„Gefängnis zu Liberty“, Themen im Zusammenhang mit der Geschichte der Kirche
„Gefängnis zu Liberty“
Gefängnis zu Liberty
Am 1. Dezember 1838 wurden Joseph Smith, sein Bruder Hyrum, Sidney Rigdon, Lyman Wight, Caleb Baldwin und Alexander McRae in Missouri festgenommen und in ein Gefängnis in Liberty in Missouri gebracht. Die Behörden warfen den Männern Verbrechen vor, die sie angeblich in den Monaten zuvor in Auseinandersetzungen mit anderen Bewohnern Missouris begangen hatten. Sie hatten sich zwei Wochen zuvor Lilburn W. Boggs, dem Gouverneur von Missouri, ergeben, nachdem dieser angeordnet hatte, dass die Mormonen aus dem Staat vertrieben oder ausgerottet werden sollten. In einer ersten Anhörung in Richmond/Missouri wurden genügend Beweise dafür gefunden, dass die Führer der Kirche Verbrechen gegen den Bundesstaat Missouri begangen hatten. Das Gericht ordnete an, dass die Männer bis zu ihrem Prozess im späten Frühjahr 1839 im Gefängnis von Liberty im Kreis Clay festzuhalten seien.
Das Gebäude war 1833 errichtet worden und diente bis 1856 als Kreisgefängnis von Clay. Das zweistöckige Gebäude hatte eine Grundfläche von 4,2 x 4,4 Metern. Die Außenwände waren aus grob behauenem Kalkstein und 60 Zentimeter dick, die Innenwände aus Eiche. Lose Steine füllten den 30 Zentimeter breiten Hohlraum zwischen den beiden Wänden. Dadurch sollten Ausbruchsversuche unterbunden werden. Der Gefängniswärter hielt sich im Obergeschoss auf. Der untere Bereich war ausschließlich den Gefangenen vorbehalten und durch eine Falltür vom Obergeschoss erreichbar. Durch zwei schmale Fenster, 60 cm breit und 15 cm hoch und mit Eisengittern versehen, gelangte frische Luft in den Raum.
Die Bedingungen in dem Gefängnis waren erbärmlich.1 Joseph Smith schrieb: „Wir werden Tag und Nacht streng bewacht … Unser Essen ist karg, eintönig und gewöhnlich; wir dürfen nicht selbst kochen; wir sind gezwungen, auf dem Boden, der mit Stroh bedeckt ist, zu schlafen, und wir haben nicht genügend Decken, um uns zu wärmen; und wenn wir ein Feuer haben, sind wir fast ununterbrochen dem Rauch ausgesetzt.“2
Erleichterung verschafften Besuche von Freunden und Familienangehörigen. Hyrum Smith erinnerte sich: „Viele unserer Brüder und Schwester besuchten uns und sorgten dafür, dass wir das Nötigste hatten.“3 Nach Aussage von Alexander McRae brachten Besucher „viele Male Verpflegung“. Einige brachten „Kuchen, Pasteten usw. und reichten sie uns durch die Fenster“. Am meisten freuten sich die Gefangenen jedoch über Besuche ihrer nächsten Angehörigen. Emma Smith suchte das Gefängnis dreimal auf und brachte einmal auch Joseph III. mit, den gemeinsamen Sohn von ihr und Joseph. Hyrums Frau Mary Fielding Smith besuchte ihren Mann mit ihrem kleinen Sohn Joseph F. Smith. Es war das erste Mal, dass Hyrum seinen Sohn zu Gesicht bekam.4
Je länger sie in dem Gefängnis einsaßen und je mehr Heilige aus dem Bundesstaat flohen, desto weniger Besucher kamen. Außer Briefen gab es nicht viel, was die Stimmung der Gefangenen zu heben vermochte. Und manche Briefe lösten auch eher Betroffenheit aus, erfuhren die Männer doch auf diese Weise, unter welchen Umständen sich viele Heilige während der strengen Wintermonate auf den Weg von Missouri nach Illinois begaben.
Im Gefängnis betete Joseph Smith, weil ihm unbegreiflich war, warum der Herr es zugelassen hatte, dass die Heiligen aus Missouri vertrieben wurden. „O Gott, wo bist du?“, fragte Joseph. Die Antwort erfolgte in Form einer Offenbarung: „Mein Sohn, Friede sei deiner Seele; dein Ungemach und deine Bedrängnisse werden nur einen kleinen Augenblick dauern, und dann, wenn du gut darin ausharrst, wird Gott dich in der Höhe erhöhen.“ In zwei wichtigen Briefen an die Kirche diktierte Joseph die offenbarten Weisungen, die nun folgten, sowie seinen eigenen Rat an die Heiligen. Auszüge dieser Briefe finden sich heute in Abschnitt 121, 122 und 123 im Buch Lehre und Bündnisse.5 Sie enthielten derart erhabene Wahrheiten, dass die Heiligen der Letzten Tage später im Gefängnis zu Liberty mehr als nur ein Gefängnis sahen und es auch einen Tempel nannten.6
Die Gefangenen versuchten, mit verschiedenen rechtlichen Mitteln ihre Freiheit zu erlangen. Fest davon überzeugt, dass ihre Inhaftierung zutiefst ungerecht und illegal war, versuchten sie mindestens zweimal, aus dem Gefängnis auszubrechen. Im Februar wurde Sidney Rigdon gegen Kaution freigelassen. Den anderen Gefangenen wurde eine neue Gerichtsverhandlung gewährt, und am 6. April 1839 geleitete sie ein bewaffneter Wachmann aus dem Gefängnis zu Liberty. Auf ihrem Weg zur Verhandlung im Kreis Boone ließen die Wachleute die Gefangenen entkommen, die sich daraufhin nach Illinois durchschlugen.
1856 erklärten die Behörden das Gefängnis für baufällig, und es verfiel. Am 19. Juni 1939 kaufte Wilford C. Wood, ein Mitglied der Kirche, das Anwesen für 4000 Dollar und überließ es der Kirche zum selben Preis. Es wurden Missionare nach Liberty entsandt, die sich um das Anwesen kümmerten und Touristen empfingen. 1962 nahm die Kirche den ersten Spatenstich für ein neues Besucherzentrum vor, in dem sich heute eine Rekonstruktion des Gefängnisses befindet. Präsident Joseph Fielding Smith weihte das Gelände am 15. September 1963.
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