2000–2009
Kinder können Großes vollbringen
April 2002


Kinder können Großes vollbringen

Jedes Kind braucht regelmäßig die Rückmeldung: „Wir kennen dich. Wir schätzen dich. Du hast großartige Fähigkeiten. Du bist gut.“

Als ich eine junge Mutter war, zogen mein Mann und ich mit unseren fünf Kindern unter acht Jahren nach Südamerika. Keiner von uns sprach Portugiesisch, aber unserer sechsjährigen Tochter fiel es am schwersten, eine neue Sprache zu lernen. Obwohl sie eigentlich in die erste Klasse gehörte, mussten wir sie zusammen mit Vierjährigen in die Vorschule schicken. Wir hofften, dass der Kontakt mit jüngeren Kindern sie weniger einschüchterte und sie dadurch lernen konnte, sich auf Portugiesisch zu verständigen.

Doch meine Tochter war den Kindern ebenso fremd, wie diese ihr fremd waren. Jeder Tag war ein Kampf, und ich litt jeden Morgen mit ihr, wenn ich sie zur Schule brachte und dann wartete, bis sie am Ende des Tages niedergeschlagen zurückkam.

An einem Tag waren ein paar Kinder besonders unfreundlich zu ihr. In der Pause warfen manche sogar mit Steinen nach ihr, schubsten sie herum und lachten sie aus. Sie war verängstigt und verletzt und beschloss, dass sie nicht in die Klasse zurückgehen konnte. Als sich der Schulhof leerte und sie ganz allein dasaß, dachte sie daran, was sie von uns über Einsamkeit gelernt hatte. Sie erinnerte sich, dass der himmlische Vater seinen Kindern immer nahe ist und sie immer mit ihm sprechen konnte, nicht nur vor dem Schlafengehen. Er konnte die Sprache ihres Herzens verstehen. In einer Ecke des Schulhofes neigte sie den Kopf und betete. Sie wusste nicht, wofür sie beten sollte, also bat sie darum, dass ihr Vater und ihre Mutter bei ihr sein konnten, um sie zu beschützen. Als sie zum Klassenzimmer zurückkehrte, fiel ihr ein PV-Lied ein:

Oft laufe ich fröhlich durch blühende Wiesen

und pflücke dort Blumen zur Freude für dich.

Ich suche die schönsten und farbigsten Blüten

und denke dabei, liebe Mutti, an dich.

(„Blumen für Mutti“, Liederbuch für Kinder, Seite 109.)

Als sie die Augen öffnete, sah sie eine kleine Blume, die in den Rissen des Betons wuchs. Sie pflückte sie und steckte sie in die Tasche. Ihre Schwierigkeiten mit den anderen Kindern waren nicht behoben, aber sie ging mit dem Gefühl in die Klasse zurück, dass ihre Eltern bei ihr waren.

Jeder von uns hat sich, wie meine sechsjährige Tochter, schon einmal in einem fremden Land verloren oder fremd gefühlt. Ihr fremdes Land bestand vielleicht darin, dass Sie die Sprache der Algebra oder der Chemie lernen mussten. Vielleicht hatten Sie auch das Gefühl, an einer fremden Küste zu landen, als Sie sich der Kirche angeschlossen haben, auch wenn das in Ihrem Heimatland geschah. Versetzen Sie sich in die Lage eines Neubekehrten. Wörter wie „Berufung“, „Präsidierende Bischofschaft“ oder auch „Generalautorität“ müssen erst einmal erklärt werden.

Und was ist mit unseren Missionaren, die die Einflüsterungen des Heiligen Geistes, dass die Kirche wahr ist, verstanden und angenommen haben, nun aber vor der Herausforderung stehen, gleichzeitig das Evangelium und eine Fremdsprache zu lernen? Ich bewundere ihren Mut.

Wir erleben oft, wie frustrierend es sein kann, eine Fremdsprache zu lernen. Aber es gibt eine Sprache, die jeder versteht. Die Worte „und denke dabei, liebe Mutti, an dich“ sprachen zum Herzen eines kleinen Mädchens. Ein PV-Lied und eine kleine Blume waren die vertraute Sprache, in der ein Gebet beantwortet wurde.

Nachdem Jesus einige Zeit beim Tempel im Land Überfluss gelehrt hatte, bemerkte er, dass die Menschen vielleicht nicht alle seine Worte verstanden hatten. Er bat sie, nach Hause zu gehen und mit ihren Familien nachzudenken und zu beten und sich auf sein Kommen am folgenden Tag vorzubereiten.

Da „ließ er die Augen abermals rings über die Menge gehen und sah, dass ihnen die Tränen herabflossen, und sie blickten ihn unverwandt an, als wollten sie ihn bitten, noch ein wenig länger bei ihnen zu verweilen. …

Und er nahm ihre kleinen Kinder, eines nach dem anderen, und segnete sie. …

Und er redete zur Menge und sprach zu ihnen: Seht eure Kleinen! Und als sie schauten, …

sahen [sie] Engel aus dem Himmel herabkommen, gleichsam inmitten von Feuer; und sie kamen herab und stellten sich im Kreis um die Kleinen, … und die Engel dienten ihnen“ (3 Nephi 17:5,21,23,24).

Jemanden mit dem Feuer unseres Zeugnisses zu umgeben ist eine Sprache, die jeder von uns sprechen und verstehen lernen muss.

Jedes Kind auf der Welt, das die PV besucht, lernt als erste Lektion: „Ich bin ein Kind Gottes“. Selbst Kinder, die gerade einmal 18 Monate alt sind, kennen die Bewegungen dieses Fingerspiels:

Der himmlische Vater kennt mich

und weiß, was mir gefällt.

Er weiß, wie ich heiße und wo ich wohne.

Ich weiß, dass er mich auch lieb hat.

(Primarvereinigung 1: Ich bin ein Kind Gottes, Seite 2.)

Als ich vor einigen Jahren eine sechste Klasse unterrichtete, brachte man mir eines Tages einen 14-jährigen Jungen in die Klasse, der wie ein Mitglied einer Gang gekleidet war. Er war zwei Jahre älter und vier Jahre größer als die übrigen dreißig Schüler. Es stellte sich schnell heraus, dass Brian nicht lesen konnte, nie regelmäßig die Schule besucht hatte und in verschiedenen Städten gelebt hatte, mit immer wieder wechselndem Vormund.

Bald sollten die Zeugnisse ausgestellt werden, und ich ging an meinem freien Tag in die Schule, um die Zeugnisse der Kinder fertig zu stellen. Als ich ins Klassenzimmer kam, um die Unterlagen einzusammeln, sah ich, dass Brian die Klasse in Aufruhr versetzt hatte. Ich schlug meiner dankbaren Kollegin vor, Brian mit mir zu nehmen. Mit ein paar Büchern für Erstklässler, die viele Bilder hatten, machten wir uns auf den Weg zur Bibliothek und unterhielten uns dabei ein bisschen über Football.

Dann setzten wir uns an einen Tisch, und ich begann, die Zeugnisse zu schreiben. Ich fragte ihn, ob er schon einmal ein Zeugnis bekommen hätte.

Er schüttelte den Kopf und sagte „Nein“. Ich fragte ihn, ob er gern ein Zeugnis haben wollte.

Er sah mir in die Augen und antwortete: „Nur, wenn darin etwas Gutes über mich steht.“

Ich schrieb ihm ein besonderes Zeugnis, in dem ich seine Stärken hervorhob. Ich schrieb seinen vollen Namen darauf und berichtete von seiner Fähigkeit, alle einzubeziehen und andere zum Lachen zu bringen. Außerdem erwähnte ich seine Begeisterung für Sport. Es war kein übliches Zeugnis, aber es schien ihm zu gefallen. Bald darauf verschwand Brian wieder von unserer Schule, und ich hörte nur noch, dass er in einem anderen Bundesstaat lebte. Ich hoffte, dass er mein Zeugnis, in dem etwas Gutes über ihn stand, in der Tasche hatte, wo immer er auch war.

Eines Tages werden wir alle ein Abschlusszeugnis erhalten. Vielleicht werden wir dann danach beurteilt, wie sehr wir das Gute in unseren Mitmenschen hervorgehoben haben. Jedes Kind braucht regelmäßig eine Rückmeldung, die ihm versichert: „Wir kennen dich. Wir schätzen dich. Du hast großartige Fähigkeiten. Du bist gut.“

Ich höre so gern Geschichten über die Pionierkinder. Meist hören wir ja über die Eltern, die bis ins Salzseetal gezogen sind. Aber in einem PV-Lied heißt es:

Wenn ich an die Pioniere denk’,

seh’ ich tapfere Menschen vor mir.

Ich denk’ gern daran, dass auch Kinder dabei,

und ich wünschte, die Kinder wären wir.

(„Wenn ich an die Pioniere denk“, Sing mit mir, E-2.)

Susan Madsen erzählt die Geschichte von Agnes Caldwell in der Willie-Handkarrengruppe. Sie gerieten in schwere Stürme, litten Hunger und waren furchtbarer Kälte ausgesetzt. Dann kamen Wagen zu Hilfe, die Essen und Decken brachten, aber es waren nicht genug, um alle Menschen zu transportieren. Selbst nach der Rettung mussten sich die meisten noch viele Meilen zu Fuß weiterschleppen, bis sie im Salzseetal in Sicherheit waren.

Die kleine neunjährige Agnes war zu schwach, um weitergehen zu können. Der Lenker eines Wagens bemerkte, dass sie unbedingt mit dem Wagen Schritt halten wollte und fragte sie, ob sie mitfahren wolle. Sie erzählt selbst, was dann geschah:

„Da griff er nach meiner Hand und schnalzte seinen Pferden zu, so dass ich rennen musste – mit Beinen, die … nicht mehr rennen konnten. So ging es, wie mir schien, viele Meilen lang weiter. Ich dachte damals nur, er sei der gemeinste Mensch, der je gelebt oder von dem ich je gehört hatte … In dem Moment, als die Grenze meiner Belastbarkeit wohl erreicht war, hielt er an [und zog mich in den Wagen]. Er wickelte mich in eine Decke, … so dass ich es warm und bequem hatte. Hier hatte ich genügend Zeit, meine Meinung zu ändern, was ich gewiss auch tat, denn ich wusste nur zu gut, dass er mich dadurch vor Erfrierungen bewahrt hatte, die ich mir sicher zugezogen hätte, wenn er mich gleich in den Wagen genommen hätte.“ (I Walked To Zion, 1994, Seite 59.)

Der Lenker des Wagens brachte das Mädchen dazu, so weit und so schnell es konnte zu rennen, damit das Blut in seine durchgefrorenen Füße und Beine zurückkehrte. Er rettete dem Mädchen die Beine und wahrscheinlich auch das Leben, indem er dafür sorgte, dass es sich selbst half.

Auch unsere Kinder müssen heute eine Reise bewältigen, die so schrecklich und so anstrengend ist wie der Zug nach Westen. Auch sie werden entlang des Wegs mit viel Unheil konfrontiert. Wir müssen ihnen den Rücken stärken, damit sie ihre Last tragen und sich am Leben freuen können. Manchmal müssen wir rennen, um mit dem Glauben unserer Kinder Schritt zu halten.

An einer anderen Stelle im 3. Nephi, als Christus seine Jünger segnete, lächelte „sein Angesicht … über ihnen, und das Licht seines Angesichts leuchtete über ihnen“ (3 Nephi 19:25).

Ein lächelndes Gesicht teilt uns mit, dass wir gut sind. Kinder bemühen sich, wie Jesus zu sein. Sie möchten sein wie jemand, der lächelt. Sie möchten mit jemandem zusammen sein, der ihnen fröhlich begegnet.

Präsident Hinckley hat gesagt: „Kinder brauchen die Sonne. Sie brauchen Glück. Sie brauchen Liebe und Fürsorge.“ (Präsident Gordon B. Hinckley, „Rettet die Kinder“, Der Stern, Januar 1995, Seite 53.)

Das sollte die Sprache sein, in der wir unsere Kinder im Evangelium unterweisen. Was auch immer Ihre Muttersprache ist, lernen Sie, in der Sprache inniger Gebete und froher Zeugnisse zu lehren und zu sprechen, so dass sich Engel, irdische und himmlische, im Kreis um uns stellen und uns dienen können. Wir brauchen Mentoren im Evangelium, die die Sprache des Lobes und der Freundschaft sprechen. Wir müssen regelmäßig geistige Zeugnisse ausstellen, mit denen wir uns gegenseitig bestätigen, dass wir gut sind. Es ist ein Segen, Kinder aus eigener Kraft rennen zu lassen, so weit sie können, damit sie für ihr eigenes Zeugnis Kraft schöpfen. Und während der ganzen Reise soll unser Gesicht über ihnen lächeln, und in der allumfassenden Sprache der Liebe müssen wir sie in die Decke unserer Zuneigung hüllen.

Ich bin dankbar für die Aufforderung: „Seht eure Kleinen!“ Und „ich denk‘ gern daran, dass auch Kinder dabei“ sind. Im Namen Jesu Christi. Amen.