2000–2009
Sie beten und gehen dann hin
April 2002


Sie beten und gehen dann hin

Lassen Sie uns – als mächtige Gruppe von Priestertumsträgern – nach dem Wort handeln und es nicht nur hören. Lassen Sie uns beten und hingehen und tun.

Liebe Brüder, es ist eine Ehre, heute Abend zu Ihnen sprechen zu dürfen. Welch eine Freude ist es doch zu sehen, dass dieses wunderschöne Konferenzzentrum bis auf den letzten Platz mit jungen und älteren Brüdern gefüllt ist, die das Priestertum Gottes tragen. Die Gewissheit, dass überall auf der Welt Priestertumsträger auf die gleiche Weise versammelt sind, erfüllt mich mit einem überwältigenden Gefühl der Verantwortung. Ich bete, dass die Inspiration des Herrn meine Gedanken lenken und meine Worte inspirieren wird.

Als ich vor vielen Jahren in Tahiti zu tun hatte, unterhielt ich mich einmal mit Präsident Raymond Baudin, dem Missionspräsidenten, über die Einwohner Tahitis. Diese Menschen stehen im Ruf, eines der besten Seefahrervölker der Welt zu sein. Bruder Baudin, der Französisch und Tahitisch, aber nur ein wenig Englisch spricht, versuchte, mir ihr Erfolgsgeheimnis zu erklären. Er sagte: „Sie sind unglaublich. Das Wetter mag noch so schlecht sein, die Boote mögen ein Leck haben, die Besatzung hat vielleicht keine anderen Navigationshilfen als nur ihr Gefühl und die Sterne am Himmel, aber sie beten und machen sich auf den Weg.“ Er wiederholte diesen Satz dreimal. Aus dieser Äußerung können wir etwas lernen. Wir müssen beten, und dann müssen wir handeln. Beides ist wichtig.

Folgende Verheißung in den Sprichwörtern spricht uns Mut zu:

„Mit ganzem Herzen vertrau auf den Herrn, bau nicht auf eigene Klugheit; such ihn zu erkennen auf all deinen Wegen, dann ebnet er selbst deine Pfade.“1

Wir müssen uns nur den Bericht in 1 Könige ansehen, dann rufen wir uns erneut in Erinnerung, dass allen damit gedient ist, wenn wir den Rat des Herrn befolgen, beten und dann handeln. Dort steht, dass eine furchtbare Trockenheit das Land heimgesucht hatte. Hungersnot war die Folge. Der Prophet Elija erhielt vom Herrn eine Anweisung, die ihm seltsam vorgekommen sein muss: „Geh nach Sarepta … Ich habe dort einer Witwe befohlen, dich zu versorgen.“ Als Elija die Witwe gefunden hatte, sprach er: „Bring mir in einem Gefäß ein wenig Wasser zum Trinken.

Als sie wegging, um es zu holen, rief er ihr nach: Bring mir auch einen Bissen Brot mit.“

Aus der Antwort der Witwe geht ihre verzweifelte Situation hervor, denn sie sagt, dass sie soeben ein letztes, kärgliches Mahl für ihren Sohn und sich selbst zubereiten wolle; dann würden sie sterben.

Wie unglaubwürdig muss ihr da Elijas Reaktion erschienen sein: „Fürchte dich nicht! Geh heim, und tu, was du gesagt hast. Nur mache zuerst für mich ein kleines Gebäck, und bring es zu mir heraus! Danach kannst du für dich und deinen Sohn etwas zubereiten;

denn so spricht der Herr, der Gott Israels: Der Mehltopf wird nicht leer werden und der Ölkrug nicht versiegen bis zu dem Tag, an dem der Herr wieder Regen auf den Erdboden sendet.

Und sie ging hin und tat, was Elija gesagt hatte. So hatte sie mit ihm und ihrem Sohn viele Tage zu essen.

Der Mehltopf wurde nicht leer, und der Ölkrug versiegte nicht.“2

Wenn ich Sie fragte, welcher Teil des Buches Mormon wohl am häufigsten gelesen wird, so denke ich, es ist der Bericht in 1 Nephi, der von Nephi, seinen Brüdern, seinem Vater und dem Gebot handelt, von Laban die Messingplatten zu holen. Vielleicht liegt es daran, dass sich die meisten von uns von Zeit zu Zeit vornehmen, wieder im Buch Mormon zu lesen. Normalerweise beginnen wir dann bei 1 Nephi. Tatsächlich aber beschreiben diese Abschnitte auf wunderbare Weise, wie man erst beten und dann hingehen und handeln muss. Nephi sagt: „Ich will hingehen und das tun, was der Herr geboten hat; denn ich weiß, der Herr gibt den Menschenkindern keine Gebote, ohne ihnen einen Weg zu bereiten, wie sie das vollbringen können, was er ihnen geboten hat.“3

Denken wir an das Gebot. Denken wir an die Antwort. Denken wir an die Ergebnisse.

Auch heutzutage gibt es viele Beispiele für Erfahrungen von Menschen, die gebetet haben und dann hingegangen sind und etwas getan haben. Ich möchte Ihnen die berührende Geschichte einer lieben Familie erzählen, die in der schönen Stadt Perth in Australien lebte. Im Jahr 1957, vier Monate vor der Weihung des Neuseeland-Tempels, diente Donald Cummings, der Vater, als Präsident des Distriktes Perth. Präsident Cummings wollte unbedingt mit seiner Frau und den Kindern zur Tempelweihung fahren. Die Familie war allerdings nicht gerade begütert. Sie begannen zu beten, zu arbeiten und zu sparen. Sie verkauften ihr Auto und sparten jeden Penny, aber eine Woche vor der geplanten Abreise hatten sie immer noch 200 Pfund zu wenig. Unerwartet bekamen sie zweimal 100 Pfund geschenkt, und so konnten sie doch noch zum Tempel fahren. Da Bruder Cummings für die Reise keinen Urlaub bekommen konnte, entschloss er sich, seine Arbeit aufzugeben.

Mit dem Zug durchquerten sie Australien und kamen nach Sydney, von wo aus sie mit anderen Mitgliedern nach Neuseeland reisten. Bruder Cummings und seine Familie gehörten zu den ersten Australiern, die im Neuseeland-Tempel stellvertretend für Verstorbene getauft wurden. Sie gehörten zu den Ersten aus dem weit entfernten australischen Perth, die in Neuseeland die Begabung empfingen. Sie hatten gebetet, sich vorbereitet, und dann machten sie sich auf den Weg.

Als Familie Cummings nach Perth zurückkehrte, fand Bruder Cummings eine neue und bessere Arbeit. Neun Jahre später – er war damals immer noch Distriktspräsident – durfte ich ihn zum ersten Präsidenten des Pfahles Perth berufen.4 Und heute ist er bezeichnenderweise der erste Tempelpräsident des Perth-Tempels.

Aus dem Film Shenandoah stammen die bekannten inspirierenden Worte: „Wenn wir keinen Versuch unternehmen, dann tun wir nichts; und wenn wir nichts tun, wozu sind wir dann da?“

Es gibt heute mehr als 60 000 Vollzeitmissionare, die dem Herrn in aller Welt dienen. Viele von ihnen hören und sehen diese Priestertumsversammlung der Generalkonferenz. Sie beten, und dann gehen sie hinaus; sie vertrauen dem Herrn, wohin auch immer er sie senden wird, und ihrem Missionspräsidenten, der ihnen ein Gebiet innerhalb ihrer Mission zuweist. Unter den vielen Offenbarungen über die heilige Berufung als Missionar gibt es zwei, die mir besonders gut gefallen. Beide stehen in Lehre und Bündnisse.

Die erste Schriftstelle steht in Abschnitt 100. Wie Sie sich vielleicht erinnern können, waren Joseph Smith und Sidney Rigdon damals schon einige Zeit von ihrer Familie getrennt gewesen und machten sich Sorgen um ihre Lieben. Der Herr gab ihnen diese Zusicherung, die für alle Missionare der Kirche tröstlich ist: „Wahrlich, so spricht der Herr zu euch, meine Freunde … : Eurer Familie geht es gut; sie befinden sich in meiner Hand, und ich werde mit ihnen tun, wie es mir gut scheint; denn in mir ist alle Macht.“5

Die zweite Stelle steht in Abschnitt 84 in Lehre und Bündnisse: „Und wo euch jemand empfängt, da werde ich auch dabei sein, denn ich werde vor eurem Angesicht hergehen. Ich werde zu eurer rechten Hand sein und zu eurer linken, und mein Geist wird in eurem Herzen sein und meine Engel rings um euch, um euch zu stützen.“6

Walter Krause, der in Prenzlau in Deutschland lebt, leistete einen Missionsdienst, der inspirierend ist. Bruder Krause, dessen Hingabe für den Herrn legendär ist, ist heute 92 Jahre alt. Als Patriarch hat er mehr als eintausend Patriarchalische Segen gespendet, und zwar Mitgliedern aus vielen Teilen Europas.

Bruder Krause und seine Familie waren nach dem Zweiten Weltkrieg heimatlos, wie so viele andere zu dieser Zeit, und lebten in einem Flüchtlingslager in Cottbus. Dort begannen sie, die Kirche zu besuchen. Bruder Krause wurde sofort dazu berufen, den Zweig Cottbus zu leiten. Vier Monate später, im November 1945, als das Land noch immer ganz zerstört war, kam der Distriktspräsident Richard Ranglack zu Bruder Krause und fragte ihn, was er davon hielte, auf Mission zu gehen. Bruder Krauses Antwort drückt seine Verpflichtung der Kirche gegenüber aus. Er sagte: „Darüber muss ich nicht nachdenken. Wenn der Herr mich braucht, gehe ich.“

Bruder Krause brach am 1. Dezember 1945 auf – mit 20 Mark in der Tasche und einem Stück trockenem Brot. Ein Mitglied der Gemeinde hatte ihm den Wintermantel seines im Krieg gefallenen Sohnes geschenkt. Ein anderes Mitglied, ein Schuhmacher, schenkte ihm ein Paar Schuhe. Mit diesen Sachen und zwei Hemden, zwei Taschentüchern und zwei Paar Socken ging Bruder Krause auf Mission.

Mitten im Winter marschierte Bruder Krause einmal von Prenzlau aus in das kleine Dorf Cammin in Mecklenburg, wo 46 Menschen die Versammlungen der Kirche besuchten. Bruder Krause kam lange nach Anbruch der Dunkelheit dort an; er hatte einen sechsstündigen Fußmarsch über Straßen, Wege und schließlich quer über gepflügte Felder hinter sich. Kurz vor dem Dorf gelangte Bruder Krause an eine große, weiße, ebene Fläche, auf der es sich gut laufen ließ, und er gelangte bald zum Haus eines Mitglieds, wo er über Nacht blieb.

Am nächsten Morgen klopfte der Förster an die Tür des Mitglieds und fragte: „Hast du einen Gast?“

„Ja“, lautete die Antwort.

Der Förster fuhr fort: „Dann komm einmal mit und sieh dir seine Spuren an!“ Die große, ebene Fläche, die Bruder Krause in der Nacht überquert hatte, war in Wirklichkeit ein zugefrorener See, und der Förster hatte kurz zuvor ein großes Loch mitten auf dem See zum Angeln freigehackt. Der Wind hatte Schnee über das Loch geblasen und es vollständig bedeckt, so dass Bruder Krause die Gefahr nicht hatte sehen können. Seine Spuren führten, ohne dass er von dem Loch die geringste Ahnung gehabt hatte, bis an das Loch heran und dann daran entlang, geradewegs auf das Haus des Mitglieds zu. Durch das Gewicht seines Rucksacks und seiner Gummischuhe wäre Bruder Krause sicherlich ertrunken, wenn er einen Schritt näher an das Loch gegangen wäre, das er nicht sehen konnte. Er sagte später, dass dieses Ereignis im Dorf damals für viel Aufsehen gesorgt hatte.7

Sein Leben lang hatte Bruder Krause gebetet und sich dann auf den Weg gemacht.

Sollte jemand sich für unzulänglich halten oder unsicher sein, ob er eine Priestertumsberufung zum Dienen annehmen solle, dann lassen Sie uns an die göttliche Wahrheit denken: „Für Gott … ist alles möglich.“8

Vor einiger Zeit erfuhr ich, dass James Womack, der Patriarch des Pfahles Shreveport in Louisiana, gestorben war. Bruder Womack hatte viele Jahre lang gedient und war vielen ein Segen gewesen. Jahre zuvor hatte Präsident Spencer W. Kimball einmal Präsident Gordon B. Hinckley, Elder Bruce R. McConkie und mir ein Erlebnis im Zusammenhang mit der Berufung des Patriarchen für den Pfahl Shreveport in Louisiana erzählt. Präsident Kimball schilderte uns, wie er Unterredungen geführt, nachgedacht und gebetet hatte, um herauszufinden, wer gemäß dem Wunsch des Herrn dort als Patriarch berufen werden solle. Aus irgendeinem Grund war aber keiner der vorgeschlagenen Brüder der Richtige für dieses Amt.

Der Tag verging, und die Abendversammlungen begannen. Da drehte sich Präsident Kimball plötzlich zum Pfahlpräsidenten um und fragte ihn, wer denn ein bestimmter Bruder sei, der ziemlich weit hinten saß. Der Pfahlpräsident erwiderte, das sei James Womack. Daraufhin sagte Präsident Kimball: „Er ist der Mann, den der Herr als Patriarchen dieses Pfahles ausgesucht hat. Bitten Sie ihn doch, nach der Versammlung im Raum des Hohen Rates auf mich zu warten.“

Charles Cagle, der Pfahlpräsident, war bestürzt, denn James Womack entsprach nicht dem Bild, das man sich gemeinhin von einem Patriarchen macht. Er war während des Zweiten Weltkriegs schrecklich verwundet worden und hatte dabei beide Hände und einen Arm verloren, dazu fast seine gesamte Sehkraft und einen Teil seines Hörvermögens. Als er aus dem Krieg zurückkam, wäre er beinahe nicht zum Jurastudium zugelassen worden. Er beendete sein Studium an der Louisiana State University dann aber als Drittbester seines Jahrgangs.

An jenem Abend also traf Präsident Kimball mit Bruder Womack zusammen und sagte ihm, dass der Herr ihn als Pfahlpatriarchen ausersehen hatte. Dann folgte ein langes Schweigen. Schließlich sagte Bruder Womack: „Bruder Kimball, meines Wissens nach muss ein Patriarch demjenigen, den er segnet, die Hände auflegen. Wie Sie selbst sehen können, habe ich aber keine Hände, die ich jemandem auflegen könnte.“

Freundlich und geduldig, wie es seine Art war, bat Präsident Kimball Bruder Womack, hinter den Stuhl zu treten, auf dem er saß. Dann sagte er: „Lehnen Sie sich doch jetzt einmal vor, und versuchen Sie, mit Ihren Armstümpfen meinen Kopf zu berühren.“ Zu seiner großen Freude konnte Bruder Womack tatsächlich Präsident Kimballs Kopf berühren. Begeistert rief er aus: „Es geht! Es geht!“

„Natürlich geht es“, gab Bruder Kimball zur Antwort. „Und wenn Sie an meinen Kopf herankommen, dann kommen sie auch den Kopf eines jeden anderen heran, den Sie segnen werden. Ich bin wahrscheinlich der kleinste Mensch, den Sie jemals vor sich haben werden.“

Präsident Kimball erzählte weiter, dass alle Hände vor Begeisterung geradezu in die Höhe flogen, als James Womack bei der Pfahlkonferenz als Patriarch vorgeschlagen wurde.

Wir dachten damals an das Wort des Herrn, das an den Propheten Samuel erging, als David zum künftigen König Israels bestimmt wurde: „Der Mensch sieht, was vor den Augen ist, der Herr aber sieht das Herz.“9

Brüder, welche Berufung Sie auch tragen: Lassen Sie uns ungeachtet aller Ängste und Zweifel beten und dann hingehen und tun und dabei an die Worte des Meisters denken, nämlich des Herrn Jesus Christus, der verheißen hat: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“10

Im Jakobusbrief lesen wir die folgende Aufforderung: „Hört das Wort nicht nur, sondern handelt danach; sonst betrügt ihr euch selbst.“11

Lassen Sie uns – als mächtige Gruppe von Priestertumsträgern – nach dem Wort handeln und es nicht nur hören. Lassen Sie uns beten und hingehen und tun.

Im Namen Jesu Christi. Amen.

  1. Sprichwörter 3:5,6.

  2. 1. Könige 17:9–11, 13–16. Siehe auch Vers 12.

  3. 1 Nephi 3:7.

  4. Siehe Richard J. Marshall, „Saga of Sacrafice,“ Ensign, August 1974, Seite 66–67.

  5. LuB 100:1.

  6. LuB 84:88.

  7. Siehe Garold N. Davis und Norma S. Davis, „Behind the Iron Curtain: Recollections of Latter-day Saints in East Germany, 1945–1989“, BYU Studies 35, Nr. 1(1995):54–55.

  8. Matthäus 19:26.

  9. 1 Samuel 16:7.

  10. Matthäus 28:20.

  11. Jakobus 1:22.