und andere Nächstenliebe, Mitgefühl, Loyalität und eine hohe Arbeitsmoral – Eigenschaften, die sein Wesen stark prägten.
Er sagte, seine Mutter habe ihm „Zuneigung und Fürsorge“ ins Herz gepflanzt.6 Sie richtete andere auf und kümmerte sich besonders liebevoll um diejenigen, die ans Haus gefesselt waren. Arbeitssuchenden, die während der Weltwirtschaftskrise typischerweise ohne Fahrkarte in Güterzügen durchs Land reisten, gab sie zu essen und nahm sich ihrer an (siehe Kapitel 17). „Meine Mutter … hat mir durch ihr Leben und ihr Handeln gezeigt, was in der Bibel steht“, erzählte Präsident Monson. „Sie sorgte jeden Tag für die Armen, die Kranken, die Bedürftigen, und das werde ich niemals vergessen.“7
Im Gegensatz zu seiner extrovertierten Mutter war sein Vater eher ruhig und zurückhaltend, und seine christliche Nächstenliebe hinterließ ebenfalls einen starken Eindruck. In der Nähe wohnte ein Onkel, der durch seine Arthritis so stark verkrüppelt war, dass er nicht mehr laufen konnte. „Komm, Tommy“, sagte Spencer („Spence“) Monson oft. „Fahren wir mit Onkel Elias ein bisschen spazieren.“ Spence fuhr zu Elias’ Haus, trug ihn nach draußen und setzte ihn liebevoll auf den Vordersitz, damit er die Aussicht genießen konnte. „Die Fahrt dauerte nicht lange und es wurde auch nicht viel gesprochen, und doch war ein Vermächtnis der Liebe zu spüren“, sagte Elder Monson rückblickend.8 Diese Lektion habe bei ihm Früchte getragen.9 (Siehe Kapitel 17.)
Außerdem lernte er von seinem Vater, dass man hart arbeiten muss. Mit 14 Jahren hatte Spence Monson die Schule beenden und in einer Druckerei arbeiten müssen, weil sein Vater schwerkrank war und die Familie das Geld brauchte. Nachdem Spencer und Gladys geheiratet hatten, arbeitete Spencer in einer anderen Druckerei, wo er Geschäftsführer wurde und über fünfzig Jahre lang sechs Tage die Woche und oft bis spät abends arbeitete. Bereits mit zwölf Jahren half Tom seinem Vater nach der Schule und samstags. Zunächst übernahm er kleinere Aufgaben, dann erlernte er Schritt für Schritt das Druckhandwerk, bis er schließlich als Lehrling arbeitete. Diese Anfänge führten ihn schließlich zu seiner beruflichen Laufbahn in der Druckindustrie.
Auch seine Führungsverantwortlichen und Lehrkräfte in der Kirche trugen zu Tommy Monsons Entwicklung bei. Er erinnerte sich noch daran, wie Melissa Georgell, die PV-Leiterin, ihn einmal liebevoll zurechtgewiesen hatte: „Ich weiß noch, dass unser Betragen in der PV nicht immer so war, wie es hätte sein sollen. … Ich hatte viel Energie, und es fiel mir schwer, im Unterricht stillzusitzen.“10 Eines Tages bat die PV-Leiterin ihn zu sich, und als sie den Arm um Toms Schulter legte, begann sie zu weinen. Überrascht fragte er sie, warum sie denn weine. „Mir gelingt es einfach nicht, dass die [Jungen] während der Eröffnung in der PV andächtig sind“, erklärte sie. „Würdest du mir dabei helfen, Tommy?“ Er versprach es ihr.
„Zu meinem, aber nicht zu [ihrem] Erstaunen war damit in der PV jedes Problem mit der Andacht gelöst“, erinnerte er sich. „Sie hatte die Ursache des Problems angesprochen – mich. Ihre Lösung lautete Liebe.“11 Als Erwachsener besuchte er diese herzensgute Frau regelmäßig, bis sie im Alter von 97 Jahren verstarb.12 (Siehe Kapitel 11.)
Ein Berater des Lehrerkollegiums schenkte Tom ein Paar Tauben – Birmingham-Roller – und nutzte diese dazu, ihm aufzuzeigen, dass Tom als Kollegiumspräsident die Aufgabe hatte, die Mitglieder seines Kollegiums zu retten.13 Von einer Sonntagsschullehrerin lernte er: „Geben ist seliger als nehmen.“ (Apostelgeschichte 20:35.) Sie schlug nämlich vor, das Geld, das sie für eine Party gespart hatten, der Familie eines Jungen aus der Klasse zu schenken, dessen Mutter gerade gestorben war (siehe Kapitel 19). Von einem Scoutführer mit einem künstlichen Bein, dem ein Junge einen Streich spielte, lernte Tom, dass man freundlich reagieren soll, anstatt wütend zu werden (siehe Kapitel 21).
Auch was er als Kind erlebte, wenn er den Sommer im Provo Canyon südlich von Salt Lake City verbrachte, wirkte sich auf sein ganzes Leben aus. Dort entwickelte er eine Vorliebe für das Schwimmen, Angeln und andere Aktivitäten in der freien Natur. Später veranschaulichte er mithilfe von Erlebnissen, die er dabei gehabt hatte, Grundsätze des Evangeliums. Wettrennen mit Spielzeugbooten auf dem Provo River wurden zu einer Lektion über die Gaben, mit denen der Vater im Himmel seine Kinder durchs Erdenleben führt (siehe Kapitel 7). Ein Feuer, das er gelegt hatte und das erst nach mehreren Stunden gelöscht werden konnte, wurde zu einer Lektion über Gehorsam (siehe Kapitel 12).
Studium, Marine und Heirat
1944 machte Tom seinen Schulabschluss und musste dann viele wichtige Entscheidungen treffen. Im Herbst schrieb er sich an der University of Utah ein, war sich jedoch sicher, dass er nach seinem 18. Geburtstag im kommenden Jahr zum Militär einberufen werden würde, da in Europa und im Pazifikraum nach wie vor der Zweite Weltkrieg tobte.
In seinem ersten Studienjahr lernte Tom auch Frances Johnson kennen, die die Liebe seines Lebens werden sollte. Als er sie zur ersten Verabredung abholte, fragte ihr Vater: „Monson – das ist ein schwedischer Name, nicht wahr?“
„Ja“, lautete Toms Antwort.
Dann zeigte Frances’ Vater ihm ein Foto von zwei Missionaren und fragte, ob er mit dem Missionar namens Elias Monson verwandt sei. Tom erwiderte, Elias sei der Bruder seines Großvaters.
Als Frances’ Vater dies hörte, begann er zu weinen. Seine Familie hatte Elder Elias Monson kennengelernt, als sie noch in Schweden gelebt hatte. Frances’ Vater gab Tom einen Kuss auf die Wange, und auch ihre Mutter weinte und gab ihm einen Kuss auf die andere Wange.14 Das, befand er, war doch ein guter Beginn für seine Beziehung mit Frances. Die beiden hatten viele gleiche Interessen. Sie verbrachten gerne Zeit in der freien Natur und mit der Familie und tanzten gern zu Big-Band-Musik. „Sie lachte für ihr Leben gern“, erinnerte er sich und fügte hinzu, sie sei „gütig und freundlich“ und habe „großes Mitgefühl.“15
Im Juli 1945, nach einem Jahr Studium, meldete sich Tom zum Militärdienst. In Europa war der Krieg seit Mai vorbei, nicht jedoch im Pazifikraum. In der Musterungsstelle betete Tom um Führung und beschloss, sich als Reservist der US-Marine zu melden, anstatt in der regulären Marine zu dienen – eine Entscheidung, die, wie er später erklärte, für den weiteren Verlauf seines Lebens maßgeblich war (siehe Kapitel 5). Schon kurze Zeit später endete der Krieg auch im Pazifikraum, und er wurde nach einem Jahr im kalifornischen San Diego ehrenhaft aus dem Militärdienst entlassen. Ein bedeutsames Jahr lag hinter ihm. Er hatte Gelegenheiten wahrnehmen können, mutig für seine Überzeugungen einzutreten, mit gutem Beispiel voranzugehen und zum ersten Mal einen Priestertumssegen zu geben (siehe Kapitel 8 und 23). Da Tom nicht wollte, dass Frances ihn vergaß, schrieb er ihr aus San Diego jeden Tag einen Brief.
Als Tom 1946 nach Salt Lake City zurückkehrte, setzte er sein Studium an der University of Utah fort. 1948 erwarb er einen Bachelor-Abschluss in Marketing und schloss das Studium mit Auszeichnung ab. Er ging weiterhin mit Frances aus, ihre Liebe zueinander wurde immer stärker, und schließlich machte er ihr einen Heiratsantrag. Die beiden heirateten am 7. Oktober 1948 im Salt-Lake-Tempel. Präsident Monson sprach oft darüber, was man ihnen an diesem Tag ans Herz legte, nämlich wie sie in ihrer Ehe gute Gefühle bewahren konnten (siehe Kapitel 17). Nach der Hochzeit begannen sie ihr gemeinsames Leben in derselben Nachbarschaft, in der Tom Monson aufgewachsen war.
Bischof der Gemeinde 6/7
Am Tag der Geburt von Thomas S. Monson im Jahr 1927 wurde in der Gemeinde, zu der seine Familie gehörte, ein neuer Bischof bestätigt. Als Spencer Monson ins Krankenhaus kam, um seine Frau und ihren neugeborenen Sohn zu sehen, erzählte er ihr: „Wir haben heute einen neuen Bischof bekommen.“ Da hielt Gladys Monson den kleinen Tom hoch und sagte: „Ich habe auch einen neuen Bischof für dich.“16
Ob Gladys nun wirklich eine Vorahnung hatte oder nicht, erfüllten sich ihre Worte doch schneller, als irgendwer je erwartet hätte. Am 7. Mai 1950 – Tom Monson war gerade einmal 22 Jahre alt – wurde er als Bischof seiner Heimatgemeinde berufen. Die Gemeinde zählte über 1000 Mitglieder, darunter seine Eltern, Geschwister und weitere Angehörige. Tom und Frances Monson waren erst seit 19 Monaten verheiratet.
Bischof Monson beschrieb die Gemeinde 6/7 als bescheidene, von Pionieren gegründete Gemeinde in einem bescheidenen, von Pionieren gegründeten Pfahl.17 Die Gemeinde stand damals vor vielen Herausforderungen. Viele Mitglieder kamen nicht zur Kirche. Damit sie wieder aktiv wurden, musste man ihnen Zuneigung entgegenbringen und sie in die Gemeinschaft aufnehmen. Viele waren verarmt, und keine Gemeinde in der ganzen Kirche war auf mehr Wohlfahrtsunterstützung angewiesen.18 Die älteren Mitglieder, darunter über 80 Witwen, benötigten besondere Aufmerksamkeit. Die Gemeinde war fast wie eine Art Durchgangsstation – jeden Monat zogen viele dorthin und viele wieder weg. Jahre später sprach Präsident Monson darüber, wie er sich angesichts dieser vielen Herausforderungen als junger Bischof fühlte und welchen Glauben er entwickelte:
„Das Ausmaß der Berufung war überwältigend und die Verantwortung beängstigend. Es stimmte mich demütig, wie unzulänglich ich war. Der Vater im Himmel jedoch ließ mich nicht im Finstern oder in der Stille führungslos und ohne Inspiration umherirren. Er offenbarte mir auf seine Weise die Lektionen, die ich lernen musste.“19
Einige der Lektionen, die Bischof Monson offenbart wurden, verdankte er der Hilfe und Anleitung anderer. Weitere Lektionen lernte er durchs Gebet. „Jeder Bischof braucht einen heiligen Hain, wohin er sich zurückziehen kann, um nachzusinnen und um Führung zu beten“, erklärte er. „Meiner war die Kapelle unseres alten Gemeindehauses. Ich kann gar nicht aufzählen, wie oft ich in einer schwierigen Stunde spät am Abend, als es schon dunkel war, das Podium in diesem Gebäude aufgesucht habe, wo ich gesegnet, konfirmiert, ordiniert, belehrt und schließlich als Bischof berufen worden war. … Mit der Hand am Pult kniete ich mich nieder und teilte dem Gott des Himmels meine Gedanken, meine Sorgen und meine Probleme mit.“20
Bischof Monson besuchte nach und nach jedes Mitglied, das nicht zur Kirche ging. „Ich bin gekommen, um Sie kennenzulernen und Sie zu bitten, mit Ihrer Familie unsere Versammlungen zu besuchen“, sagte er einem Vater bei einem Besuch an der Tür. Der Mann wies ihn ab, und bald schon zog die Familie nach Kalifornien. Viele Jahre später jedoch suchte der Mann Elder Monson auf, der mittlerweile dem Kollegium der Zwölf Apostel angehörte. „Ich bin gekommen, um mich zu entschuldigen, dass ich an jenem Sommertag vor vielen Jahren nicht aus meinem Sessel aufgestanden bin und Sie hereingelassen habe“, sagte er. „Ich bin jetzt Zweiter Ratgeber in der Bischofschaft meiner Gemeinde. Ihre Einladung, in die Kirche mitzukommen, und meine Ablehnung haben mich so lange verfolgt, bis ich beschloss, etwas in der Sache zu unternehmen.“21 (Siehe Kapitel 2.) Diese Familie wurde zwar erst wieder in der Kirche aktiv, nachdem sie die Gemeinde 6/7 verlassen hatte, viele weitere Mitglieder kehrten jedoch zurück, als Thomas Monson noch ihr Bischof war. Die Anwesenheit in der Abendmahlsversammlung stieg merklich an.22
Bischof Monson lagen die Jugendlichen in der Gemeinde sehr am Herzen. Er bemühte sich eifrig darum, dass sie der Kirche treu blieben. Eines Tages erhielt er die Eingebung, eine Priestertumsversammlung zu verlassen und einen jungen Mann aufzusuchen, der selten in die Kirche kam. Er fand ihn schließlich in der Montagegrube einer Autowerkstatt. Bischof Monson erklärte ihm, dass man ihn vermisse und brauche, und er wurde wieder aktiv.23 (Siehe Kapitel 2.) Der junge Mann erfüllte später eine Mission und war zweimal als Bischof tätig. Er brachte oft zum Ausdruck, wie dankbar er Bischof Monson war, unter anderem in einem Brief, den er vierzig Jahre später schrieb:
„Wenn ich so darüber nachdenke, was in meinem Leben alles geschehen ist, erfüllt mich tiefe Dankbarkeit für einen Bischof, der nach einem Verirrten gesucht, ihn gefunden und großes Interesse an ihm gezeigt hat. Ich danke Ihnen aus tiefstem Herzen für alles, was Sie damals und in den Jahren darauf für mich getan haben! Ich habe Sie lieb.“24
Bischof Monson kümmerte sich ganz besonders um die Witwen in seiner Gemeinde. Er half ihnen, wenn sie Gefahr liefen, ihr Zuhause zu verlieren, wenn sie Lebensnotwendiges benötigten und wenn ihre Gesundheit schwand. Wenn sie einsam waren und Kummer hatten, munterte er sie mit seinen Besuchen auf. Wenn er zu Weihnachten frei hatte, besuchte er jede einzelne Witwe und schenkte ihnen Süßigkeiten oder ein Hähnchen, das sie sich braten konnten. Auch nach seiner Entlassung als Bischof besuchte er viele von ihnen weiterhin und hielt dies ebenso mit vielen Schwestern, die erst nach seiner Zeit als Bischof Witwe wurden. Da war etwa eine Frau, die 1965 ihren Mann verlor – zehn Jahre nachdem Thomas Monson als Bischof entlassen wurde. Er besuchte sie regelmäßig, bis sie 2009, als er schon Präsident der Kirche war, im Alter von 98 Jahren verstarb. „Pearl … gehörte zu den Witwen, die ich all diese Jahre besucht habe“, schrieb er in sein Tagebuch. „Sie hatte ein schwieriges Leben, aber sie hat ausgeharrt.“25 Ein paar Tage nach ihrem Tod sprach er auf ihrer Beerdigung, eine von über 800, bei denen er nach seiner Berufung ins Kollegium der Zwölf Apostel die Trauerrede hielt.
Da viele Mitglieder Unterstützung in zeitlichen Belangen brauchten, überlegte sich Bischof Monson innovative und inspirierte Wege, wie man helfen könnte. Oft ermöglichte er es anderen Mitgliedern, mitzuhelfen. An einem Dezembertag erfuhr er einmal, dass eine Familie aus Deutschland bald ins Gemeindegebiet ziehen würde. Ein paar Wochen vor ihrer Ankunft besichtigte er die Wohnung, die für die Familie angemietet worden war. Er war erschüttert, wie dunkel und trostlos es dort war. „Was für eine düstere Begrüßung für eine Familie, die so viel durchgemacht hat“, dachte er sich.26
Am Vormittag darauf sprach er das Thema in einer Sitzung mit den Führungsverantwortlichen der Gemeinde an. Bischof Monson schrieb, wahre Liebe sei jedem der Mitglieder in Herz und Seele gedrungen, als sie bereitwillig ihre Hilfe anboten.27 Während der darauffolgenden zwei, drei Wochen bereiteten die Mitglieder der Gemeinde gemeinsam die Wohnung vor.
Als die Familie eintraf, konnte sie die Tränen nicht zurückhalten: Sie stand in einer hellen, frisch gestrichenen Wohnung mit neu verlegtem Teppichboden, mit Lebensmitteln gefüllten Schränken und einem von den Jugendlichen geschmückten Weihnachtsbaum. Der Vater ergriff Bischof Monsons Hand und wollte sich bedanken, war jedoch von seinen Gefühlen übermannt. Stattdessen, erzählte Bischof Monson, „legte er den Kopf an meine Schulter und sagte immer wieder auf Deutsch: ,Mein Bruder, mein Bruder, mein Bruder.‘“28 Als sich die Mitglieder aus der Gemeinde an jenem Abend auf den Heimweg machten, fragte eine Jugendliche: „Bischof, so gut wie jetzt habe ich mich noch nie gefühlt. Warum ist das bloß so?“ Er antwortete ihr mit den Worten des Herrn: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Matthäus 25:40.)
1955 – fünf Jahre nachdem Thomas Monson als Bischof berufen worden war – berief man ihn als Ratgeber in die Pfahlpräsidentschaft. Er mochte zwar nicht mehr als Bischof berufen sein, blieb im Herzen jedoch sein Leben lang Bischof und kümmerte sich weiterhin um die Mitglieder der Gemeinde 6/7. Er nutzte die Lektionen, die er gelernt hatte, dazu, andere zu unterweisen, und als Richtschnur für seinen weiteren Dienst in der Kirche. Rückblickend auf seine Jahre als Bischof sagte er später: „Ich hielt mich immer für einen Bischof, der lieber zu großzügig war, und wenn ich noch einmal Bischof wäre, würde ich sogar noch mehr geben.“29
Das Gemeindehaus der Gemeinde 6/7 wurde 1967 abgerissen, aber vorher konnte Bischof Monson noch etwas retten, was eine ganz besondere Bedeutung für ihn hatte: das schöne Rednerpult, an dem er als Bischof oft zum Gebet niedergekniet war.30 2009 sprach er an diesem Pult, als er als Präsident der Kirche das neue Historische Archiv der Kirche weihte. Er war sehr bewegt, denn das Pult brachte viele Erinnerungen an seine Kindheit, Jugend und Zeit als Bischof mit sich. „Dieses Pult erzählt zum Teil die Geschichte meines Glaubens“, erklärte er. „Es steht für schöne Erinnerungen an heilige Erlebnisse.“31
Familie
Tom und Frances Monson waren überglücklich, als ihr erstes Kind das Licht der Welt erblickte: 1951, ein Jahr nach Toms Berufung als Bischof, bekamen sie einen Sohn, den sie Thomas Lee nannten. 1954 – Tom Monson war noch immer Bischof – kam ihre einzige Tochter, Ann Frances, zur Welt. Das dritte und letzte Kind, ein Sohn namens Clark Spencer, erblickte 1959 das Licht der Welt, als Tom und Frances Monson in Kanada auf Mission waren.
Tom Monson musste lange arbeiten und hatte in der Kirche viel zu tun, war aber dennoch ein hingebungsvoller Ehemann und Vater. Seinen Kindern zufolge waren andere Väter „öfter daheim als unser Vater, aber sie unternahmen mit ihren Kindern nicht so viel wie Papa mit uns. Wir haben immer etwas unternommen, und diese Erinnerungen bedeuten uns sehr viel.“32
Tom Jr. berichtete, dass sie nur wenig freie Zeit zusammen hatten, als sein Vater Präsident der Kanadischen Mission war. Doch jeden Abend vor dem Schlafengehen ging er im Missionsheim ins Büro seines Vaters, und sie spielten eine Partie Dame. „Tatsächlich ist diese Erinnerung für mich genauso schön wie damals, als mein Vater Jahre später extra einen Flieger nach Louisville in Kentucky nahm, wo ich mir in der Grundausbildung beim Militär eine Lungenentzündung eingefangen hatte, und mir einen Segen gab“, erzählte Tom.33
Ann freute sich immer, wenn ihr Vater berichtete, was er im Rahmen seiner kirchlichen Aufträge erlebte: „Zu meinen schönsten Erinnerungen gehört, dass er nach einem Auftrag bei einer Pfahlkonferenz oder einer Reise durch das Missionsgebiet am Sonntagabend heimkam und dann erzählte, was ihn dazu inspiriert hatte, einen bestimmten Patriarchen zu berufen, oder wie sehr die Gespräche mit Missionaren seinen Glauben gestärkt hatten.“34 Als Ann selbst schon Ehefrau und Mutter war, freute sie sich, wenn ihre Söhne Seite an Seite mit ihrem Opa arbeiten konnten, und war dankbar für die gemeinsamen Erlebnisse im Provo Canyon: „Jeder in der Familie sitzt gern am Lagerfeuer vor unserer Blockhütte im Canyon, röstet Marshmallows und hört Opa zu, wenn er Geschichten erzählt.“35
Clark berichtete, auch wenn sein Vater oft für die Kirche unterwegs gewesen sei, habe er sich immer für seine Kinder Zeit genommen. „Ich hatte nie das Gefühl, dass Vater keine Zeit für mich hatte. Wenn er zuhause war, spielte er mit uns und ging mit uns Eis essen. … Als Junge bin ich oft mit meinem Vater angeln gegangen.“36 Bei einem Angelausflug ging es Clark zu Herzen, als sein Vater ihn bat, die Schnur einzuholen, und dann sagte: „In fünf Minuten hat dein Bruder Tom seine Prüfung, um als Anwalt zugelassen zu werden. Er hat drei Jahre lang bei seinem Jurastudium angestrengt darauf hingearbeitet und ist bestimmt aufgeregt. Lass uns hier im Boot kurz niederknien. Erst spreche ich ein Gebet für ihn und dann du.“37
Frances Monson widmete sich der Erziehung der Kinder und war darum bemüht, dass daheim eine fröhliche, positive Atmosphäre herrschte. Kurz bevor ihr Vater 1953 verstarb, sagte er zu ihr: „Ich bin sehr stolz auf dich, Frances. Ich bin stolz auf deinen Mann Tom. Ihr werdet beide reich gesegnet werden, weil ihr dem Evangelium und eurer Familie treu ergeben seid.“38
Berufliche Laufbahn
Nach seinem Abschluss an der University of Utah im Jahr 1948 bekam Tom Monson viele Stellenangebote, darunter auch von großen Unternehmen aus anderen Bundesstaaten. Er entschied sich für eine Stelle bei den Deseret News als Verkäufer für den Kleinanzeigenteil. Innerhalb weniger Monate wurde er stellvertretender Verkaufsleiter für den Kleinanzeigenteil, im Jahr darauf Verkaufsleiter.
1953 begann Tom Monson bei der Deseret News Press, einer der größten Druckereien im Westen der Vereinigten Staaten. Er kehrte gewissermaßen zu seinen Wurzeln zurück, da er ja als Jugendlicher seinem Vater in einer Druckerei ausgeholfen hatte. Bei der Deseret News Press war er zunächst stellvertretender Verkaufsleiter und dann Verkaufsleiter. Einer seiner Kunden war Deseret Book, und da er einigen Führern der Kirche half, ihre Bücher zu veröffentlichen, arbeitete er mit vielen eng zusammen und lernte viel dazu. „Zu den Höhepunkten in meinem Leben zählt, dass ich so eng mit Generalautoritäten und auch anderen zusammenarbeiten und ihnen dabei helfen konnte, dass aus ihren Manuskripten ein fertiges Produkt wurde“, schrieb er.39 Er kümmerte sich außerdem um die meisten Printmedien der Kirche, darunter Druckerzeugnisse für die Missionsarbeit und den Druck des Buches Mormon in diversen Sprachen.
Präsident der Kanadischen Mission
Der Juli 1957 brachte große Veränderungen für Familie Monson mit sich. Tom Monson wurde zusätzlich zu seiner Tätigkeit als Verkaufsleiter bei der Deseret News Press zum stellvertretenden Geschäftsführer ernannt. Gegen Ende des Monats zog die Familie dann in ein neues Haus in einem Vorort von Salt Lake City und verließ damit die Nachbarschaft, in der Tom Monson groß geworden und als Bischof tätig gewesen war.
Doch es sollten weitere Veränderungen folgen. Weniger als zwei Jahre später wurde Tom Monson berufen, über die Kanadische Mission mit Sitz in Toronto zu präsidieren. Erneut sollte er in einem jungen Alter, mit 31 Jahren, große Verantwortung übernehmen, und diesmal musste seine Familie dafür weit wegziehen. Auch auf seine Frau Frances, deren Schwangerschaft gesundheitliche Beschwerden mit sich brachte, warteten viele neue Aufgaben. Elder Harold B. Lee vom Kollegium der Zwölf Apostel gab ihnen hilfreiche Ratschläge, die Präsident Monson später immer wieder aufgriff:
„Wen der Herr beruft, dem gibt er auch die nötigen Fähigkeiten.“
„Wer im Auftrag des Herrn handelt, hat auch ein Anrecht auf seine Hilfe.“
„Gott formt Schultern so, dass sie die Last tragen können, die ihnen auferlegt wird.“40
Im April 1959 fuhr die Familie Monson mit dem Zug nach Toronto, wo sie gut drei Jahre lang leben sollte. Die beiden Kinder Tommy und Ann waren sieben beziehungsweise vier Jahre alt. Frances Monson verließ ihr Zuhause mit Tränen in den Augen, aber die Familie brachte dieses Opfer bereitwillig und hatte den Glauben, dass sie Gottes Willen tat.
In Kanada vertieften sich die Monsons unverzüglich in die Missionsarbeit. Präsident Monson beaufsichtigte die Arbeit von 130 Missionaren (später waren es über 180), die in den großen Provinzen Ontario und Québec verstreut waren. Wie schon als Bischof führte er die ihm Anvertrauten voller Zuversicht und Liebe. Er festigte den Glauben anderer und erweckte Selbstvertrauen. Auch vertraute er auf den Herrn. Einer seiner Missionare sagte: „Seine Entscheidungen passten irgendwie immer in den größeren Plan des Herrn.“41 Ein anderer Missionar sagte: „Er hat in der Mission einen bleibenden Eindruck hinterlassen. … Eine kurze Reise durch das Missionsgebiet genügte und schon kannte er die Namen aller Missionare sowie die vieler Mitglieder. Wohin er auch ging, richtete er jeden auf – er erfüllte die gesamte Mission mit neuem Leben.“42
Unter Präsident Monson blühte die Mission förmlich auf. „Der Herr hat seinen Geist über die Menschen hier ausgegossen“, berichtete er der Ersten Präsidentschaft. „In Städten, in denen es bislang keine Taufen gab, gibt es nun jeden Monat Bekehrte.“43 Er führte diesen Erfolg zu einem Großteil darauf zurück, dass die Mitglieder sich stärker daran beteiligten, Menschen zu finden, die von den Missionaren unterwiesen werden konnten, und sie dann gut eingliederten.
Das dritte Kind der Monsons, Clark, kam sechs Monate nach ihrer Ankunft in Toronto zur Welt. Sister Monson kümmerte sich aber nicht nur um drei kleine Kinder, beherbergte Missionare und weitere Gäste im Missionsheim und war als FHV-Leiterin der Mission tätig, sondern half darüber hinaus auch bei der Missionsarbeit. Eines Tages nahm sie den Anruf eines Mannes entgegen. „Wir stammen aus den Niederlanden“, erklärte dieser. „Dort in unserer Heimat hatten wir Gelegenheit, etwas über die Mormonen zu erfahren. Meine Frau möchte gern mehr wissen, ich allerdings nicht.“ Sister Monson gab den Namen und die Anschrift des Mannes an die Missionare weiter. Diese versäumten es jedoch, Kontakt aufzunehmen. „Was ist denn mit der Familie aus den Niederlanden?“, fragte Sister Monson immer wieder. „Rufen Sie sie heute Abend an?“ Nach ein paar Wochen teilte sie den Missionaren mit, falls sie mit der Familie nicht bald sprächen, würden sie und ihr Mann sich selbst darum kümmern. Zwei Missionare besuchten daraufhin die Familie von Jacob und Bea de Jager, und die Familie schloss sich der Kirche an. Bruder de Jager, der ja eigentlich gar kein Interesse an der Kirche gehabt hatte, war von 1976 bis 1993 sogar als Generalautorität-Siebziger tätig.44
Bei der Ankunft der Monsons gab es im Osten Kanadas noch keinen Pfahl, also musste Präsident Monson nicht nur die Arbeit der Missionare beaufsichtigen, sondern war auch für die sieben Distrikte in der Mission zuständig. In vielen Distrikten und Zweigen waren Vollzeitmissionare in führenden Ämtern tätig, und zu Präsident Monsons Prioritäten gehörte es, Priestertumsträger, die in dem jeweiligen Einzugsgebiet lebten, in diese Ämter zu berufen. Dadurch wurden unter den Mitgliedern vor Ort Führungsverantwortliche herangebildet, und die Missionare hatten mehr Zeit dafür, das Evangelium zu verkünden und Menschen zu unterweisen. 1962 präsidierte schließlich in jeder Einheit der Kirche in der Mission ein ortsansässiger Priestertumsführer.45
Als Familie Monson 1959 im Osten Kanadas eintraf, gab es in der gesamten Mission nur zwei kleine Gemeindehäuser. Die meisten Mitglieder kamen in gemieteten Sälen zusammen. Präsident Monson sah die Notwendigkeit, für bessere Räumlichkeiten für die Versammlungen zu sorgen, und führte daher ein entsprechendes Programm ein. Dass die Mitglieder in Gemeindehäusern zusammenkamen, trug auch zur Missionsarbeit bei, denn die geweihten Gebäude vermittelten ein Gefühl von Beständigkeit. Als die Monsons ihre Mission beendeten, waren sieben neue Gemeindehäuser fertig oder befanden sich im Bau, und zehn weitere befanden sich in der Planungsphase.46
Mit der Gründung des Pfahles Toronto erreichte die Kirche im August 1960 einen Meilenstein. Es handelte sich um den ersten Pfahl im Osten Kanadas und den insgesamt 300. in der Kirche. „Mitzuerleben, wie aus den Mitgliedern … ein Zionspfahl wurde, war ein Höhepunkt unserer Mission“, schrieb Präsident Monson. „Diese Errungenschaft hat [sie] mit großer Freude erfüllt.“47 Später wurden weitere Pfähle gegründet und im Raum Toronto wurde ein Tempel gebaut, für den Präsident Monson 1987 den ersten Spatenstich vornehmen sollte.
So reihte sich im Verlauf der Mission ein Höhepunkt an den anderen, doch für Präsident Monson bestand das hellste Glanzlicht darin, dass er die Mission gemeinsam mit seiner Familie erfüllen konnte. „Diese drei Jahre, in denen wir unsere ganze Zeit der Verkündigung des Evangeliums Jesu Christi gewidmet haben, gehörten zu den glücklichsten in unserem Leben“, sagte er rückblickend.48
Nach fast drei Jahren in dieser Tätigkeit wurde Thomas S. Monson im Januar 1962 als Präsident der Kanadischen Mission entlassen. Die Familie hatte eine tiefe Wertschätzung für Kanada und Zuneigung zu den Menschen dort sowie zu den Missionaren entwickelt. Genauso, wie Präsident Monson zu den Mitgliedern der Gemeinde 6/7 nach seiner Entlassung als Bischof einen engen Kontakt pflegte, blieb er den Missionaren und den Mitgliedern, mit denen er in Kanada Seite an Seite tätig gewesen war, eng verbunden. Von 1962 bis 2015 besuchte er über 50 Treffen der ehemaligen Missionare und sprach dort zu ihnen, ihren Angehörigen und weiteren Besuchern.
Berufung als Apostel
Als Familie Monson im Februar 1962 aus Kanada zurückkehrte, nahm Tom Monson seine Arbeit bei der Deseret News Press wieder auf. Im März beförderte man ihn zum Geschäftsführer – eine anspruchsvolle Position, zumal er gerade eine gewaltige Umstellung auf neue Druckverfahren und -maschinen vornehmen ließ. Auch saß er im Ausschuss von vier Führungskomitees der Kirche.
Am Nachmittag des 3. Oktober 1963 hatte Tom Monson gerade jemanden bei sich im Büro zu Besuch, als seine Sekretärin ihm einen Anruf durchstellte. Er griff zum Hörer und hörte überrascht, dass die Sekretärin von David O. McKay, dem Präsidenten der Kirche, in der Leitung war. Sie teilte ihm mit, Präsident McKay wolle mit ihm sprechen, und stellte ihn durch. Nach einem kurzen Gespräch fragte Präsident McKay Tom Monson, ob dieser noch am selben Nachmittag in sein Büro kommen könne.
Da sein Auto gerade in der Werkstatt war, lieh sich Tom Monson einen Wagen und fuhr zu Präsident McKays Büro. Da er ja in einigen Komitees der Kirche tätig war, ging er davon aus, Präsident McKay wolle mit ihm über eine dieser Aufgaben sprechen, doch der Präsident der Kirche hatte etwas anderes im Sinn. „Er bat mich, auf einem Stuhl neben seinem Schreibtisch, der ihm zugewandt war, Platz zu nehmen“, erinnerte sich Tom Monson. Dann habe Präsident McKay gesagt: „Ich habe Elder Nathan Eldon Tanner zu meinem Zweiten Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft ernannt. Der Herr hat Sie berufen, seinen Platz im Rat der Zwölf Apostel einzunehmen. Können Sie diese Berufung annehmen?“49
Tom Monson war von Präsident McKays Worten überwältigt und brachte kein Wort heraus. „Mir stiegen Tränen in die Augen“, sagte er. „Nach einer gefühlten Ewigkeit versicherte ich Präsident McKay, ich wolle jedes Talent, mit dem ich gesegnet worden sei, in den Dienst unseres Meisters stellen.“50
Am Abend bat Tom Monson seine Frau, mit ihm eine Spazierfahrt zu machen. Gemeinsam mit dem vierjährigen Clark fuhren sie zu einem Denkmal in Salt Lake City. Während sie um das Denkmal liefen, spürte Frances, dass ihren Mann etwas beschäftigte. Als sie ihn danach fragte, berichtete er ihr von der Berufung zum heiligen Amt eines Apostels. Später erzählte sie: „Ich war überrascht und die Berufung stimmte mich demütig. … Das war eine ungeheuer bedeutende Berufung und eine überwältigende Aufgabe.“51 Wie immer unterstützte sie ihren Mann jedoch von ganzem Herzen.
Am Vormittag darauf wurde Thomas S. Monson bei der Generalkonferenz als Mitglied des Kollegiums der Zwölf Apostel und als besonderer Zeuge „des Namens Christi in aller Welt“52 bestätigt. Im Alter von 36 Jahren war er der jüngste Apostel seit der Berufung Joseph Fielding Smiths im Jahr 1910. Zudem war er zum Zeitpunkt seiner Berufung 17 Jahre jünger als der nächstälteste Apostel.
In derselben Konferenzversammlung hielt Elder Monson seine erste Ansprache als Generalautorität. Nachdem er seinen Dank zum Ausdruck gebracht hatte, bezeugte und gelobte er:
„Meine Brüder und Schwestern, ich weiß, dass Gott lebt. Daran hege ich keinen Zweifel. Ich weiß, dass dies sein Werk ist. Ich weiß, dass die schönste Erfahrung in diesem Leben darin besteht, seine Eingebungen zu spüren, wenn er uns führt, um sein Werk weiter voranzubringen. Ich habe diese Eingebungen als junger Bischof gespürt und wurde zu den Familien geführt, in denen geistige – oder auch materielle – Not herrschte. Ich verspürte sie erneut auf Mission, als ich mit Ihren Söhnen und Töchtern tätig war – den Missionaren dieser großartigen Kirche. …
Ich weihe mein Leben und alles, was ich habe. Ich werde alles daransetzen, das zu werden, was Sie von mir erwarten. Ich bin dankbar für die Worte Jesu Christi, unseres Erretters, der gesagt hat:
,Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn einer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten.‘ (Offenbarung 3:20.)
Ich bete aufrichtig darum, … dass ich so lebe, dass ich mich dieser Verheißung unseres Erretters würdig erweise.“53
Sechs Tage darauf, am 10. Oktober 1963, wurde Elder Monson zum Apostel ordiniert und von Präsident Joseph Fielding Smith, dem Präsidenten des Kollegiums der Zwölf Apostel, als Mitglied des Kollegiums eingesetzt.
Wirken als Apostel
Als Elder Monson zum Apostel berufen wurde, breitete sich die Kirche in aller Welt gerade so rasch aus wie nie zuvor. Bald schon reiste er wie die übrigen Generalautoritäten um die Welt und lenkte dieses Wachstum mit. Manchmal war er fünf Wochen am Stück unterwegs, unterwies Mitglieder und Missionare, gründete neue Einheiten der Kirche, weihte Gemeindehäuser und führte Programme der Kirche ein.
Elder Monson nahm sich die Worte eines Mitglieds des Kollegiums der Zwölf Apostel zu Herzen, dass nämlich der Dienst als Apostel „die bedingungslose Hingabe an das Werk des Herrn verlangt. Es gilt, die Heiligen Gottes zu stützen und aufzurichten, zu unterweisen und zu schulen, zu führen und anzuleiten. Man nimmt die Last an und stärkt die Hoffnung der Kirche und ihrer Mitglieder.“54
Verwaltungsaufgaben waren nie so wichtig, wie nach Gelegenheiten Ausschau zu halten, anderen ein Segen zu sein. Eines von hunderten Beispielen war das, was er für Paul C. Child tat, der zu Elder Monsons Jugendzeit sein Pfahlpräsident gewesen war. Ende der 70er Jahre hatte die körperliche Verfassung von Präsident Child und seiner Frau Diana stark nachgelassen, und die beiden wohnten in einem Pflegeheim. Elder Monson besuchte sie regelmäßig, und bei einem sonntäglichen Gottesdienst dort im Pflegeheim würdigte er diesen geschätzten Priestertumsführer. Wieder daheim sagte Elder Monson zu seiner Frau: „Ich glaube, ich habe bei dem einen Besuch mehr Gutes getan als bei vielen Konferenzen.“55
Bei seinen Aufgaben am Hauptsitz der Kirche hatte Elder Monson Einfluss auf nahezu jeden Bereich, was die Organisation und die Programme der Kirche anbelangte. Von 1965 bis 1971 war er als Vorsitzender des Korrelationskomitees für Erwachsene tätig und sorgte für mehr Einheitlichkeit in den Leitfäden, Handbüchern und Organisationen der Kirche. Auch war er Berater für die Organisation der Jungen Männer und der Jungen Damen. Von 1965 bis 1982 war er im Missionsführungskomitee tätig, die letzten sieben Jahre davon als Vorsitzender. In dieser Zeit half er dabei mit, zehntausenden Missionaren ein Gebiet zuzuweisen, Missionspräsidenten auszuwählen, neue Missionen zu gründen, Schulungsprogramme für Missionare zu entwickeln und Besucherzentren zu beaufsichtigen. „Viele Erfahrungen, die meinen Glauben gestärkt haben, trugen sich zu, als wir Missionare einem Gebiet zugewiesen haben“, schrieb er.56
1965 beauftragte Präsident McKay Elder Monson, das Werk der Kirche im Südpazifik zu beaufsichtigen. Dieser Auftrag führte ihn von den Pazifikinseln bis nach Australien. Elder Monson entwickelte eine tiefe Zuneigung zu den Mitgliedern in diesem Gebiet. Ihre Hingabe ans Evangelium und ihr Glaube inspirierten ihn.
Als Elder Monson mit seiner Frau 1965 das erste Mal nach Samoa kam, besuchten sie in einem Dorf eine Schule der Kirche, wo sie mit 200 Kindern zusammenkamen. Gegen Ende der Versammlung fühlte Elder Monson sich gedrängt, jedes einzelne Kind zu begrüßen, aber ein Blick auf die Uhr verriet, dass nicht genügend Zeit blieb, wenn er seinen Flug noch bekommen wollte. Er spürte die Eingebung jedoch erneut und sagte dem Lehrer, er habe den Wunsch, jedem Kind die Hand zu geben. Der Lehrer war außer sich vor Freude, denn die Kinder hatten genau dafür gebetet. „Wir konnten die Tränen nicht zurückhalten“, erzählte Elder Monson, „als diese lieben Jungen und Mädchen einer nach dem anderen zaghaft an uns herantraten und uns leise auf Samoanisch ,talofa lava‘ zuflüsterten.“57
Als Elder Monson 1967 Sydney besuchte, erzählte ihm ein Mann, Elder Monsons Zeugnis bei einem früheren Besuch habe dazu geführt, dass er sich hatte taufen lassen. „Solche Worte führen mich in die Tiefen der Demut“, schrieb Elder Monson in sein Tagebuch. „Sie halten mir wahrhaft vor Augen, welch große Verantwortung ich trage.“58
Bei seinem Wirken als Apostel ging es Präsident Monson vor allem um den Einzelnen. Er ließ sich vom Geist und von seinen eigenen Beobachtungen leiten und nahm sich derer an, die Probleme hatten und bedrückt waren. Die Teilnahme an Pfahl- und Gebietskonferenzen, an Tempelweihungen sowie die Arbeit in Komitees boten ihm nicht nur die Chance, zu amtieren und zu unterweisen, sondern er konnte auch zeigen, wie sehr ihm der Einzelne am Herzen lag.
Geistliches Wirken und Wunder in der DDR
Nachdem Elder Monson drei Jahre lang das Werk im Südpazifik beaufsichtigt hatte, beauftragte ihn die Erste Präsidentschaft im Juni 1968, die Missionen der Kirche in Deutschland, Italien, Österreich und in der Schweiz zu beaufsichtigen. Etwa 5000 Mitglieder der Kirche lebten hinter dem Eisernen Vorhang in der DDR. Ostdeutschland stand unter sozialistischer Herrschaft. Die Freiheit der Menschen war stark eingeschränkt, religiöse Aktivitäten wurden weitgehend erschwert. Vor allem aufgrund der von der Regierung erlassenen Beschränkungen war seit dem Bau der Berliner Mauer im Jahr 1961 keine Generalautorität mehr dort gewesen. Zu Elder Monsons höchsten Prioritäten bei seinem neuen Auftrag gehörte es, sich der Mitglieder der Kirche dort anzunehmen.
Die Reise in die DDR war mit vielerlei Gefahren behaftet. Elder Monson sprach mit einem Beamten der US-Regierung, der ihm von der Reise abriet. „Wenn etwas passiert, können wir Sie nicht rausholen!“, warnte er Elder Monson. Doch der ließ sich davon nicht beirren. „Ich musste mir nur bewusstmachen, dass ich ein höheres Ziel als jedwede irdische Obrigkeit hatte“, erklärte er später. „Und musste dann mit Vertrauen auf den Herrn vorangehen.“59
Sein erster Besuch fand am 31. Juli 1968 statt. Mit Stan Rees, dem Präsidenten der Norddeutschen Mission, passierte er den schwerbewachten Kontrollposten an der Berliner Mauer und verbrachte einen Teil des Tages in Ostberlin. Zwar war dies nur eine Stippvisite, aber letztlich begann damit Elder Monsons bemerkenswertes geistliches Wirken in der DDR, das über zwei Jahrzehnte andauern und zu einem entscheidenden Teil seines Wirkens als Apostel werden sollte.
Im November 1968 kehrte Elder Monson in die DDR zurück. Angespannt fuhr er mit Präsident Rees und dessen Frau Helen weit südwärts bis nach Görlitz. Dort betraten sie ein altes Lagerhaus, das aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges noch von Einschüssen übersät war. Sie hatten ihren Besuch nicht angekündigt. Im ersten Stock hatten sich 200 Mitglieder der Kirche versammelt. Bei dieser Versammlung hatte Elder Monson eines der inspirierendsten Erlebnisse seines Lebens.
Den Botschaften der Redner entnahm Elder Monson ein tiefes Verständnis vom Evangelium, und einen so begeisterten Gesang, der den Raum mit Glauben und Hingabe erfüllte, hatte er nie zuvor vernommen. Diese Mitglieder waren Mühsal, Armut und Entbehrungen ausgesetzt, und dennoch sah er Widerstandskraft, Hoffnung und Glauben. „Ich habe wenige Gemeinden erlebt, die eine so große Liebe zum Evangelium gezeigt haben“, sagte er später.60
Elder Monson freute sich zutiefst über die Glaubenstreue dieser Mitglieder, war jedoch auch besorgt, denn es gab keine Patriarchen, keine Gemeinden oder Pfähle und keine Möglichkeit, die Segnungen des Tempels zu empfangen. Bei der Versammlung stellte er sich ans Rednerpult und verhieß mit Tränen in den Augen: „Wenn Sie den Geboten Gottes treu bleiben, werden Sie alle Segnungen empfangen, derer sich die Mitglieder der Kirche in anderen Ländern erfreuen.“61
In den darauffolgenden Jahren waren Elder Monson und die Führungsverantwortlichen und Mitglieder der Kirche in der DDR unermüdlich bemüht, ihren Teil zur Erfüllung dieser Verheißung beizutragen. Elder Monson kehrte oft zu diesen Heiligen zurück, um sie zu stärken, ihnen Segen zu geben und sie anzuspornen. Henry Burkhardt, der zehn Jahre lang über die Mission Dresden präsidierte, und viele weitere örtliche Führungsverantwortliche der Kirche standen ihm zur Seite. Die Mitglieder fasteten und beteten und beherzigten Elder Monsons Rat, sich an den 12. Glaubensartikel zu halten und die Gesetze des Landes zu achten.
Schritt für Schritt erfüllte sich die Verheißung. 1969 genehmigte die Erste Präsidentschaft, einen Patriarchen in Salt Lake City zu ordinieren und ihn in die DDR reisen zu lassen, um dort Patriarchalische Segen zu geben. Anfang der 70er Jahre gestattete die Regierung einigen wenigen Führungsverantwortlichen der Kirche, das Land für kurze Zeit zu verlassen, um die Generalkonferenz zu besuchen.
Im April 1975 empfing Elder Monson die Eingebung, die DDR solle geweiht werden, damit das Werk beschleunigt werden könne. Auf einer Lichtung mit Blick auf die Elbe kam er mit einigen Führungsverantwortlichen zusammen. In seinem Weihungsgebet flehte er darum, es möge sich für die Mitglieder die Möglichkeit eröffnen, die Segnungen des Tempels zu empfangen. Er betete darum, dass die Menschen für das Evangelium empfänglich sein mögen und dass die Regierung zulassen würde, dass das Werk vorangehe. Auch betete er darum, dass Missionare dort wieder das Evangelium verkünden dürften.62
„Der am meisten benötigte Segen war der Vorzug, dass die würdigen Mitglieder das Endowment empfangen und gesiegelt werden konnten“, erzählte Elder Monson später. „Wir zogen jede Möglichkeit in Betracht. Wir schlugen vor, dass alle Mitglieder einmal im Leben zum Tempel in der Schweiz fahren dürften. Die Regierung lehnte dies ab. Vielleicht konnten die Eltern in die Schweiz fahren und die Kinder daheimlassen? Das war nicht richtig. Wie siegelt man ein Kind an seine Eltern, wenn es nicht mit am Altar knien kann? Es war tragisch.“63
Elder Monson besprach die Umstände und mögliche Lösungen mit der Ersten Präsidentschaft und weiteren kirchlichen Führern in Salt Lake City. Im Frühjahr 1978 sagte ihm Präsident Spencer W. Kimball, der Herr verweigere diesen Mitgliedern die Segnungen des Tempels nicht. Mit einem Lächeln fügte er hinzu: „Sie finden schon einen Weg.“64
Kurz darauf geschah etwas Bahnbrechendes. Henry Burkhardt bemühte sich bei der Regierung weiterhin darum, den Mitgliederfamilien die Reise zum Schweizer Tempel zu gestatten. Da fragte man ihn: „Warum bauen Sie nicht einfach hier einen Tempel?“65 Henry Burkhardt war verblüfft. Dieselbe Regierung, die jahrelang alle religiösen Aktivitäten streng überwacht hatte, genehmigte der Kirche den Bau eines Tempels, den nur Mitglieder mit einem Tempelschein betreten konnten!
Die Kirche nahm das Angebot an, und nach und nach eröffnete der Herr den Weg für den Bau eines Tempels in der DDR. Man kaufte in Freiberg ein Grundstück, und am 23. April 1983 führte Elder Monson beim ersten Spatenstich den Vorsitz. „Es ist das größte aller Wunder!“, verkündete er freudig. „Mein tiefstes Inneres [war] von Freude erfüllt.“66 Etwas über zwei Jahre später, am 29. und 30. Juni 1985, weihte Präsident Gordon B. Hinckley den Freiberg-Tempel und bat Elder Monson, die erste Ansprache zu halten. Später schrieb Elder Monson in sein Tagebuch, was er bei diesem historischen Ereignis empfunden hatte:
„Heute war ein Höhepunkt meines Lebens. … Es fiel mir schwer, beim Sprechen meine Tränen zurückzuhalten, denn ich musste unentwegt daran denken, welch beispielhaften Glauben die treuen Mitglieder in diesem Teil der Welt an den Tag legten. Ständig fragt man, wie die Kirche bloß die Genehmigung eingeholt habe, hinter dem Eisernen Vorhang einen Tempel zu bauen. Ich denke schlicht, durch den Glauben und die Treue unserer Heiligen der Letzten Tage dort wurde die Hilfe des allmächtigen Gottes hervorgebracht und ihnen wurden die ewigen Segnungen zuteil, die sie so sehr verdient hatten.“67
Am Abend nach der Weihung dachte Elder Monson über sein geistliches Wirken in der DDR nach. 17 Jahre waren seit seinem ersten Besuch vergangen und zehn Jahre seit seinem Weihungsgebet, und mit der Weihung eines Tempels war nun ein Höhepunkt erreicht. Obwohl er bei „einem der historischsten und von Glauben erfülltesten Kapiteln in der Geschichte der Kirche“ eine wesentliche Rolle gespielt hatte, schrieb er: „Alle Ehre und Herrlichkeit gebührt dem Vater im Himmel, denn nur dank seines göttlichen Eingreifens sind diese Ereignisse zustande gekommen.“68
1982 war in Freiberg der erste Pfahl in der DDR gegründet worden. Zwei Jahre später gründeten Elder Monson und Elder Robert D. Hales in Leipzig den zweiten. Jetzt gehörten alle Mitglieder der Kirche in diesem Land zu einem Zionspfahl.
Eine Segnung musste sich jedoch noch erfüllen: dass Missionare aus anderen Ländern in der DDR das Evangelium verkünden durften und dass Missionare von dort in andere Länder berufen werden konnten. 1988 bat Präsident Monson den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker persönlich um Genehmigung.
Honecker teilte Präsident Monson und dessen Begleitern mit: „Wir wissen, dass Mitglieder Ihrer Kirche der Arbeit große Bedeutung beimessen; das haben Sie unter Beweis gestellt. Wir wissen, dass bei Ihnen die Familie einen hohen Stellenwert hat; das haben Sie gezeigt. Wir wissen, dass Sie in jedem Land, in dem Sie leben, gute Staatsbürger sind; das haben wir beobachtet. Jetzt haben Sie das Wort. Sagen Sie uns, was Sie sich wünschen.“69
Unter anderem dankte Präsident Monson ihm, dass sie den Freiberg-Tempel hatten bauen dürfen. Er berichtete, fast 90.000 Besucher seien zu den Tagen der offenen Tür gekommen und Zehntausende weitere zu den Tagen der offenen Tür für die neuen Gemeindehäuser in Leipzig, Dresden und Zwickau. „Diese Menschen möchten wissen, woran wir glauben“, sagte er. „Wir würden ihnen gern sagen, dass wir glauben, dass es recht ist, das Gesetz des Landes zu ehren, es zu befolgen und dafür einzutreten. Wir würden den Menschen gern erklären, warum wir uns für starke Familien einsetzen. Das sind nur zwei unserer Glaubensgrundsätze.“
Dann erklärte Präsident Monson, dass dafür Missionare notwendig seien, und fuhr fort: „Die jungen Männer und Frauen, die wir gern als Missionare hierherschicken möchten, würden Ihr Land und Ihr Volk lieben. Insbesondere würden Sie auf Ihre Bürger einen Einfluss ausüben, der bessere Menschen aus ihnen macht.“
Präsident Monsons letzte Bitte lautete: „Wir würden auch gern junge Männer und Frauen aus Ihrem Land, die Mitglieder unserer Kirche sind, als Missionare in den Vereinigten Staaten und Kanada und in einer Vielzahl anderer Länder sehen.“ Er verhieß, dass diese Missionare nach ihrer Heimkehr „besser auf verantwortungsvolle Tätigkeiten in Ihrem Land vorbereitet sein“ würden.
Nachdem Präsident Monson seine Anliegen vorgetragen hatte, sprach Erich Honecker etwa eine halbe Stunde. Präsident Russell M. Nelson, der ebenfalls anwesend war, berichtete, alle seien sehr gespannt gewesen, was Honecker dazu sagen würde.70 Schließlich sagte dieser: „Wir kennen Sie. Wir vertrauen Ihnen. Wir haben gute Erfahrungen mit Ihnen gemacht. Ihrem Antrag bezüglich der Missionare wird stattgegeben.“ Präsident Monson erzählte, diese Worte hätten seinen „Geist beflügelt, als könne er die Decke des Raumes durchdringen.“71
Im März 1989 kamen – zum ersten Mal seit 50 Jahren – Vollzeitmissionare von außerhalb der DDR ins Land. Im Mai 1989 trafen die ersten zehn Missionare aus der DDR in der Missionarsschule in Provo ein. Seitens der DDR-Regierung gab es keine Einschränkungen, in welchem Gebiet diese Missionare eingesetzt werden konnten.72
In einem Zeitraum von 20 Jahren war es zu vielen Wundern gekommen, und die Verheißungen, die Elder Monson 1968 in einem alten Lagerhaus gemacht hatte, sowie die Segnungen, um die er 1975 bei der Weihung der DDR gebetet hatte, hatten sich dadurch erfüllt. Jahre später schrieb er über diese Segnungen in sein Tagebuch: „Ich habe aus eigener Erfahrung gelernt, dass die äußerste Not des Menschen Gott Möglichkeiten eröffnet. Ich bin ein lebendiger Zeuge dafür, wie sich die Hand des Herrn kundgetan und über die Mitglieder der Kirche in ehemals sozialistischen Ländern gewacht hat.“73
Neue Ausgaben der heiligen Schriften
Als Elder Monson Jugendlicher war, unterwies ein Mitglied der Pfahlpräsidentschaft die in einer Abendmahlsversammlung Versammelten aus Lehre und Bündnisse, Abschnitt 76, und zwar dergestalt, dass im jungen Tom das Verlangen geweckt wurde, sich selbst mit den heiligen Schriften zu befassen. Seine Führer im Aaronischen Priestertum beschrieb er als weise, geduldige Männer, die die Jungen Männer mithilfe der heiligen Schriften unterrichteten. Auch sie trugen dazu bei, dass ihm die heiligen Schriften ans Herz wuchsen.74 Eine Sonntagsschullehrerin, Lucy Gertsch, „brachte zum Unterricht Ehrengäste wie Mose, Josua, Petrus, Thomas, Paulus und natürlich Jesus mit. Obwohl wir sie nicht sahen, lernten wir doch, sie zu lieben, zu ehren und ihnen nachzueifern.“75
Auch sein Wirken als Bischof und seine berufliche Laufbahn im Druckwesen vertieften seine Liebe zu den heiligen Schriften. Er hatte den Eindruck, ein besseres Verständnis der heiligen Schriften würde ihm als Bischof helfen, also las er im ersten Jahr seiner Amtszeit die gesamten heiligen Schriften durch. Bei der Deseret News Press „bestand die größte Aufgabe darin, Bestellungen für das Buch Mormon aufzugeben.“76 Diese Erfahrungen mit den heiligen Schriften sollten ihn auf einen einzigartigen Auftrag vorbereiten, den er als Mitglied des Kollegiums der Zwölf Apostel erhielt.
1972 ernannte Präsident Harold B. Lee Elder Monson zum Vorsitzenden des Komitees für Studienhilfen zur Bibel, das sich damit befassen sollte, wie man das Schriftstudium der Mitglieder verbessern könne. Später wurde daraus das Komitee für heilige Schriften. Es erhielt den Auftrag, für die heiligen Schriften neue Ausgaben auszuarbeiten, die zu einem effektiveren Schriftstudium beitragen würden. Dies war ein langes, aufwändiges Unterfangen, dem sich das Komitee sowie, unter dessen Leitung, über 100 Wissenschaftler, Computerspezialisten und weitere Experten stellen mussten.
Eine gewaltige Aufgabe waren die Fußnoten, die Querverweise aus allen vier Standardwerken enthalten sollten: der Bibel, dem Buch Mormon, dem Buch Lehre und Bündnisse und der Köstlichen Perle. Eine weitere enorme Aufgabe betraf die von der Kirche herausgegebene Ausgabe der King-James-Bibel: Man erstellte einen Schriftenführer mit über 2800 Evangeliumsthemen samt Querverweisen aus den vier Standardwerken. Außerdem enthielt die neue Ausgabe das Bible Dictionary – ein Wörterbuch zur Bibel – sowie Auszüge aus der Joseph-Smith-Übersetzung der Bibel. Man verfasste neue Kapitelüberschriften mit einem stärkeren Fokus auf die Lehre und fügte 24 Seiten mit Landkarten hinzu.
Diese neue Ausgabe der Bibel erschien 1979. Elder Monson nannte sie den „vielleicht bedeutendsten Fortschritt zum besseren Verständnis der heiligen Schrift in der Kirche in den letzten 100 Jahren“. Weiter sagte er, das „revolutionäre System der Fußnoten, die auf die anderen Standardwerke verweisen“, sowie der Schriftenführer würden diese Bibel „zu einem unvergleichlichen Nachschlagewerk“ machen.77
Zwei Jahre darauf erschienen neue Ausgaben des Buches Mormon, des Buches Lehre und Bündnisse und der Köstlichen Perle auf Englisch. Diese Ausgaben enthielten Fußnoten, Einführungen, Kapitelüberschriften, Abschnittsüberschriften, Zusammenfassungen von Versen sowie ein erweitertes Stichwortverzeichnis mit Querverweisen zu allen drei heiligen Schriften. Dem Buch Lehre und Bündnisse wurden zwei neue Abschnitte hinzugefügt (137 und 138) sowie die Amtliche Erklärung 2.
Während der gesamten Zeit der Zusammenstellung dieser neuen Ausgaben verspürte Elder Monson die leitende Hand Gottes. Menschen mit den nötigen Fähigkeiten kamen gerade zur rechten Zeit – genau wie neue Computertechnologien. „Während die Arbeit voranging, öffnete der Herr uns immer, wenn es nötig war, zahlreiche Türen“, erzählte er. „Im Stillen geschahen Wunder, die die Arbeit weiter vorantrieben.“78
Elder Monson war zehn Jahre lang Vorsitzender des Komitees für heilige Schriften. Für ihn gehörte diese Aufgabe zu seinen bedeutendsten als Apostel.79 Er hoffte, dass die Mitglieder der Kirche diese neuen Ausgaben der heiligen Schriften samt der verbesserten Studienhilfen auch tatsächlich nutzen und so ihr Schriftstudium vertiefen und ihr Zeugnis stärken würden.
Nachdem die neuen Ausgaben auf Englisch veröffentlicht worden waren, wurde die Übersetzung in andere Sprachen zur hohen Priorität. Bis zum Ende von Präsident Monsons Amtszeit als Präsident der Kirche war das Buch Mormon in 91 Sprachen und Auszüge aus dem Buch in weitere 21 Sprachen übersetzt worden. 2009 erschien die spanische Bibelausgabe der Kirche; Grundlage dafür war die Reina-Valera-Übersetzung.
Ratgeber in drei Ersten Präsidentschaften
Am Morgen des 10. November 1985, einem Sonntag, besuchte Thomas S. Monson ein Seniorenheim, wie er es so oft tat. Er besuchte dort den Gottesdienst und munterte die Bewohner auf. Am Nachmittag kam er im Salt-Lake-Tempel mit den anderen Aposteln zusammen, um nach dem Tod von Spencer W. Kimball die Erste Präsidentschaft neu zu bilden. In dieser Versammlung wurde Ezra Taft Benson zum Präsidenten der Kirche ordiniert und eingesetzt. Er berief Gordon B. Hinckley als Ersten Ratgeber und Thomas S. Monson als Zweiten Ratgeber. Mit 58 Jahren war Präsident Monson das jüngste Mitglied in der Ersten Präsidentschaft seit über 80 Jahren.
Eine von vielen neuen Möglichkeiten, die sich Präsident Monson nun boten, war der Vorsitz bei der Weihung von Tempeln. Etwa zwei Monate nach seiner Berufung in die Erste Präsidentschaft weihte er den Buenos-Aires-Tempel in Argentinien. In seinem Tagebuch hielt er fest: „Unser Herz war berührt und wir konnten die Tränen kaum zurückhalten, als den Mitgliedern der Kirche bewusst wurde, dass die ewigen Segnungen, die der Tempel ermöglicht, endlich in unmittelbarer Reichweite waren.“80
Im Juni 1986 wirkte Präsident Monson bei der Gründung des Pfahles Kitchener in Ontario in Kanada mit, dem 1600. Pfahl der Kirche. Er dachte zurück an seine Zeit als Missionspräsident 26 Jahre zuvor, als in Toronto der 300. Pfahl der Kirche gegründet worden war. Im Jahr darauf kehrte er in den Osten Kanadas zurück zum ersten Spatenstich für den Toronto-Ontario-Tempel, und im August 1990 kehrte er erneut für das „krönende Ereignis“ zurück – die Weihung des Tempels.81
Als Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft berief Präsident Monson außerdem Missionspräsidenten und deren Frauen. Er nahm sich ausgiebig Zeit, jedes Paar kennenzulernen, ihnen mit Rat zur Seite zu stehen und ihnen seine Wertschätzung auszusprechen. So berief er auch den 37-jährigen Neil L. Anderson zum Missionspräsidenten. „Sie sind noch jung“, sagte er zu ihm. „Aber Ihre Jugend darf nie eine Ausrede sein. Joseph Smith war noch jung, und der Erretter war noch jung.“ Als Elder Anderson diese Worte hörte, dachte er nur: „Und Thomas Monson war ebenfalls jung.“82
Am 30. Mai 1994 starb Präsident Ezra Taft Benson nach fast neun Jahren Amtszeit als Präsident der Kirche. Am 5. Juni 1994 wurde die Erste Präsidentschaft neu gebildet, und Präsident Bensons Nachfolger, Howard W. Hunter, berief Gordon B. Hinckley und Thomas S. Monson dazu, weiterhin als Ratgeber tätig zu sein. Präsident Hunter gab sein Bestes, um mit den Mitgliedern zusammenzukommen und sie zu stärken, aber er war in schlechter gesundheitlicher Verfassung und nur neun Monate als Präsident der Kirche tätig, ehe er am 3. März 1995 verstarb.
Am 12. März 1995 kamen die Apostel erneut zusammen, um die Erste Präsidentschaft neu zu bilden. Gordon B. Hinckley wurde zum Präsidenten der Kirche ordiniert und eingesetzt, und er berief Thomas S. Monson und James E. Faust als seine Ratgeber. Präsident Monson diente während Präsident Hinckleys gesamter Amtszeit als dessen Ratgeber und war damit insgesamt 22 Jahre Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft.
Präsident Hinckley reiste mehr als anderthalb Millionen Kilometer und besuchte über 60 Länder. Kein anderer Präsident in der Geschichte der Kirche war mehr gereist. „[Er] kommt mit Mitgliedern der Kirche zusammen, die selten, wenn überhaupt je einmal, einen lebendigen Präsidenten der Kirche zu Gesicht bekommen haben“, berichtete Präsident Monson.83 Während Präsident Hinckley unterwegs war, mussten Präsident Monson und Präsident Faust am Hauptsitz der Kirche einen Großteil der Aufgaben der Ersten Präsidentschaft bewältigen.
Präsident Monson reiste weiterhin zu Regionskonferenzen, Tempelweihungen und sonstigen Veranstaltungen. 1995 weihte er in Görlitz ein Gemeindehaus – 27 Jahre nachdem er die Mitglieder der Kirche dort das erste Mal besucht hatte (siehe Seite 23f.). „Ich war tief im Innersten von Dankbarkeit erfüllt, dass ich miterleben durfte, wie dieses auserwählte Volk durch die Hand des Herrn gesegnet worden ist“, schrieb er in sein Tagebuch.84 Im Jahr 2000 hatte er bei sechs Tempelweihungen den Vorsitz, darunter in Tampico in Mexiko. In dieser Hafenstadt hatte er 28 Jahre zuvor den ersten Pfahl gegründet.
Da Präsident Monson Ratgeber von drei Präsidenten der Kirche gewesen war, hatte er, so Elder Quentin L. Cook, „eine klare Meinung zu wichtigen Themen und reichlich Erfahrung. … Er ist eine starke Persönlichkeit, weswegen er zweifellos stets den allerbesten Rat gibt, den er geben kann. Er legt Wert auf Einigkeit und auf Treue und, wenn es angebracht ist, tut er seine Meinung deutlich kund. … Ist aber eine Entscheidung getroffen, dann steht er auch voll und ganz dahinter. Die Einigkeit der Ersten Präsidentschaft bei allen wichtigen Entscheidungen dient der ganzen Kirche als Beispiel.“85
Präsident der Kirche
Am 27. Januar 2008 stand Präsident Monson am Bett seines lieben Freundes und Führers, Gordon B. Hinckley, und gab ihm einen Priestertumssegen. Seit 1963 waren die beiden insgesamt 44 Jahre lang erst im Kollegium der Zwölf Apostel und später dann in der Ersten Präsidentschaft gemeinsam tätig gewesen. Sie empfanden tiefe Zuneigung und großen Respekt füreinander.
Präsident Hinckley hatte die Kirche fast 13 Jahre lang mit Weitblick, Elan und Inspiration angeführt. Im Januar 2008, er war mittlerweile 97 Jahre alt, konnte er einen Großteil seiner Aufgaben noch erledigen, aber seine Kraft ließ nach. Nach seinem Besuch bei Präsident Hinckley am 27. Januar 2008 schrieb Präsident Monson: „Ich hielt sein Handgelenk und hatte das deutliche Gefühl, dass ich meinen lieben Präsidenten und Freund zum letzten Mal lebend hier auf Erden sah.“86 Am selben Abend verstarb Präsident Hinckley.
„Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich ihn vermisse“, sagte Präsident Monson ein paar Tage später bei der Beerdigung. „Er war unser Prophet, Seher und Offenbarer … Er war die ruhige Insel inmitten der stürmischen See. Er war der Leuchtturm für den verirrten Seemann. Er war Ihr Freund und mein Freund. Er tröstete und beruhigte uns, wenn die Zustände in der Welt beängstigend waren. Er führte uns unbeirrt auf dem Weg, der uns zum himmlischen Vater zurückführen wird.“87
Als dienstältester Apostel spürte Präsident Monson aber auch die Last, die Präsident Hinckleys Tod für ihn bedeutete. Er sagte dazu: „Es war am hilfreichsten für mich, auf die Knie zu gehen und dem Vater im Himmel für mein Leben, für meine Erfahrungen und für meine Familie zu danken und ihn dann geradeheraus zu bitten, vor meinem Angesicht herzugehen, zu meiner rechten Hand zu sein und zu meiner linken und seinen Geist in meinem Herzen und seine Engel rings um mich zu haben, um mich zu stützen [siehe Lehre und Bündnisse 84:88].“88
Am 3. Februar 2008 kamen die Apostel im Salt-Lake-Tempel zusammen und bildeten die Erste Präsidentschaft neu. Bei dieser Versammlung wurde Thomas S. Monson zum Präsidenten der Kirche ordiniert und eingesetzt. Er war der 16., der diese Berufung innehielt. Er hatte gründlich darüber nachgedacht, wer seine Ratgeber sein sollten, und berief, nachdem ihm dies vom Herrn bestätigt worden war, Henry B. Eyring, der nach Präsident Fausts Tod Präsident Hinckleys Zweiter Ratgeber gewesen war, sowie Dieter F. Uchtdorf vom Kollegium der Zwölf Apostel.
Am Tag darauf sprachen Präsident Monson und seine Ratgeber im Bürogebäude der Kirche mit der Presse. Präsident Monson sagte unter anderem:
„Voller Demut stehe ich heute vor Ihnen. Ich bezeuge, dass dieses Werk, in dem wir tätig sind, das Werk des Herrn ist, und ich spüre, wie er mich stützt. Ich weiß, dass er unsere Bemühungen leiten wird, wenn wir ihm voll Glauben und Eifer dienen.
Als Kirche helfen wir nicht nur den Mitgliedern, sondern den guten Menschen in aller Welt, weil wir ja durch den Herrn Jesus Christus spüren, dass wir alle Brüder und Schwestern sind. Ich durfte bereits recht eng mit Würdenträgern anderer Glaubensrichtungen zusammenarbeiten, um für einige der Herausforderungen eine Lösung zu finden, vor denen wir hier als Gesellschaft, aber auch tatsächlich in aller Welt stehen. Diese vereinten Bemühungen werden wir fortführen.“
Er ging auch darauf ein, welche Einigkeit nach ihrer jahrzehntelangen Zusammenarbeit zwischen ihm und Präsident Hinckley geherrscht hatte, und sagte dann: „Wir werden den Kurs, den wir eingeschlagen haben, nicht abrupt verlassen. … Wir werden das fortsetzen, wofür sich diejenigen, die uns vorausgegangen sind, hingebungsvoll eingesetzt haben: das Evangelium zu verkünden, die Zusammenarbeit mit Menschen in aller Welt zu fördern und für das Leben und die Mission unseres Herrn und Erretters, Jesus Christus, Zeugnis abzulegen.“89
Bei der Frühjahrs-Generalkonferenz 2008 bestätigten die Mitglieder der Kirche Präsident Monson in einer feierlichen Versammlung als Propheten, Seher und Offenbarer. Was er den Mitgliedern der Kirche in seiner ersten Ansprache nahelegte, hatte schon zuvor bei seinem geistlichen Wirken im Mittelpunkt gestanden und sollte dies auch weiterhin tun. Er forderte die Mitglieder, die nicht mehr zur Kirche kamen, dazu auf, zurückzukommen und sich erneut der Gemeinschaft in der Kirche zu erfreuen. Er wies darauf hin, dass der Erretter uns ein Beispiel gab und Gutes tat, und fügte hinzu: „Mögen wir diesem vollkommenen Beispiel folgen.“ Er spornte die Mitglieder der Kirche an, „allen Menschen überall freundlich und respektvoll zu begegnen“. Außerdem forderte er sie auf, ihr Zuhause zu einer Zufluchtsstätte zu machen, „wo Gottes Geist wohnen kann, … wo Liebe herrscht“.
Er bat die Mitglieder, die sich umgeben wähnen „von Schmerz, weil ein Herz gebrochen ist, von Enttäuschung, weil ein paar Träume geplatzt sind, und von Verzweiflung, weil die Hoffnung geschwunden ist“, sich glaubensvoll an den Vater im Himmel zu wenden. „Er wird Sie aufrichten und Sie führen“, verhieß Präsident Monson. „Nicht immer wird er Ihre Bedrängnisse von Ihnen nehmen, aber er wird Sie trösten und in Liebe durch jeden Sturm führen, dem Sie ausgesetzt sind.“90
Tempel – Leuchtfeuer für die Welt
Präsident Monson sagte oft, „dass kein von der Kirche errichtetes Bauwerk wichtiger [sei] als der Tempel.“91 Da viele Segnungen für die Lebenden und die Verstorbenen nur im Tempel empfangen werden können, war es sein Wunsch, dass diese heiligen Bauwerke für die Mitglieder so gut zu erreichen seien wie möglich. Nur im Tempel, sagte er, könne man die krönenden Segnungen der Mitgliedschaft in der Kirche Christi empfangen.92
Insbesondere war es Präsident Monson ein Anliegen, dass die Mitglieder die heiligen Handlungen des Tempels empfangen, durch die „Beziehungen gesiegelt werden, damit sie in alle Ewigkeit fortbestehen können.“93 Auch betonte er, wie wichtig die Arbeit sei, die im Tempel für die Verstorbenen vollzogen wird. Er verkündete, Gott beschleunige sein Werk in der Geisterwelt, und er rief die Mitglieder der Kirche dazu auf, nach ihren verstorbenen Verwandten zu forschen und dann in den Tempel zu gehen und die heiligen Handlungen stellvertretend für sie durchzuführen.94 Präsident Monson verkündete ferner, der Tempel sei ein Ort der Zuflucht, wo die Mitglieder Führung vom Himmel und Ruhe vor den Stürmen des Lebens empfangen können sowie die Kraft, Prüfungen zu ertragen und Versuchungen zu widerstehen.
Als Präsident Monson 1963 als Apostel berufen wurde, befanden sich zwölf Tempel der Kirche in Betrieb. Als Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft trug er dazu bei, den Tempelbau bedeutend schneller voranzubringen. Als er 2008 Präsident der Kirche wurde, gab es 124 Tempel. Während seiner Amtszeit als Präsident der Kirche brachte er den Tempelbau weiterhin rasch voran und kündigte insgesamt 45 neue Tempel in 21 Ländern an. Eine Woche nach seiner Einsetzung als Präsident der Kirche weihte er den Rexburg-Idaho-Tempel, den ersten von 46 Tempeln, die im Laufe seiner Präsidentschaft geweiht oder neu geweiht wurden. 19 dieser Tempel weihte er selbst, darunter auch den Kiew-Tempel in der Ukraine – den ersten Tempel in einem Land der ehemaligen Sowjetunion.
Präsident Monson erklärte, mit dem Tempel seien auch immer gewisse Opfer verbunden, und er verhieß den Mitgliedern der Kirche, sie würden für eine solche Opferbereitschaft gesegnet werden. Für einige, sagte er, könne das Opfer „darin bestehen, Ihr Leben in Einklang zu bringen mit den Bedingungen für einen Tempelschein.“95 Für andere könne das „Opfer darin bestehen, dass Sie sich trotz vieler Verpflichtungen die Zeit nehmen, regelmäßig in den Tempel zu gehen.“96 Er forderte die Mitglieder dazu auf, wo dies möglich sei, häufig in den Tempel zu gehen, und sagte eindringlich: „Meine lieben Brüder und Schwestern, mögen wir jedes Opfer bringen, das erforderlich ist, um in den Tempel zu gehen.“97
Missionsarbeit
Bei der Herbst-Generalkonferenz 2012 gab Präsident Monson etwas Bedeutendes bekannt: Die Altersgrenze für junge Männer und junge Frauen, die für eine Vollzeitmission in Frage kommen, werde gesenkt. Würdige, fähige junge Männer konnten von nun an „ab dem Alter von 18 Jahren für den Missionsdienst empfohlen … werden, anstatt ab 19 Jahren“, würdige, fähige junge Frauen mit dem Wunsch, auf Mission zu gehen, „ab dem Alter von 19 Jahren anstatt ab 21 Jahren.“98
„Es war nicht zu leugnen, dass an diesem Tag eine Ausschüttung des Geistes erfolgte“, sagte Elder Neil L. Andersen vom Kollegium der Zwölf Apostel in Bezug auf diese Bekanntmachung. Bei der Frühjahrs-Generalkonferenz 2013 berichtete er, viele hätten diese neue Möglichkeit unverzüglich ergriffen:
„Am Donnerstag nach der Konferenz hatte ich den Auftrag, der Ersten Präsidentschaft Missionsberufungen vorzuschlagen. Ich war erstaunt, die Anträge von 18-jährigen jungen Männern und 19-jährigen jungen Frauen zu sehen, die ihre Pläne bereits geändert hatten. Sie hatten den Arzt aufgesucht, bereits mit dem Bischof und dem Pfahlpräsidenten gesprochen und ihre Missionspapiere eingereicht – und das alles in nur fünf Tagen. Inzwischen sind noch mehrere Tausend dazugekommen.“99
Sechs Monate nach dieser Bekanntmachung sagte Präsident Monson: „Die Resonanz unter den jungen Leuten war bemerkenswert und inspirierend.“ Die Anzahl der Missionare sei von 59.000 auf über 65.000 angestiegen, und weitere 20.000 hätten ihre Berufung bereits erhalten.100 Die Anzahl stieg auch weiterhin und erreichte 2014 mit 88.000 Missionaren einen Höhepunkt.101 Dann sank die Anzahl wieder, nachdem die erste Welle von Missionaren wieder heimgekehrt war. Ende 2017 gab es etwa 68.000 Missionare in aller Welt.
Unter Präsident Monson stieg auch die Anzahl an Missionaren im Kirchendienst von 12.000 im Jahr 2008 auf über 33.000 zum Ende seiner Amtszeit. Missionare im Kirchendienst unterstützen alle Abteilungen der Kirche, darunter Wohlfahrtseinrichtungen, den Bereich Familiengeschichte, Missionsbüros, Freizeitcamps und viele weitere Bereiche.
Hilfe für Bedürftige
Sich der Bedürftigen anzunehmen, war schon immer ein Schwerpunkt in der Kirche Jesu Christi. Der Prophet Joseph Smith hat gesagt: „[Ein Mitglied der Kirche] soll die Hungrigen speisen, die Nackten kleiden, für die Witwen sorgen, die Tränen der Waisen trocknen, die Bedrängten trösten, wo auch immer er sie findet – ob in dieser Kirche, irgendeiner anderen oder in überhaupt keiner Kirche.“102 Präsident Monsons Leben, seine Aussagen und sein Führungsstil spiegelte diese Worte wider. „Schon in sehr jungen Jahren entwickelte ich starkes Mitgefühl für die Bedürftigen, unabhängig von deren Alter und Umständen“, erklärte er.103
1936 hatte die Erste Präsidentschaft ein Wohlfahrtsprogramm bekanntgegeben, damit für Bedürftige gesorgt werde. Zu dieser Zeit waren sehr viele Menschen wegen der Weltwirtschaftskrise arbeitslos und verarmt. Beim Wohlfahrtsprogramm der Kirche ging es um die Anwendung ewiger Grundsätze – wie Arbeit, Eigenständigkeit, kluger Umgang mit Geld, Vorsorge und Dienst am Nächsten – auf aktuelle Gegebenheiten.104 Die Umsetzung dieser Grundsätze zielt sowohl auf unmittelbare Bedürfnisse als auch auf das langfristige geistige und körperliche Wohlergehen eines jeden ab und ist ein Segen für den, der gibt, und für den, der empfängt.
In seiner Amtszeit als Bischof von 1950 bis 1955 sah Präsident Monson mit eigenen Augen, dass durch das Wohlfahrtsprogramm der Kirche schmerzhafter Hunger gestillt und verzweifelte Not gelindert werden konnten. Dieses Programm, erklärte er, „ist von Gott, dem Allmächtigen, inspiriert. Der Herr Jesus Christus ist wahrhaftig dessen Urheber.“105 Er selbst lernte die Grundsätze der Wohlfahrt von Lehrern, die, wie er sagte, vom Himmel gesandt worden seien. Einmal las ihm J. Reuben Clark von der Ersten Präsidentschaft aus dem Neuen Testament die Begebenheit von der Witwe von Naïn vor. Dann schloss er die Bibel und sagte unter Tränen: „Tom, sei zu den Witwen gütig. Nimm dich der Armen an.“106 (Siehe Lukas 7:11-15.) Präsident Monson nahm sich diese Worte zu Herzen.
In seinen 22 Jahren als Mitglied des Kollegiums der Zwölf Apostel und den 22 Jahren als Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft war er im Bereich Wohlfahrt eine treibende Kraft, damit noch mehr Menschen vom Wohlfahrtsprogramm der Kirche profitieren konnten. Er hatte auch maßgeblichen Einfluss darauf, dass diese Arbeit noch weiter ausgestaltet wurde. „Wir als Kirche erhalten weiterhin göttliche Führung [in den Belangen der Wohlfahrt], so wie die Umstände es erfordern“, erklärte er. „Wir haben die Programme und Abläufe, wie die Grundsätze der Wohlfahrt umgesetzt werden, verändert, und sie werden wahrscheinlich auch weiterhin von Zeit zu Zeit an veränderte Bedürfnisse angepasst. Die ihnen zugrundeliegenden Grundsätze ändern sich jedoch nicht. Sie werden sich auch nicht verändern, denn dabei handelt es sich um offenbarte Wahrheiten.“107
1981 verkündete Präsident Spencer W. Kimball, die Mission der Kirche gliedere sich in drei Bereiche: die Verkündigung des Evangeliums, die Vervollkommnung der Heiligen und die Erlösung der Toten.108 Präsident Monson wollte „die Sorge für die Armen und Bedürftigen“ als vierten Bestandteil der Mission der Kirche hinzufügen, was die Erste Präsidentschaft 2008 genehmigte und mit der Veröffentlichung eines neuen Handbuchs im Jahr 2010 offiziell machte.109 Diese vier großen Bereiche wurden in dem neuen Handbuch nicht mehr als „Mission“ der Kirche bezeichnet, sondern als „von Gott vorgegeben[e] Aufgabenbereiche.“110
Dieser neue Schwerpunkt hatte weitreichende Auswirkungen. Großzügig folgten die Mitglieder der Kirche dem Aufruf und leisteten bei groß angelegten humanitären Hilfsprojekten Unterstützung. Daher konnte die Kirche unter Präsident Monson die humanitäre Hilfe mehr als verdoppeln. Diese Hilfen umfassten die Trinkwasserversorgung für mehrere Millionen Menschen, die Bereitstellung von Rollstühlen für Hunderttausende sowie augenärztliche Versorgung zur Vorbeugung von Erblindung sowie Behandlung bei Blindheit. Auch die Versorgung von Müttern und Neugeborenen, Impfkampagnen, medizinische Schulungen sowie die Bereitstellung von Lebensmitteln und Kleidung, medizinischem Bedarf und Schulmaterial gehörten dazu.111
„Ich bin sehr dankbar, dass wir als Kirche auch weiterhin humanitäre Hilfe leisten, wo große Not herrscht“, sagte Präsident Monson. „Wir haben in dieser Hinsicht schon viel unternommen und damit Abertausenden Kindern unseres himmlischen Vaters Gutes getan, die nicht unserer Kirche angehören, und ebenso unseren Mitgliedern. Wir sind entschlossen, auch weiterhin zu helfen, wo es gebraucht wird.“112
Unter Präsident Monsons Führung leistete die Kirche in bedeutendem Umfang Katastrophenhilfe. Er sagte diesbezüglich zu den Mitgliedern der Kirche: „Sie [erlauben] der Kirche mit Ihren Spenden, beinahe augenblicklich zu reagieren, wenn sich irgendwo auf der Welt eine Katastrophe ereignet. Wir gehören fast immer zu den Ersten, die an Ort und Stelle sind, und wir helfen, wo wir können.“113
Beispielsweise berichtete er von den Hilfsmaßnahmen der Kirche nach dem Erdbeben in Haiti 2010, bei dem Hundertausende verletzt worden oder ums Leben gekommen waren: „Keine Stunde nach dem Erdbeben … reagierte die Kirche und schickte unverzüglich Hilfsgüter los. Wir stellten Trinkwasser, Lebensmittel, medizinischen Bedarf, Hygienesets und weitere Hilfsgüter zur Verfügung. Wir entsandten Ärzteteams und Krankenschwestern, um dringend benötigte medizinische Versorgung zu leisten.“114
Neben der humanitären Hilfe und der Notfallhilfe, die die Kirche als Organisation leistete, war Präsident Monson auch den Tausenden Mitgliedern dankbar, die ihre Mittel, ihre Zeit und ihre Kenntnisse zur Verfügung stellten, um Menschen in Not zu helfen. In der Eröffnungsansprache bei der Frühjahrs-Generalkonferenz 2011 berichtete er kurz von den vielen Tonnen Hilfsgütern, die die Kirche in Japan nach einem verheerenden Erdbeben und Tsunami bereitgestellt hatte. Einen noch stärkeren Fokus legte er jedoch darauf, wie Einzelne Nothilfe geleistet hatten:
„Unsere jungen Alleinstehenden haben ihre Zeit geopfert, um über das Internet, soziale Medien und andere moderne Kommunikationsmittel vermisste Mitglieder ausfindig zu machen. Die Mitglieder liefern mit von der Kirche gestellten Motorrollern Hilfsgüter in Gebiete, die mit dem Auto schwer zu erreichen sind. In mehreren Pfählen und Gemeinden in Tokio, Nagoya und Osaka werden im Rahmen von Dienstprojekten Pakete mit Hygieneartikeln und Putzzeug zusammengestellt. Bislang sind von über 4000 unentgeltlich tätigen Helfern über 40.000 Arbeitsstunden geleistet worden.“115
Während Thomas S. Monsons Amtszeit als Präsident der Kirche leisteten die Mitglieder ehrenamtlich durchschnittlich 7 Millionen Arbeitsstunden pro Jahr in Wohlfahrtseinrichtungen. Jedes Jahr halfen durchschnittlich etwa 10.000 Freiwillige auf unterschiedlichste Art in aller Welt. Auch leistete die Kirche Notfallhilfe bei unzähligen Katastrophen, wie etwa bei Erdbeben, Tornados, Hurrikans, Tsunamis, Bränden, Überschwemmungen, Hungersnöten und Flüchtlingskrisen – und das jedes Jahr in bis zu 89 Ländern.116
Präsident Monson hob auch hervor, es gebe einen weiteren Grundsatz der Wohlfahrt, der betont werden müsse, wenn man Menschen in Not helfen wolle: die Eigenständigkeit. „Eigenständigkeit … untermauert alle übrigen Verhaltensweisen, die der Wohlfahrt dienlich sind“, sagte er. „Sie ist ein wesentliches Element unseres geistigen, aber auch unseres zeitlichen Wohlergehens.“117 2012 genehmigte die Erste Präsidentschaft für Länder außerhalb Nordamerikas eine Initiative zur Eigenständigkeitsförderung. Einzelnen und Familien sollte dadurch geholfen werden, eine bessere Bildung oder Ausbildung zu erhalten und eine bessere Arbeitsstelle zu finden. Die Teilnehmer sollten lernen können, wie man ein Unternehmen gründet und ausbaut und wie man mit seinen Geldmitteln besser zurechtkommt. Innerhalb von vier Jahren nahmen über 500.000 Mitglieder der Kirche in über 100 Ländern an der Initiative teil.118 Die Initiative zur Eigenständigkeitsförderung war so erfolgreich, dass die Erste Präsidentschaft sie 2015 auch für Nordamerika genehmigte.
Frances, eine treue Gefährtin
„Ich danke meinem Vater im Himmel für meine liebe Frau, Frances“, sagte Thomas S. Monson bei der Generalkonferenz, bei der er als Präsident der Kirche bestätigt wurde. „Ich hätte mir keine treuere, liebevollere und verständnisvollere Gefährtin wünschen können.“119
Keine zwei Jahre nachdem er und Frances geheiratet hatten, begann mit seiner Berufung als Bischof für Thomas S. Monson die schwere Aufgabenlast in der Kirche. Im Laufe seines Lebens wurden seine Aufgaben immer größer und verlangten auch Schwester Monson einiges ab. Sie unterstützte ihn aber gern. „‚Es war nie ein Opfer für mich, dass mein Mann im Werk des Herrn tätig war“, sagte sie. „Es war ein Segen für mich und auch für unsere Kinder.“120
Präsident Monson war sich dieser Glaubenstreue bewusst. „Frances hat mich stets unterstützt und ermutigt“, sagte er dankbar.121 Wenn er im Auftrag der Kirche unterwegs war, blieb er manchmal sehr lange fort, und Frances musste sich alleine um die Kinder kümmern. „Seit ich mit 22 Jahren als Bischof berufen wurde, haben wir selten den Luxus genossen, in einer Versammlung der Kirche nebeneinander zu sitzen“, meinte Präsident Monson.122 Zudem bemerkte er: „Bei jeder Berufung habe ich in [meiner Frau] ständig neue Fähigkeiten und Talente entdeckt.“123
Ann, die Tochter von Thomas und Frances Monson, berichtete, dass ihre Mutter die Familie führte, wenn ihr Vater im Dienst der Kirche unterwegs war:
„Mein Vater besuchte oft die Missionen in aller Welt. … Meine Mutter hat uns immer klargemacht, er erfülle seine Pflicht und wir würden behütet und beschützt, während er fort war. Das hat sie uns nicht nur mit Worten vermittelt, sondern auch durch ihre ruhige Art, mit der sie sicherstellte, dass stets alles, was anfiel, erledigt wurde. … Wenn ich über die vielen Segnungen nachdenke, die mir als Tochter eines Apostels des Herrn zuteilgeworden sind, stellt für mich die Frau, die er geheiratet hat – meine Mutter nämlich –, das größte Geschenk und die bedeutendste Segnung dar.“124
In ihren letzten Lebensjahren hatte Schwester Monson große gesundheitliche Beschwerden. Präsident Monson gab sein Bestes, sie zu versorgen, bis sie am 17. Mai 2013 im Alter von 85 Jahren verstarb. Bei der darauffolgenden Generalkonferenz sprach er bewegt über ihren Tod und gab Zeugnis für das ewige Leben:
„Sie war die Liebe meines Lebens, meine engste Vertraute, meine beste Freundin. Zu sagen, dass ich sie vermisse, spiegelt nicht annähernd wider, was ich empfinde. …
Ganz besonders tröstlich waren mir in dieser Zeit wehmütigen Abschiednehmens mein Zeugnis vom Evangelium Jesu Christi und das Wissen, dass meine liebe Frances immer noch lebt. Ich weiß, dass wir nur vorübergehend voneinander getrennt sind. Wir wurden im Haus Gottes aneinander gesiegelt – von jemandem, der die Vollmacht hatte, uns auf Erden und im Himmel zu binden. Ich weiß, dass wir eines Tages wieder vereint sein werden und dann nie wieder getrennt werden. Dieses Wissen hält mich aufrecht.“125
Die Kirche breitet sich aus
„Die Kirche wächst beständig weiter und ändert Jahr für Jahr das Leben von immer mehr Menschen“, verkündete Präsident Monson in der Eröffnungsansprache bei der Herbst-Generalkonferenz 2013.126 Als er Präsident der Kirche wurde, gab es 13,2 Millionen Mitglieder der Kirche. In seiner Zeit als Präsident der Kirche wuchs diese stetig, und die Anzahl der Mitglieder stieg auf 16 Millionen, die Anzahl der Pfähle von 2791 auf 3322 und die Anzahl der Tempel von 124 auf 159. In 21 Ländern wurde in dieser Zeit der erste Pfahl gegründet, was eine weitere Dimension des Wachstums der Kirche aufzeigt.
Präsident Monson hob hervor, das Wachstum der Kirche erfordere den Dienst, die Opferbereitschaft und das gute Beispiel ihrer Mitglieder. „Wir sind … zu dieser Zeit auf die Erde gesandt [worden], um dabei mitzuwirken, dieses großartige Werk zu beschleunigen“, sagte er.127 Er betonte auch, wie wichtig das Wachstum und der Fortschritt eines jeden Mitglieds seien.
Sein Zeugnis von Jesus Christus
„Sehen Sie die Güte in diesen Augen. Sehen Sie den freundlichen Gesichtsausdruck. In schwierigen Situationen sehe ich oft zu diesem Bild und frage mich: ‚Was würde er tun?‘ Und dann versuche ich, demgemäß zu handeln.“128 Präsident Monson unterhielt sich gerade mit Elder Jeffrey R. Holland über sein Lieblingsgemälde vom Heiland, gemalt von Heinrich Hofmann, das an der Wand direkt gegenüber seines Schreibtisches hing. „Es gibt mir Kraft, wenn es in der Nähe ist.“
Schon als Bischof hatte Präsident Monson in seinem Büro im alten Versammlungsgebäude der Gemeinde 6/7 einen Druck dieses Gemäldes. Später als Missionspräsident nahm er das Bild nach Kanada mit. Derselbe Druck hing auch in seinem Büro, als er zum Apostel berufen worden war, und er nahm ihn bei jedem Bürowechsel mit, bis das Bild schließlich in dem Büro hing, das er als Präsident der Kirche nutzte. „Ich habe versucht, mein Leben am Beispiel des Meisters auszurichten“, erklärte Präsident Monson Elder Holland. „Immer wenn ich … abwägen musste, einen Segen zu geben, um den man mich bat, oder den schier endlosen Papierkram abzuarbeiten, habe ich das Bild angesehen und mich gefragt: ,Was würde er wohl tun?‘“ Mit einem Lächeln fügte er hinzu: „Ich kann Ihnen versichern, dass ich mich nie dafür entschied, dazubleiben und Papierkram zu erledigen.“129
Auch wenn eine schwierige Entscheidung anstand, half das Gemälde Präsident Monson, seinen Blickwinkel zu erweitern. „Auf der einen Seite steht Barmherzigkeit“, überlegte er immer, „auf der anderen Seite steht Gerechtigkeit. Was wiegt wohl schwerer?“ Er betrachtete das Gemälde und dachte darüber nach, was der Erretter wohl tun würde. Für gewöhnlich entschied er sich dann für Barmherzigkeit.130
„Das Gemälde … ist nicht nur eine Erinnerung daran, wer der ‚Eckstein‘ (Epheser 2:20) der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage ist“, so Elder Holland. „Es sagt nicht nur aus, dass der Mann, der als Präsident der Kirche berufen ist, das Oberhaupt der lebendigen Zeugen des Erlösers sein soll. Vielmehr stellt das Gemälde ein Ideal dar – den Meister, nach dem Thomas Monson sein Leben ausgerichtet hat. ,Dieses Bild bedeutet mir sehr viel‘, sagte Präsident Monson, als er es erneut betrachtete.“131
Mehr als fünf Jahrzehnte lang legte Präsident Monson in aller Welt Zeugnis für die göttliche Mission des Erretters ab. Außerdem spiegelte sein Leben dieses Zeugnis wider. Er richtete sein Leben nach einer Schriftstelle aus, die er gerne zitierte, wenn er andere dazu anhielt, noch treuere Jünger zu sein: Genau wie der Erretter zog auch er umher und tat Gutes (siehe Apostelgeschichte 10:38). Es ging ihm immer darum, anderen zu helfen, Glauben an Jesus Christus zu entwickeln, damit sie die mit diesem Glauben einhergehenden Segnungen empfangen können, nämlich Trost, Friede, Kraft, Hoffnung, Freude und Erhöhung.
Ein paar Monate bevor Thomas S. Monson Präsident der Kirche wurde, bezeugte er:
„Mit ganzem Herzen und aller Inbrunst meiner Seele erhebe ich als besonderer Zeuge meine Stimme zum Zeugnis und verkünde, dass Gott lebt. Jesus ist sein Sohn, der Einziggezeugte des Vaters im Fleisch. Er ist unser Erlöser, er ist unser Mittler beim Vater. Er ist am Kreuz gestorben, um für unsere Sünden zu sühnen. Er war der Erste, der auferstand. Weil er starb, werden alle wieder leben. ‚Welch Trost mir die Erkenntnis gibt: Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!‘ [„Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“, Gesangbuch, Nr. 85.]“132
Sein Auftrag vom Herrn ist erfüllt
Thomas S. Monson war fast zehn Jahre Präsident der Kirche, bis er am 2. Januar 2018 im Alter von 90 Jahren verstarb. Er war im Kollegium der Zwölf Apostel, als Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft und als Präsident der Kirche insgesamt 54 Jahre tätig gewesen. Nur vier Männer hatten in diesen Ämtern eine längere Amtszeit erfüllt. „[Er hatte] Einfluss auf das Leben von Millionen Menschen in aller Welt“, sagte Präsident Russell M. Nelson beim Trauergottesdienst für Präsident Monson.133
Von seiner Ordinierung zum Apostel bis zu seiner Amtszeit als Präsident der Kirche war die Anzahl der Mitglieder von 2,1 Millionen auf fast 16 Millionen gestiegen, dennoch diente Thomas S. Monson sein Leben lang dem Einzelnen. Andere forderte er dazu auf, ebenso zu handeln. Präsident Nelson zählte auf, was Präsident Monson diesbezüglich oft sagte:
„Schreiben Sie dem Freund, den Sie vernachlässigt haben.“
„Nehmen Sie Ihr Kind in den Arm.“
„Sagen Sie öfter: ‚Ich hab dich lieb!‘“
„Bedanken Sie sich immer.“
„Nehmen Sie ein Problem, das zu lösen ist, nie wichtiger als einen Menschen, der zu lieben ist.“
Präsident Nelson fuhr fort: „Präsident Monson [war] die Selbstlosigkeit in Person. Er verkörperte die Äußerung des Herrn, der sagte: ,Der Größte von euch soll euer Diener sein.‘ [Matthäus 23:11.] Er verwendete seine Zeit darauf, andere zu besuchen, sie zu segnen und ihnen Liebe zu erweisen. Selbst als es ihm immer schlechter ging, diente er weiterhin seinen Mitmenschen und machte häufig Besuche in Krankenhäusern und Seniorenheimen.“134
Im Auftrag des Herrn unterwegs sein zu wollen, war eine Lebenseinstellung, die Thomas S. Monson als Junge, als Bischof, als Missionspräsident, als Apostel und als Prophet verinnerlichte und umsetzte. „Ich wollte, dass der Herr weiß: Wenn er etwas zu erledigen hat, dann kann er auf Tom Monson zählen“, sagte er.135 „Wo Not herrscht, wo jemand leidet, dort möchte ich sein und die Hand helfend ausstrecken.“136
Ob er nun einen Kranken segnete, einen Jugendlichen rettete, sich um eine Witwe kümmerte, einen Hinterbliebenen tröstete oder die humanitäre Arbeit der Kirche ausweitete – Thomas S. Monson ließ sich vom Beispiel des Erretters und von dessen zahlreichen Aufforderungen, ihm nachzufolgen, leiten. Er erklärte: „Man lernt es zu schätzen, dass der Vater im Himmel weiß, wer man ist, und wenn er sagt: ‚Hier, erledige das für mich.‘ Ich bedanke mich immer bei ihm.“137 Präsident Monson beherzigte derlei Eingebungen – und baute so Brücken zum Herzen der Menschen, auch trug er Glauben, Hoffnung und Nächstenliebe in alle Welt. Der Herr hatte ihn berufen – und er gab ihm auch die nötigen Fähigkeiten.