Geschichte der Kirche
Anhörungen zum Fall Reed Smoot


„Anhörungen zum Fall Reed Smoot“, Themen im Zusammenhang mit der Geschichte der Kirche

„Anhörungen zum Fall Reed Smoot“

Anhörungen zum Fall Reed Smoot

Reed Smoot wurde 1903 in den Senat der Vereinigten Staaten gewählt. Damals war er zugleich auch Mitglied des Kollegiums der Zwölf Apostel. Seitens der amerikanischen Bevölkerung, die immer noch misstrauisch gegenüber der von der Kirche praktizierten Mehrehe war, gab es Proteste gegen die Wahl des Senators, was zu einer Reihe von Anhörungen führte, die sich über vier Jahre erstreckten und die Frage lösen sollten, ob Smoot nun im Amt verbleiben dürfe oder nicht. Die Anhörungen lösten eine breite Diskussion über den Glauben, die Gepflogenheiten und die Abläufe innerhalb der Kirche aus, denn mehr als hundert Zeugen sagten vor dem Senat über so gut wie „jede Eigenheit“ im religiösen Leben des Senators aus.1

1895 hatte die Erste Präsidentschaft in ihrem sogenannten Politischen Manifest erklärt, dass es ihrer Zustimmung bedürfe, wenn eine Generalautorität für ein politisches Amt kandidieren wolle.2 Smoot erhielt 1902 von der Ersten Präsidentschaft die Genehmigung, für den Senat der Vereinigten Staaten zu kandidieren, und wurde im folgenden Jahr vom Parlament des Bundesstaates Utah auch für dieses Amt gewählt.3 Ein Kirchenverband in Salt Lake City sowie mehrere protestantische Religionsgemeinschaften und weitere Reformgruppen richteten jedoch an den Präsidenten und den Kongress der Vereinigten Staaten eine Petition, Smoot solle sein Sitz im Senat verweigert werden. Vor allem wurde darin behauptet, Präsident Wilford Woodruff habe zwar das Ende der Unterstützung der Kirche für die Mehrehe verkündet, doch sowohl Mitglieder des Kollegiums der Zwölf Apostel als auch sonstige Mitglieder in Führungspositionen setzten diesen Brauch weiterhin fort und Smoot habe sich daher der Verletzung der Gesetze gegen die Polygamie schuldig gemacht.4

Zuerst wurde Smoot ebenfalls der Polygamie bezichtigt, doch er lebte nicht polygam. Seine Anschuldiger bezichtigten ihn daher in der Folge des Treuebruchs – er habe sich aufgrund seiner Stellung als Apostel in der Kirche dem Land gegenüber nicht genügend loyal erwiesen. Obwohl das Parlament von Utah die Wahl rechtmäßig bestätigt und Smoot seinen Sitz zuerkannt hatte, führte der Senatsausschuss für Privilegien und Wahlen eine öffentliche Anhörung durch, die im Februar 1904 begann.5 Eine Reihe von Senatoren, darunter Julius Caesar Burrows, der Vorsitzende des Ausschusses, erklärten ihre Absicht, diesen politischen Moment zu nutzen, um nicht Smoot, sondern die gesamte Kirche auf den Prüfstand zu stellen.6

Im Zuge der Anhörungen waren dutzende von Zeugen geladen, darunter auch etliche prominente Führer der Kirche, so etwa einige Mitglieder des Kollegiums der Zwölf Apostel und auch Joseph F. Smith selbst, der damalige Präsident der Kirche. Drei Tage lang befragten die Ausschussmitglieder etwa Präsident Smith zur Frage der Trennung von Kirche und Staat. Sie wollten wissen, ob man sich darauf verlassen könne, dass die Heiligen der Letzten Tage die Gesetze einhielten, und zwar ungeachtet einer etwaigen anderslautenden Offenbarung. Viele Zeitungen schlachteten diesen Austausch weidlich aus: Den Ausschussvorsitzenden Julius Caesar Burrows stellten sie als gestrengen Ermittler dar, der sicherstellen wolle, dass sich die Führer der Kirche „gesetzeskonform verhalten“, und Präsident Smith als Polygamisten, der die Regierung unterwandern wolle.7 Präsident Smith versicherte dem Ausschuss, dass er die Heiligen der Letzten Tage dazu anweise, das Gesetz zu achten. Er bekräftigte allerdings auch seinen Glauben daran, dass jeder das Recht auf sein eigenes religiöses Gewissen habe. Er versprach zudem, zum Standpunkt der Kirche zur Mehrehe eine öffentliche Erklärung abzugeben. Im darauffolgenden Monat verlas er auf der Generalkonferenz also das sogenannte Zweite Manifest, welches unmissverständlich besagte, dass jeder Amtsträger und jedes Mitglied der Kirche, die eine Mehrehe vollziehen oder eingehen, aus der Kirche ausgeschlossen werden.8

Obwohl Smoot ja eigentlich im Mittelpunkt dieser turbulenten öffentlichen Debatte stand, behielt er 1907 nach einstimmiger Abstimmung seinen Sitz im Senat und blieb noch weitere 26 Jahre im Amt.9 Im Zuge seiner politischen Laufbahn organisierte er sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Europa diplomatische Treffen zwischen Führern der Kirche und Regierungsbeamten. Sein apostolisches sowie sein politisches Wirken förderten auf internationaler Ebene die Beziehungen der Kirche – so wurde insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg für amerikanische Missionare, die im Ausland tätig sein sollten, wiederum ein Visum ausgestellt. Die Anhörungen hatten zwar nicht zur Folge, dass Smoot sein Sitz im Senat verwehrt wurde, doch sie hatten Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen der Kirche und der Regierung der Vereinigten Staaten. Die Kirche begann, politisch anders zu agieren, und die Regierung rückte davon ab, Politiker der Heiligen der Letzten Tage wegen ihrer Religion zu prüfen.10

Verwandte Themen: Amerikanische juristische und politische Institutionen, Gesetze gegen die Polygamie, Manifest, Politische Neutralität

Anmerkungen

  1. Kathleen Flake, The Politics of American Religious Identity: The Seating of Senator Reed Smoot, Mormon Apostle, University of North Carolina Press, Chapel Hill 2004, Seite 2–13; siehe auch Thema: Amerikanische juristische und politische Institutionen

  2. Siehe Thema: Politische Neutralität

  3. Die Senatoren in Utah wurden damals nicht vom Volk gewählt, sondern vom Parlament aufgestellt.

  4. Flake, Politics of American Religious Identity, Seite 13; siehe auch Themen: Gesetze gegen die Polygamie, Manifest

  5. Flake, Politics of American Religious Identity, Seite 22, 34f.

  6. Harvard S. Heath, „The Reed Smoot Hearings: A Quest for Legitimacy“, Journal of Mormon History, 33. Jahrgang, Nr. 2, Sommer 2007, Seite 25f.

  7. Flake, Politics of American Religious Identity, Seite 63

  8. Michael H. Paulos, „Under the Gun at the Smoot Hearings: Joseph F. Smith’s Testimony“, Journal of Mormon History, 34. Jahrgang, Nr. 4, 2008, Seite 181–225; siehe auch „Das Manifest und das Ende der Mehrehe“, Abhandlungen zu Evangeliumsthemen

  9. Flake, Politics of American Religious Identity, Seite 145, 176

  10. Flake, Politics of American Religious Identity, Seite 158, 172–176