„Familiengeschichte und Genealogie“, Themen im Zusammenhang mit der Geschichte der Kirche, 2022
„Familiengeschichte und Genealogie“, Themen im Zusammenhang mit der Geschichte der Kirche
Familiengeschichte und Genealogie
Das Interesse und die stete Arbeit der Heiligen der Letzten Tage an familiengeschichtlicher Forschung lassen sich auf mehrere Schlüsselereignisse in den Anfangstagen der Kirche zurückführen. Gleich beim ersten Erscheinen des Engels Moroni im Jahr 1823 wurde Joseph Smith mitgeteilt, der Herr werde „die Verheißungen, die den Vätern gemacht worden sind, den Kindern ins Herz pflanzen, und das Herz der Kinder [werde] sich ihren Vätern zuwenden“.1 Anfang der 1840er Jahre verkündete Joseph Smith in Nauvoo in Illinois zudem, die Erfüllung dieser Verheißung bedinge auch, dass zugunsten verstorbener Angehöriger die heiligen Handlungen der Errettung vollzogen werden müssten.2 Dazu zählen die stellvertretende Taufe und Konfirmierung sowie die Siegelung der Mitglieder einer Familie aneinander, wodurch deren innigste familiäre Beziehungen auch im Jenseits weiterbestehen. Die Heiligen machten sich also voll Eifer daran, diese heiligen Handlungen zu vollziehen.3
Anfangs ließen sich die Mitglieder vornehmlich an ihre unmittelbaren Vorfahren oder – quasi als „adoptierte“ Verwandte – an namhafte Führer der Kirche siegeln.4 1894 verkündete Präsident Wilford Woodruff, die Heiligen der Letzten Tage sollten Forschungen zu ihrer Familiengeschichte anstellen und die Namen ihrer Vorfahren zum Tempel mitnehmen, sodass die Familien aneinander gesiegelt werden konnten. „Wir möchten, dass die Heiligen der Letzten Tage von jetzt an ihre Abstammung so weit wie möglich zurückverfolgen und sich an ihre Väter und Mütter siegeln lassen. Siegelt die Kinder an ihre Eltern und schließt die Kette so weit, wie es euch möglich ist.“5 Ab da wurde der Gottesverehrung der Heiligen der Letzten Tage in den Tempeln ein immer höherer Stellenwert eingeräumt, da die Mitglieder dort für ihre verstorbenen Anverwandten vermehrt die Tempelarbeit verrichteten.6
Die Genealogische Gesellschaft
1895 genehmigten die Erste Präsidentschaft und das Kollegium der Zwölf Apostel die Angliederung der Genealogischen Gesellschaft von Utah (1987 wurde diese Einrichtung zur Abteilung Familiengeschichte der Kirche).7 Joseph Fielding Smith war einer ihrer ersten leitenden Funktionäre, wurde in der Folge Vorsitzender der Gesellschaft und führte ein Bestands- und Archivierungssystem ein, wie er es auf seinen Forschungsreisen in Bibliotheken und genealogischen Gesellschaften im Nordosten der Vereinigten Staaten kennengelernt hatte.8 Das Betätigungsfeld der Genealogischen Gesellschaft weitete sich immer mehr aus, und die engagierte Genealogin Susa Young Gates führte ein Katalogisierungssystem ein, mit dessen Hilfe sich die Aufzeichnungen eines jeden Tempels erfassen ließen. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts setzte sie sich unermüdlich für Belange der Ahnenforschung ein, schrieb Artikel, gab Kurse und drängte darauf, dass auch in der Frauenhilfsvereinigung Wissen über die familiengeschichtliche Forschung vermittelt wurde. Zudem war sie Präsidentin des Vereins „Daughters of the Utah Pioneers“.9 Susa Young Gates und Joseph Fielding Smith waren in Ausschüssen tätig, die sowohl einschlägige Zeitschriften herausbrachten als auch die Allgemeinheit in Kursen darüber informierten, wie man genealogische Aufzeichnungen sammelt und auf Datensammlungen in Bibliotheken zugreift.10
Von der Genealogie zur Familiengeschichte
Im Lauf des 20. Jahrhunderts sorgten die Heiligen der Letzten Tage für einen noch ausgedehnteren Zugang zu genealogischen Unterlagen, gehörten sie doch 1938 zu den Ersten, die sich zur Bewahrung genealogischer Aufzeichnungen der Mikroverfilmung bedienten. Mitarbeiter der Genealogischen Gesellschaft (und später der Abteilung Familiengeschichte) arbeiteten mit Archiven, Kirchen, staatlichen und kommunalen Behörden und weiteren Institutionen zusammen, fotografierten alte Unterlagen ab und speicherten sie auf Mikrofilm. War man 1954 bei einem Gesamtvolumen von etwa 150 Millionen Seiten angekommen, kamen ab 1992 jährlich bereits etwa 130 Millionen Aufnahmen dazu.11 1969 hielt die Kirche in Salt Lake City ihre erste weltweite Genealogiekonferenz ab, deren Zielsetzung darin bestand, Laienforscher zu schulen sowie Kontakte zu Institutionen herzustellen, damit man bei der Aufbewahrung und beim Zugriff auf genealogische Aufzeichnungen zusammenarbeiten konnte.12 Die Teilnehmerzahl an der zweiten Weltkonferenz für genealogische Aufzeichnungen im Jahr 1980 hatte sich bereits mehr als verdoppelt, was zum Teil auf das gestiegene Interesse der Öffentlichkeit an Ahnenforschung zurückzuführen war. Geweckt wurde dieses Interesse auch durch die Fernsehserie Roots, die erstmals 1977 ausgestrahlt wurde und auf dem gleichnamigen Buch von Alex Haley basierte. Haley erhielt von der Brigham-Young-Universität die Ehrendoktorwürde und arbeitete mit führenden Vertretern der Kirche zusammen, um die Weltkonferenz für genealogische Aufzeichnungen sowie die familiengeschichtliche Forschung im Allgemeinen zu fördern.13
In den 1980er Jahren unternahmen die Mitglieder der Kirche große Anstrengungen, ihre familiengeschichtlichen Unterlagen über jeweils mindestens drei Generationen zusammenzutragen und zu erfassen.14 Das wachsende Interesse an Familiengeschichte gab Anlass zur Aufzeichnung von Daten, die über die reine Ahnenforschung hinausgingen. Im Jahr 1987 benannten die führenden Brüder die Abteilung Genealogie in Abteilung Familiengeschichte um, in der Absicht, dass sich dadurch jedermann angesprochen fühle, ebenfalls mitzuwirken. „Der Wechsel zu ‚Familiengeschichte‘“, so Präsident Boyd K. Packer, „wird die Arbeit für alle attraktiver und zugänglicher machen. … Die heilige Familiengeschichte bildet die Grundlage für die Verordnungen des Tempels.“15
Technischer Fortschritt und Zusammenarbeit mit anderen Institutionen
1999 ging die Website FamilySearch.org ans Netz, eine Datenbank der Kirche für familiengeschichtliche Forschung, auf der auch die heiligen Handlungen erfasst werden, die stellvertretend für Verstorbene vollzogen werden. Ausgehend von 60 Jahren Mikroverfilmung genealogischer Aufzeichnungen konnte FamilySearch.org innerhalb von zwei Jahrzehnten Zugriff auf mehr als zwei Milliarden Einträge gewähren.16 2006 wurde bei FamilySearch mit dem Indexieren begonnen – ehrenamtliche Nutzer können dabei alte Unterlagen einsehen und transkribieren, was wiederum die Ahnenforscher unterstützt.17 Die Bestrebungen, die familiengeschichtliche Forschung zugunsten der Allgemeinheit voranzutreiben, gipfelten in der Einrichtung von tausenden von Centern für Familiengeschichte sowie in der Zusammenarbeit mit regionalen und nationalen Archiven, wodurch der Zugriff auf genealogische Daten erweitert wurde. Im Jahr 2011 wurde die erste RootsTech-Konferenz abgehalten, der weltweit größte Kongress für Familiengeschichte.18
Bei der familiengeschichtlichen Forschung ist die Kirche nach wie vor führend. Die Bestrebungen der Mitglieder, beim Drei-Generationen-Projekt mitzumachen und stellvertretend für ihre Vorfahren die heiligen Handlungen zu vollziehen, führten, zusammen mit den langjährigen Bemühungen der Kirche, Aufzeichnungen aus aller Welt zu bewahren und anderen zugänglich zu machen, im Jahr 2013 auf FamilySearch.org zu dem auf Crowdsourcing beruhenden Gemeinschaftsprojekt „Stammbaum“. Präsident Russell M. Nelson merkte an, dass solch gemeinsame Unterfangen dem Ziel dienten, „den Stammbaum für alle Kinder Gottes zu erstellen“.19
Verwandte Themen: Taufe für die Verstorbenen, Siegelung, Tempelbau, Nauvoo-Tempel, Salt-Lake-Tempel